Kings Of HipHop: The Notorious B.I.G. // Feature

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Am 9. März 2020 jährte sich zum 23. Mal der tragische und bis heute nicht aufgeklärte Mord an Christopher Wallace, den die HipHop-Welt für immer als The Notorious B.I.G. in Erinnerung behalten wird. Drake, Joey Bada$$, aber auch hiesige Rapper wie etwa Haftbefehl berufen sich bis heute auf die herablassende Big-Boss-Aura, das bildhafte wie gewitzte Lyricism und die detailliert-konzipierten Flow-Pattern in astreiner Nuschel-Delivery. Biggie zählt zu den einflussreichsten Rappern aller Zeiten, dead or alive. Auch wenn dieser tage eine Heerschar von New­comern, Trapbrett-Fahrern und Internet-Rappern seinen Einfluss bestreiten mag, steht fest; Big Poppa ist immer noch unter uns.

Im Youtube-Format »Overrated/Under­rated« der Kollegen von Pitchfork sagt Lil Yachty: »Überschätzt« und schmunzelt, als er zu seiner Meinung über B.I.G. gefragt wird – wissend, dass er als Newcomer und Vertreter der sogenannten Mumble-Rapper mit dieser Aussage gut vier bis fünf HipHop-Generationen auf einmal auf den Schlips tritt. Yachty wurde 1997 geboren, in dem Jahr, als Biggie starb, hat also dessen musikalischen Zenit wie direkten Impact nie bewusst miterlebt. Dabei ist es gar nicht so schwierig, die gewaltige Kerbe von The Notorious B.I.G. in der HipHop-Szene von heute, zwanzig Jahre nach seinem Tod, zu entdecken.

»Gotta let it show/I love the dough«

Wenn sich Kulturverfechter mal wieder über die materialistische Glorifizierung in Wort und Bild von Rapmusik erzürnen, wurzeln die heute relevanten Ursprünge dieses angeblichen Übels bei genauerem Hinsehen ironischerweise in den von Echthaltern so heißgeliebten Neunzigerjahren – und vor allem bei Bad Boy Records um Puff Daddy und Biggie. Die Dominanz von mittelständischem Conscious-Rap, wie ihn ATCQ und De la Soul populär gemacht hatten, war in schonungsloser Radikalität wie Realität vom protzigen Charisma des Gangstaraps der US-amerikanischen Pazifikküste abgelöst worden. Dass Biggie mit seinem Debüt­album »Ready To Die« 1994 szene-intern als Heilsbringer des New-York-Raps gefeiert wurde, liegt vor allem daran, dass er sich vordergründig der gleichen Bildsprache bedient hat wie Snoop Doggy Dogg und Ice-T. Die inhaltliche Ausrichtung sowie das vermarktbare Image Biggies waren klar materialistisch und genauso prahlerisch wie etwa Dr. Dres 92er Klassikerdebüt »The Chronic« – wenngleich eher inspiriert von Big Daddy Kane, Kool G Rap, aber auch Reakwon und Ghostface, die sich allesamt »Der Pate«-gleich als kettenbehangene, schwerreiche Rap-Mafiosis inszenierten, als von den Westcoast-Rappern, die den vermehrt proletarischen Raubzugreibach vor sich hertrugen. Natürlich hatte der allgemein als Begründer des Gangstarap geltende Schoolly D bereits 1985 die »Gucci Time« ausgerufen, allerdings war die glorifizierte Dekadenz bei Biggie 1993 kein Gimmick (mehr), sondern integraler Bestandteil des künstlerischen Schaffens. The Notorious B.I.G. musste daher auch in seinen Videos prunkvoll in Szene gesetzt werden. Wird er im Solodebüt »Juicy« noch teils als inhaftierter Rudeboy in die Frontale genommen, ist er spätestens bei seinem zweiten Video »Big Poppa« primär als beinahe präsidiales Familienclan-Oberhaupt abgelichtet. Musikalisch bewegte er sich eh immer in einer Grauzone: Die Produktionen von Easy Moe Bee oder den Trackmasters modifizieren den Besserverdiener-Charme aus Achtziger-R’n’B-Samples zu lupenreinen Hochglanz-Beats mit für Rap-Ohren unverschämter Radiotauglichkeit – und gerade am Ende seiner nur vierjährigen Laufbahn bemüht Wallace zudem auch inhaltlich eher den erhabenen Drogenbaron als den ehrgeizigen Kleindealer.

