Dexter – Von Palmen und Freunden [Interview]

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Stuttgart im Oktober 2013: Cro feiert Heimspiel, die ersten Töne der Synthie-­Melodie von »Ein Teil« erklingen. Die 12.500 Zuschauer in der ausverkauften Hanns-­Martin-Schleyerhalle drehen hohl. Zeitgleich karikiert Fatoni auf Youtube, hinter einer ­Schweinemaske versteckt, die Nicht-Existenz dicker Hipster und liefert die Anti-­Hymne zum Panda-Hype. Dass beide Beats dazu von Dexter stammen, klingt auf den ­ersten Blick komisch, ist aber so. Die Entfremdung der Generationen i­nteressiert den ­gebürtigen Heilbronner herzlich wenig. Seine gefragten, sample-lastigen Beat-­Collagen vereinen YOLO mit Nachhaltigkeit, Hype-Thema mit Untergrund und 808-Sounds mit dem Geräusch warmen Plattenknisterns.
 
Ein Internet-Meme verdeutlicht die ­unverhoffte Karriere von Dexter in einem Punch: »Macht Beats zum Spaß und Zeitvertreib – geht Gold und Platin«. Aufgezwungen oder angepasst hat sich der bescheidene Schwabe wirklich nicht. Man hat fast das Gefühl, Dexter müsse sich dafür rechtfertigen, bei zwei der bestverkauften deutschen Rap-Alben der letzten Dekade mitgewirkt zu haben. Denn klar, »Raop« von Cro und »XOXO« von Casper hätten auch ohne seine Beats die Charts erobert. Dass ein nerdiger Sound-­Frickler und Melting ­Potler aber in deutschen ­Stadien gespielt wird, ohne sich Hochverrat vom ­Echthaltertum vorwerfen ­lassen zu ­müssen, kann man dem rappenden Wortsport-­Produzenten nicht hoch genug anrechnen.
 
Die Geschichte vom hauptberuflichen Kinderarzt, der erfolgreich den Beat Fight verteidigt, Instrumental-Trips und EP-Projekte im Akkord veröffentlicht und nebenbei Gold geht, wurde an dieser Stelle bereits ­ausgiebig aufgerollt. Dass Dexter der am härtesten hustlende Produzent des Landes ist, wird dabei gerne unterschlagen. Zwischen regelmäßigen Gelagen der Betty Ford Boys, Stones-Throw-Remixen, Simpsons-Edits und ­Krankenhausnachtschichten fand der ­umtriebige Wahlstuttgarter jetzt noch die Zeit für ein Rap-Album. Auf »Palmen und Freunde« tut Dexter verschiedene Dinge mit ­befreundeten Wortsportlern und rappt unbedacht mit Geistesverwandten wie Chefket, Morlockk oder dem Mula Sonne Ra. Gedanken sollen sich die anderen machen.
 

 
Dein letztes Instrumental-Album »The Trip« hatte stark psychedelische ­Einflüsse. Bist du die Arbeiten an ­»Palmen und Freunde« wieder mit einem Konzept angegangen?
Diesmal gar nicht. Die Tracks waren ­eigentlich als Wortsport-Sampler und völlig konzeptlos geplant. Wir hängen einfach oft bei mir ab und machen spontane Aufnahme-Sessions. Es war dann so, dass ich mich langweilte, während die anderen geschrieben haben, daraufhin einfach mitschrieb – und letztlich auf fast allen Tracks dabei war. So hat es sich dann zu meinem Soloalbum ­entwickelt. Wenn es ein Konzept gab, dann war es der Grundgedanke, dass alles gemeinsam und spontan entstehen sollte. Wir haben so gut wie keine Spuren hin- und hergeschickt, sondern bei mir in der ­Wohnung direkt Beats gepickt, geschrieben und aufgenommen.
 
Als ich die Tracklist von »Palmen und Freunde« sah, dachte ich erst an ein Produzenten-Album. Ende der Neunziger war das Format durchaus beliebt. Hast du damals Alben von Plattenpapzt oder Roey Marquis gehört?
Ich kannte die schon, war aber generell kaum von deutschem Rap beeinflusst. Das ­Problem war, dass man Produzenten-Alben nur selten durchhören konnte, weil auch ­Leute drauf waren, die man nicht feierte. Daher wollte ich so was auch eigentlich nie machen.
 
