Die 20 meistunterschätzten Deutschrapalben // Feature

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Tufu – Die Symbolik des Mastschweins (2010)

(Sichtexot)

Anfang 2010 ging es Deutschrap mal wieder nicht gut. Nach dem ersten Boom von 1999 um die Achse Hamburg/Stuttgart und dem anschließenden Sell-Out-Kater hatte Hip­Hop-Deutschland in den letzten zehn Jahren vor allem sein Slangwörterbuch um Begriffe wie »Opfer« und »Nutte« erweitert. Mit der Schließung von Aggro Berlin 2009 wurde aber auch hier nun eine Übersättigung besiegelt, die die vorangegangene Backpack-Renaissance von Morlockk Dilemma und Huss & Hoden nicht abfedern konnte. Ausgerechnet in einem Kinderzimmer im rheinländischem Neuwied wurde unterdessen auf den Schultern von Antitheseklassikern wie »Fragmente« und »Jetzt schämst du dich« ein Mixtape formuliert, das sich dem Rap-Zeitgeist gar nicht mehr bewusst entzog, sondern ihn schlichtweg nicht wahrnahm. Wenn »Fragmente« sich noch mit Rap außerhalb seiner Blase beschäftigte, zelebrierte »Die Symbolik des Mastschweins« seinen LoFi-Look in völliger Gleichgültigkeit. So kerkerte Tufu mit seinen metaphysischen Battle-Lyrics sämtliche »Spanferkelrapper« auf jazzigen Kellerraumarrangements ein. Neben Seitenhieben gegen 808s (!) und Autotune (!!) brilliert das Mixtape auch heute noch durch seine messerscharfen Analysen und den zum Teil arg pubertären Humor. Wie hätte man Tufus Debüt in die immer schon merkwürdige Aufteilung zwischen Underground und Mainstream einordnen sollen? »Die Symbolik des Mastschweins« war der erste Release einer Szene, die anfing, sich zu diversifizieren. Ein Free-Download-Fundament für ein Nischenpublikum für abstrakten Rap, das später Labels wie Vinyl Digital oder hhv erschließen. Fun Fact: Auf die hohe positive Resonanz hin entscheiden sich Tufu und sein Kollege ­Anthony Drawn dazu, ein eigenes Label zu gründen. Mittlerweile führt Sichtexot über fünfzig Katalognummern.

Text: Fionn Birr

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