Konträr dazu steht die Geschichte um den Einserschüler, der als Sohn einer jamaikanischen Vorschullehrerin vergleichsweise behütet im sonst schwerkriminellen Brooklyn, Bedford-Stuyvesant, aufwächst. Biggie – angeblich hochbegabt – hatte Zugang zu Bildung und damit immerhin eine kleine Chance auf ein legales Auskommen. Dennoch brach er die Schule ab und wurde kriminell – ein offenes Geheimnis. Zu Lebzeiten hat er nie geleugnet, sich bewusst für den Drogenverkauf entschieden zu haben. »Ein Mann hat immer eine Wahl«, wurde er 2009 in der JUICE zitiert. »Aber kein Schwarzer aus der Hood will sich mit dem Geld zufriedengeben, das man mit einem 9-to-5-Job verdient.« Die Ambivalenz ­zwischen der Kunstfigur The Notorious B.I.G. und der Privatperson Christopher Wallace bedeutete daher auch nie einen Verlust seiner Integrität. Biggie rappte einfach zu überragend, als dass man ihn hätte anfechten können. Er bewegte sich souverän auf einer Fallhöhe, auf der ein Kollegah, der gerne als Jurastudent »entlarvt« wird, heute ganz ähnlich agiert, und die auch einem ehemaligen Gefängniswärter namens Rick Ross nie ernsthaft karrieregefährdend zum Verhängnis wurde. Der kommerzielle Erfolg von The Notorious B.I.G., der zu Lebzeiten nie die Anerkennung auf den Straßen Brooklyns verlor, ist damit eigentlich auch (in)direkter Wegbereiter für Images im Rap. Wenn LGoony, Rin oder auch Lil Yachty heute über ihren ausufernden Lebensstil sinnieren, ist es aus der Sicht des mitgewachsenen Publi­kums auch Biggie geschuldet, dass ihnen niemand vorwirft, ihre Musik wäre nicht real. So kann man Biggies Karriere also durchaus auch als die Geburtsstunde von Jiggy-Rap bezeichnen.

»However, living better now/ Coogi sweater now«

»Coogi down to the socks like I’m Biggie poppa«, verkündete A$AP Ferg auf dem Remix zu seiner 2013er Debütsingle »Work«, was zumindest für den damaligen ­Sommer in New York ein kleines Mode-Revival auslöste. Das belegt jedenfalls ein Tweet von A$AP Yams, in dem dieser behauptet, er und ­Drake würden zufällig den gleichen Coogi-Pullover auf derselben Party tragen – »Blame Biggie«, denkt sich der innere Sprichwortgenerator. Denn dass sich zwei schwerreiche, junge Männer im Jahr 2013 dazu entscheiden, eine Feier in einem Pullover zu besuchen, dessen Muster an das Gefieder eines Papageis erinnert, ist im Grunde genommen die Schuld von The Notorious B.I.G. Auch das Cover eines der 2016 erfolgreichsten Rapalben in Deutschland ist ein Beleg für sein legendäres Fashion-Gespür: »High & Hungrig 2« zeigt Gzuz und Bonez MC gekleidet im regenbogenfarbenen Edelzwirn des fränkischen Bekleidungsherstellers Carlo Colucci, der schon einige Jahre zuvor von zahllosen Straßenrappern aus der Hauptstadt besungen worden war. Kennzeichnend für die Produkte dieses Labels sind vor allem knallbunte Pullover, die, laut der Firma, den italienischen Lebensstill verkörpern sollen. Warum interessieren sich amerikanische und deutsche Rap-Kids so sehr für teure Wollpullover, deren absurd-kolorierte Poly-Designs eher für einen Seniorengolfclub als für eine HipHop-Party konzipiert sind? Sie sind ein direkter Bezug auf die Mode der US-amerikanischen Hood gegen Ende der Neunzigerjahre, als Biggie beschloss, seinen eintönigen Straßendealer-Look aus Timberland-Stiefeln und rot-schwarzen Holzfällerhemden gegen die farbenfrohe Strickware der australischen Modemarke Coogi einzutauschen. (Nach Aussagen seines ehemaligen Stilberaters Groovey Lew wurde Biggie von einem Hipster-Kid namens Walt G inspiriert.) In diesem, später ihn kennzeichnenden Look – Kangol-Mütze, Versace-Brille, Coogi-Sweater – landet Biggie 1995 auf dem Cover der Source und setzt aus dem Stand den HipHop-Mode­trend der kommenden Jahre. Auch zu dem Versace pflegte Wallace damals ein passioniertes Verhältnis. Im gleichen Jahr tritt er im Video zu »One More Chance« mit dem Sonnenbrillenmodell Medusa auf, das er fortan als sein Markenzeichen etabliert – verschiedenen Quellen zufolge soll er damit sogar der erste Rapper überhaupt gewesen sein, der medienwirksam Versace rockte (Grüß dich, Fler!). Kaum ein Song in Biggies Diskografie kommt ohne Namedropping von überteuertem Luxusfummel aus. Die Vorliebe deiner Lieblingsrapper für Haute Couture ist damit ganz klar ein Ergebnis vom Fashion Victim Christopher Wallace, der sich schon zu Dealer-Zeiten gerne teuer einkleidete, die kostspieligen Fetzen aber vor seiner strengen Mutter auf dem Dachboden verstecken musste und vorsorglich nur in den von Mama gekauften Klamotten die Wohnung betrat: Das Risiko war zu hoch, dass sie nach der Herkunft des Geldes gefragt hätte.