Kann man »Palmen und Freunde« eher in der Tradition klassischer Rapper/Produzenten-Album wie Dillas »Welcome 2 Detroit« oder Pete Rocks »Soul Survivor«, einordnen?
Eher so, ja. Jay Dee war auch kein großer Texter oder krasser MC. Er hatte einfach Bock zu rappen. Da sehe ich schon Ähnlichkeiten. Ich bezeichne meine Rolle gerne als Spielertrainer, der es nicht lassen kann, selbst mitzuspielen. (lacht)
 
Du hast Phasen, in denen du dich mit bestimmten Genres beschäftigst, gezielt nach Samples suchst, Biografien liest, Dokumentationen schaust und dich intensiv mit einer Epoche auseinandersetzt. Nachdem du dich an Jazz (»Jazz Files«) und Psychedelic-Rock (»The Trip«) abgearbeitet hast – mit welchem Stil beschäftigst du dich gerade?
Es gibt gerade nicht das eine Genre. Ich habe in letzter Zeit viel Jazz, Library Music und nach wie vor Psych-Rock gediggt – und mir noch nie so viele Platten wie in den letzten Jahren gekauft. Ich bin ein bisschen mehr in so »Cheesy Jazz«-Gefilde aus den Achtzigern eingetaucht. Das kann man auf dem Album deutlich hören. Es ist etwas langsamer, sommerlicher, etwas kitschig, Eighties-Synthie-lastig und mit vielen 808-Sounds. Oder um es mit einem Wort von Max B zusammenzufassen: wavy.
 

 
Man konnte in deinen letzten Beats ­häufiger 808-Sounds hören. Hast du dir die originale Drum-Machine zugelegt?
Nein, aber ich hatte mal bei einer Haushaltsauflösung eine gefunden und mich riesig gefreut. Die war aber innen hohl, ausgeschlachtet und so verranzt, dass man sie nicht mal als Ausstellungsstück benutzen konnte. Ich habe nur diverse Plug-Ins ­installiert und mir von jemandem mal die Sounds aus der originalen Maschine raussampeln lassen. Ich benutz die gerade einfach gerne. Ich steh zwar nicht so auf den Trap-Sound, aber wenn man Samples mit 808s verknüpft, gibt das so einen ureigenen Flavor.
 
Letztes Jahr hast du mit Suff Daddy und Brenk die Produzenten-Supergroup Betty Ford Boys gegründet. Ihr seid wohl die einzigen deutschen Produzenten, die eine Tour spielen können. Hältst du die Rolle des Produzenten in Deutschland noch immer für unterschätzt?
Ich finde das ja gar nicht schlimm. Wir machen zwar hier und da auch Beats für Rapper, sehen uns aber alle drei als eigenständige Musiker. Ich war früher großer Fan von DJ Shadow und DJ Krush und sehe mich vom Verständnis her eher in dieser Tradition. Ich hätte auch überhaupt keinen Bock darauf, Anfragen zu bekommen, weil man gerade einen Hype hat und angesagt ist, wenn musikalisch überhaupt keine Gemeinsamkeiten bestehen. In erster Linie muss man sich bei einer Zusammenarbeit persönlich verstehen und zueinander passen. Darauf lege ich immer noch sehr viel Wert. Ich hab auch so meine Probleme mit dem Begriff »Beat-Shopping«. Aber es gibt ja durchaus ein paar sehr präsente deutsche Produzenten. Shuko macht das auf einem sehr professionellen Level und hat jetzt viel für das Cro-Album gemacht. Ihn sehe ich am ehesten noch als Star an. Fame zu haben, ist aber nicht unbedingt etwas Erstrebenswertes für mich.
 
Du bist einer der umtriebigsten ­Produzenten hierzulande und veröffentlichst jetzt schon wieder ein Album, bist regelmäßig auf Tour und hast eine Vollzeitstelle als Kinderarzt. Wie vereinbarst du das alles zeitlich?
Ich arbeite nebenher ziemlich viel und muss mir deswegen die Nachtschichten so legen, dass ich verlängerte Wochenenden habe. Es ist dann schon unentspannt, freitags mit wenig Schlaf irgendwo hinzufahren, und die anderen sind dann auch häufig genervt. Am ersten Abend stürzen wir meistens alle ziemlich ab, und der zweite Tag ist dann immer etwas ruhiger. Auf unserer Betty-Ford-Boys-Tour war auf jeden Fall durchgehend gute Laune. Die anderen zwei machen ja ausschließlich Musik. Ich hingegen stoß da schon manchmal an meine körperlichen Grenzen.
 

