Die 20 meistunterschätzten Deutschrapalben // Feature

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Sentino – Ich bin deutscher HipHop (2006)

(5 vor 12 / Groove Attack)

Sebastian Enrique Alvarez hat seinen Platz im deutschen HipHop-Geschichtsbuch sicher, wenn vielleicht auch nur als das vorlauteste, aber eben auch talentierteste Sorgenkind, das je ein Mic zwischen Nordsee und Alpen in die Hand genommen hat. Denn eigentlich ging es in der Karriere von Sentino 2006 zum letzten Mal nicht um zwischenmenschliche Zerwürfnisse, Label-Politics oder Rap-Beef, sondern um seine Musik. Das Def-Jam-Album mit DJ Desue war nie erschienen, die Synergien im Optik-Records-Camp um Eko und Savas währten nur ein Mixtape lang, und sogar die hartnäckigen Gerüchte um Ghostwriting für Bushido drangen endlich in den Hintergrund, als »Ich bin deutscher Hip Hop« erschien. Das einstige Freestyle-Wunderkind positionierte sich als gereifter Künstler auf einem Magnum Opus, das selbstbewusst, intim und vor allem großmäulig charmant den damaligen Status quo nicht nur summierte, sondern zukunftstauglich machte: Der von Brisk Fingaz, Monroe und Illan gezuckerte Pitchmunk-Soul liefert Sen die perfekte Passform für seine wortverspielten, pathetischen Reimorgien in ungeahnter Dichte. Der deutsche Cam’Ron? Ein bisschen. Aufschneider-Hits wie »Twinkle, Twinkle« oder die windschiefe Roe-Beardie-Doppelspitze »Catch mich« mit Manuellsen standen wie selbstverständlich kitschigen und deswegen so ergreifenden Offenbarungsoden wie »Horizont aus Gold« oder »Jahre sind Tage« gegenüber. Auch das innovative Videokonzept zur Single »Ich bin deutscher Hip Hop«, Senti einfach in Deutschrap-Videoklassiker zu schneiden, war bahnbrechend. Sentino war technisch wie Samy, witzig wie Sido, intim wie Curse und authentisch wie Azad – und genau deswegen war dieses Album deutscher HipHop durch und durch. Vielleicht sollte man seine Fans aber einfach nicht fünf Jahre auf ein Debüt warten lassen.

Text: Fionn Birr

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