»Who shot ya?«

Traurigerweise ist Biggies Einfluss auf die heutige Rapszene vor allem durch die Auseinandersetzung mit 2Pac darzulegen. Der Ablauf der Auseinandersetzung, die als Eastcoast/Westcoast-Beef Rap-Geschichte geschrieben hat, beginnt am 30. November 1994, als Tupac bei den Quad Recording Studios niedergeschossen wird, in denen zeitgleich auch B.I.G. und die Junior M.A.F.I.A. am Crew-Album »Conspiracy« arbeiten. In Folge der Ermittlungen und dem circa drei Monate später releasten Biggie-Song »Who Shot Ya?« (nachweislich weit vor dem November 1994 aufgenommen), strickt sich der inhaftierte Pac eine Theorie für den Überfall in New York zusammen, die Wallace und Combs als Drahtzieher hinter dem Attentat sieht. Sowohl Biggie als auch Puffy bestreiten eisern eine Verwicklung, doch der öffentlichkeitswirksame Streit der zwei größten Rapstars der Neunziger ist ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse, das noch durch Pacs Antwort-Track »Hit ’Em Up« befeuert wird. Die weiteren Ereignisse sind heute ausreichend dokumentiert: Am 13. September 1996 stirbt 2Pac bei einem Drive-By, The Notorious B.I.G. wird sechs Monate später ebenfalls in L.A. erschossen und erliegt wenige Stunden später seinen Verletzungen. Er wurde 25 Jahre alt.

Warum dieser Beef auch heute noch ein tragisches Vorbild ist, liegt in der blutrünstigen Unmittelbarkeit: Hier wurden erstmals real-persönliche Differenzen mit Künstlerebenen vermischt, die auf einem Klatschpressenährboden breitenwirksam ausgetragen wurden. Ein vergleichbares Schauspiel stellt etwa der Beef zwischen Bushido und Kay One dar, der im Rahmen einer Stern-Titelstory ähnlich absurd publiziert wurde. Auch die Fehde zwischen Shady/Aftermath und Murder Inc. vor 15 Jahren bediente sich Elementen des 2Pac/Biggie-Beefs. Entscheidend ist, dass der musikalische Aspekt dieser Streitigkeiten – wie es sich etwa bei ikonischen Battles wie den Bridge Wars zwischen BDP und der Juice Crew verhielt – eine beinahe sekundäre Rolle spielt. Biggie hat auf »Hit ’Em Up« nie geantwortet. Wenn also Soulja Boy und Chris Brown sich zu einem Boxkampf verabreden, ist das eine Konsequenz, die sie durch Biggies Promo-Wirksamkeit gelernt haben – circa zwei Wochen nach seinem Tod erschien das letzte zu Lebzeiten fertiggestellte Album »Life After Death«. Ein Titel, dessen Leibhaftigkeit zwanzig Jahre später kaum bedrückender und zugleich wundervoller sein könnte. We’ll always love Big Poppa. ◘

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #179 (März/April 2017). Back-Issues versandkostenfrei in userem Shop hier nachbestellen.

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