Ihr habt euch für das zweite Album der Betty Ford Boys eine Hütte gemietet und seid dort mit eurem ganzen Equipment hingefahren.
Unser erstes Album ist ja eher Patchwork-mäßig entstanden, sehr spontan und schnell. Deshalb wollten wir diesmal zusammen an den Sachen arbeiten und kamen auf die Idee, uns eine Hütte zu mieten. Wir haben uns eine Woche lang an einem See ­eingeschlossen und von morgens bis abends Beats gemacht. In der Zeit sind bestimmt an die vierzig Instrumentals entstanden. Olski, der Label-Chef von Melting Pot, hat die ­ganze Zeit gekocht und aufgeräumt, und ­Robert Winter hat das alles visuell eingefangen. Wir haben dann ein paar Skizzen ausgewählt, die wir jetzt bald fertigstellen wollen. Das wird auf jeden Fall das nächste Großprojekt.
 

 
Der Track »Pictures« von »The Trip« ­wurde von internationalen Blogs ­gefeiert. Dein »Classic«-Remix von MED erschien zum Beispiel auf hhv.de und ist nun online bei Stones Throw zu ­kaufen. Hast du Ambitionen, mehr auf dem ­internationalen Markt stattzufinden?
Das läuft schon. »Jazz Files« wurde in den USA, Japan und europaweit von kleinen Gruppen gekauft. Und ich war neulich in Paris, wo MPM-Platten rumstanden, oder hör von Bekannten, dass sie meine Alben in Südafrika gesehen haben. Auf einer gewissen Ebene funktioniert das schon international: Suff Daddy war letztens in Budapest mit Mayer Hawthorne, der alle unsere Platten dabeihatte. Und selbst House Shoes und B-Real von Cypress Hill kennen die Sachen der Betty Ford Boys. Aber solche Leute kommen jetzt noch nicht an und fragen nach Beats. Man wird wahrgenommen, und daran will man anknüpfen. Mit Instrumentals fällt das ja auch deutlich leichter als mit deutschsprachiger Musik. Wobei es auch verrückte Japaner gibt, die deutschen Rap über iTunes kaufen.
 
Flako arbeitet mit der Sängerin Fatima, Brenk hat sich durch die Kollabo mit MC Eiht bereits einen Kindheitstraum erfüllt. Haben sich noch keine englischsprachigen Künstler bei dir angeboten?
Medaphor war angetan von meinem Remix und hat angefragt, ob ich mal Beats schicken könne. Und ich hätte Bock was mit Quelle Chris zu machen, bei dem ich mir auch vorstellen könnte, dass das passt. Wenn ich ihn kennenlernen würde, wäre das auch eine ­Option, ich schreib aber keine Mails und forciere das. Und was wahrscheinlich nur wenige wissen: Ich habe mit dem Engländer Chima Anya zusammengearbeitet. Er ist auch Arzt, darüber lernten wir uns ­ursprünglich kennen. (lacht) Für viel mehr habe ich ­momentan einfach keine Zeit. Viele meinen ja, mir fliege das alles so zu. Das sehe ich natürlich nicht ganz so.
 
Hattest du darüber nachgedacht, ­bekanntere Rapper für das Album ­anzufragen?
Ja, schon. Aber das wäre dann wieder zu konstruiert gewesen. Das ist nur cool, wenn einer zufällig in der Stadt ist und spontan etwas entsteht. Zu fragen, ob Leute Bock auf ein Feature haben, traue ich mich meistens nicht. Manche Namen sind ja so groß, dass man davor schon über Geld sprechen muss – und da bin ich dann eh raus. Für mein Album muss alles natürlich entstehen: im Idealfall bei mir zu Hause, ohne Hin- und Hergeschicke. Mein Eindruck ist, dass große Alben immer so aufgenommen wurden. Das mag vielleicht eine romantische Vorstellung sein. Aber auch wenn ich rappe, nehme ich nicht viele Takes auf, sondern versuche alles so spontan und locker wie möglich zu halten.
 

 
Vor kurzem ist auch dein Remix zu ­­­­ »Wo wollen wir hin von hier« von ­Joy Denalane erschienen. Das ist auch eine eher ­überraschende ­Kooperation.
Der entstand bereits in der Promophase zu ihrem letzten Soloalbum »Maureen« und ist eigentlich schon alt. Für die Veröffentlichung habe ich ihn dann noch mal ausproduziert. Der muss damals irgendwie ­untergegangen sein. Als ich Joy letztens in Stuttgart traf, wusste sie gar nichts davon. Einen Tag später schickte ich ihn ihr, und sie war total begeistert. Bevor der Remix in der Versenkung verschwindet, wollten wir ihn einfach im Netz raushauen. Der Beat war ein krasser Prozess: Ich spiele da mit verschiedenen Tonlagen und Tonlagenveränderungen. Ich hatte keine Muße dazu, etwas einzuspielen, und war tagelang auf der Suche nach einem passenden Sample, bis ich dann auf diesen französischen Chor stieß. Der Chor fadet an zwei Stellen aus, sodass es klingt, als würde der Gesang wandern. Der Effekt entsteht aber nicht durch den Chor, sondern durch das andere Sample. Und als sogar meine Freundin den Beat feierte, war ich auch überzeugt davon.
 
