Die 20 meistunterschätzten Deutschrapalben // Feature

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Too Strong – Greatest Hits (1994)

(Tribehaus / Community)

»Macht Sie das Leben in den Neunzigerjahren fertig? Was wollen Sie dagegen tun?«, fragt eine Stimme am Anfang des Tracks »Die Deiche brechen«. Und 1994 lautete die einzig richtige Antwort darauf: Too Strong hören! Die Ruhrgewalt, mit der Pure Doze, Der Lange, DJ Zonic und DJ Brocke von Dortmund City aus ihr ­pottgestähltes Verständnis von HipHop auf die Map brachten, war damals beispiellos. Natürlich klingen die (teilweise noch englischen) Reime aus heutiger Sicht ziemlich holprig (und das taten sie auf sämtlichen Nachfolgern leider auch). Doch diese Energie, dieser unbedingte Wille und diese unverfälschte Realness in sämtlichen Bereichen – das konnte einen nicht kaltlassen. Doze und Brocke ließen die Instrumentale ihres verwegen als »Greatest Hits« betitelten Debüts gekonnt zwischen (elektro-)funky und beklemmend oszillieren, bedienten sich bei Monk Higgins und dem Mystic Moods Orchestra genauso wie beim martialischen »The Imperial March« aus dem »Star Wars«-Imperium zur Unterlegung ihres Rapklassikers »Rabenschwarze Nacht«. Zonic kratzte rasiermesserscharfe Cuts in die Rillen, die beiden Rapper verhandelten ihren Alltag zwischen juveniler Selbstermächtigung und dem Ab(sprech)gesang auf gesellschaftliche Konventionen, während Film-Fanatic Doze einen Großteil der zwanzig Tracks zudem noch mit Vocal-Samples aus seiner Privatvideothek unterfütterte – und die reichte von LoFi-SciFi à la »Flash Gordon«, US-Komödien wie »Das Geld anderer Leute« und (natürlich) Horror­klassikern wie »Das siebte Zeichen« und »Verdammt, die Zombies kommen«. Allein das Intro aus dem B-Boy-Track »Alle abgehen alle«, das vom ersten Live-Auftritt der Band im FZW Dortmund Anfang der Neunziger stammt, ist ein Juwel: »Passt auf, ich mach euch ein Angebot: Ihr geht ab wie ne Rakete und ich zieh mir die Hose aus. Ganz einfach.« Der Sage nach standen daraufhin diverse Leute nackt auf der Bühne. Es war legendär. Und dieses unterschätzte Album ist es auch.

Text: Daniel Schieferdecker

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