Du hast auch den Track »HipHop« ihres Label-Künstlers Megaloh geremixt. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande? Du hattest dich davor schon als großer Fan des »Live MC«-Beats gezeigt.
Brutal! Ich habe seinen Produzenten Alan (DJ Ghanaian Stallion; Anm. d. Verf.) letztes Jahr kennengelernt und ihn nach Acapellas gefragt. »Live MCs« fand ich gleich krass: Super Beat – und wie die Jungs da drübergehen. Über Nesola (Megalohs Label; Anm. d. Verf.) bestand schon immer ein wenig Kontakt mit Megaloh. Als die dort meinen Remix hörten, hielten sie in wohl für passend für die »Dr. Cooper«-Remix EP. Er ist ja eher laid-back und langsam, solche Kontraste und ­scheinbaren Gegensätze gefallen mir total – so wie die Hafti-Remixe; oder wenn jemand wie Freddie Gibbs über Madlib-Beats rappt. Da treffen Leute mit verschiedenem Hintergrund zusammen, und daraus entsteht eine ganz neue Facette.
 
Hast du auch den Eindruck, dass sich Madlib nach seinen wirren Instrumental-Projekten gerade wieder gefangen hat?
Manche behaupten ja, Madlib loopt einfach nur irgendwas. Aber der Typ ist halt ein richtig verkauzter und übertrieben kreativer Künstler, der all seine Instrumente selbst einspielt. Das ist ja eigentlich Jazz, was der macht. Für das HipHop-Publikum ist er vielleicht einfach zu weit draußen – vor allem auf den letzten Teilen seiner »Beat Conductor«-Serie. Ich hab mir das noch angehört, aber mir auch schwer damit getan. Madlib ist ja schon ein alter Hase, der auf den frühen Alkaholiks-Alben Beats drauf hatte. Was ich aber schräg fand, war ein neues Video, bei dem er in kurzer Zeit einen Beat produziert – dieses Performance-Video, einen Promo-Clip mit völlig sterilen Keyboards und komischem Licht. Das sah sehr konstruiert aus, zeigt aber auch, dass er sich geöffnet hat und lockerer geworden ist.
 

 
Auf »Dies Das« mit Audio 88 und Yassin scratchst du Wiz Khalifa, mit dem man dich jetzt nicht direkt in ­Verbindung gebracht hätte. Regt dich der ­HipHop-Dogmatismus, der dir gerne mal angehängt wird, auf?
Ich habe das ja nie von mir behauptet und immer schon sowohl Westcoast-Sachen als auch aktuelle Musik gehört. Mich stört das nicht, aber bestimmt werden manche das wieder kommentieren müssen. Ich bin kein Wiz-Khalifa-Fan, aber seine Sample-lastigen, entspannten Tracks finde ich richtig gut. Ich mag auch Dom Kennedy. Ich würde mich sowieso nie als jemand bezeichnen, der nur reine Boombap-Beats macht, sondern mein Spektrum schon wesentlich breiter ­einschätzen. Der neuere Deutschrap-Sound taugt mir auch; oder jemand wie Joey Bada$$. Es muss aber immer ein neuer Aspekt hinzukommen. Total dogmatisch nur etwas aus Altem zu reproduzieren, halte ich für sinnlos. Sollen mich Leute ruhig dafür ­kritisieren – ich kann voll dazu stehen, dass ich Wiz Khalifa höre.
 
Wissen deine Kollegen im Krankenhaus eigentlich, was du in der Freizeit treibst?
Diejenigen, mit denen man sich über Privates unterhält, klar. Viele wissen halt nicht so genau, was das ist, was ich da mache, aber ich muss für Live-Termine ja öfters mal meine Dienste an den Wochenenden tauschen. Oft ist es schwer zu erklären, was ein Produzent wie ich veranstaltet, wenn er auf der Bühne steht. Manche haben auch schon wild im Netz gegoogelt und ältere Rap-Sachen von mir gefunden. Ich will nicht wissen, was die jetzt denken. (lacht) Mein Chef weiß natürlich auch Bescheid und findet das cool. Ich werde meine Stelle im Krankenhaus bald reduzieren, um noch mehr Musik machen zu können. Und natürlich sind die Kinder immer begeistert, wenn sie rausfinden, dass ich Casper und Cro kenne.
 
Text: Carlos Steurer
Foto: Denis Falkenstein
 
Dieses Interview ist erschienen in JUICE #159 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
JUICE_159

 

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