»Du nimmst eine Platte ganz anders wahr, sobald du mehr über ihre Hintergründe erfährst.« – Brian Coleman über »Check The Technique Vol. 2« // Feature

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BRIAN COLEMAN (photo by Mary Galli) 300dpi
 
Welches Geheimnis steckt denn nun zur Hölle hinter dem Shadowboxing? Und ­warum trägt der Wu-Tang Clan auf seinem ersten Cover eigentlich weiße ­Masken? Brian Coleman hat die Antworten. Der Mann aus Boston ist nicht nur HipHop-­Journalist mit gut zwei Dekaden Erfahrung, sondern in erster Linie ein Musiknerd wie er im Buche steht. Weil ihm die Plattencover diverser HipHop-Klassiker nicht die Infos lieferten, auf die er brannte, machte er sich auf, bei den Helden seiner Jugend selbst nachzufragen. Das Ergebnis heißt »Check The Technique« und lieferte 2007 auf über 500 Seiten kleinste Details über die Entstehung einschlägiger Rap-Platten von A Tribe Called Quest, Beastie Boys, De La Soul, Eric B. & Rakim, The Fugees, KRS-One, Pete Rock & CL Smooth, Public Enemy, Run-DMC, Wu-Tang Clan und anderen. Doch damit nicht genug: Dieser Tage erscheint der zweite Band, mit dem Brian noch tiefer in der HipHop-Historie gräbt. Ein Gespräch mit einem, der zahllose Gespräche ­geführt hat, und zwar mit den Größten im Game.
 
Das Buch »Check The Technique« ist eine Sammlung von Liner Notes zu HipHop-Klassikern. Was genau sind Liner Notes?
Das Konzept der Liner Notes kommt ursprünglich aus der Jazz-Welt. Wenn du dir eine John-Coltrane-Platte aus den ­Fünfzigern oder Sechzigern anschaust, findest du auf dem Rücken des Covers Auszüge aus Interviews mit all den beteiligten Künstlern und Produzenten. Labels wie Blue Note oder Atlantic Records haben damals mit dem Backcover einen Einblick in die Entstehung des Albums geliefert. Diese Infos waren vom Platz her begrenzt. Das wurde dann erst mit Deluxe-Editionen und Re-Issue-Boxen weiter ausgebaut. HipHop-Alben haben diese Extra-Infos nie wirklich geliefert. Das haben die Konsumenten dieser Kultur in den Achtzigern und Neunzigern wohl nicht erwartet. Ich ­glaube, es ging im Rap eher um die Unmittelbarkeit der Veröffentlichung. Die Musik sollte so schnell wie möglich auf die Straße gebracht werden, da arbeitete man nicht ellenlang an der Verpackung. Mit »Check The Technique« gehe ich nun einen Schritt zurück und liefere die Liner Notes zu klassischen HipHop-Alben, über deren Entstehung nicht viel bekannt ist. Viele Leute lieben diese Alben bereits, wissen aber nur wenig über den Künstler und den ganzen Prozess hinter der Veröffentlichung. Ich glaube, dass du eine Platte noch einmal ganz anders wahrnimmst, sobald du mehr über ihre Hintergründe erfährst.
 
Das erste Buch wird mit einem Vorwort von Questlove eröffnet. Darin behauptet er, dass er süchtig nach Liner Notes sei, seit er die von Stevie Wonders Album »Songs In The Key Of Life« gelesen hat. Wann bist du zum ersten Mal mit Liner Notes in Berührung gekommen?
Gute Frage, darüber habe ich nie ­nachgedacht. Ich erinnere mich an kein bestimmtes Cover, aber bei HipHop-Platten habe ich immer die Shoutouts gelesen. Bei den ersten beiden Public-Enemy-Alben habe ich sie quasi studiert. Das waren Gatefold-Cover, und auf den inneren zwei Seiten wurden zum einen die Credits der Musiker genannt, zum anderen gab es eine Liste an Leuten, mit denen sie down waren, wie die Jungle Brothers oder die Zulu Nation – sie nannten es die »Extra Strength Posse«. So habe ich schließlich gelernt, mit Hilfe von HipHop-Cover die Punkte innerhalb der Kultur zu verknüpfen und eine Art Puzzle in meinem Kopf zu lösen.
 
Es gibt einen Vorgänger deiner zweiteiligen »Check The Technique«-Reihe: »Rakim Told Me«. Der Band porträtiert Rap in den Achtzigern. Hast du diese Zeit miterlebt?
1984 muss ich 14 Jahre alt gewesen sein. Ich habe damals alle mögliche Musik gehört, The Police waren genauso darunter wie Run DMC und die Fat Boys. Ich habe das damals alles als Popmusik ­wahrgenommen und hatte das für mich noch nicht in Genres unterteilt. Mitte der Achtziger war ich auf der High School in New Jersey und bin zunehmend in die Punkszene eingetaucht. Das war für mich der Startschuss, mich tiefergehend mit Musik zu beschäftigen. Plötzlich habe ich auch HipHop-Künstler wie Schoolly D, Public Enemy oder LL Cool J ganz anders wahrgenommen. Ich habe festgestellt, dass HipHop ebenso wie Punk eine Subkultur ist, in der die Musik auf eine ganz eigene Weise gemacht und an den Mann gebracht wird. Prägend war für mich dann die Radioshow von DJ Red Alert, der Sachen wie die ­Ultramagnetic MCs oder die Jungle Brothers gespielt hat. Damit bin ich wirklich eingestiegen und habe die ganze Golden Era des HipHop verfolgt.
 

 
Im ersten Band von »Check The ­Technique« hast du noch bekanntere Alben behandelt als im zweiten. Wie bist du die Plattenauswahl angegangen?
Grundsätzlich hast du Recht mit der ­Bekanntheit der Platten, wobei nun auch Leute wie Naughty By Nature und Jazzy Jeff & The Fresh Prince vorkommen. Und abgesehen davon, dass ich den Klassikerstatus nicht zwangsläufig davon abhängig machen würde, wie häufig ein Album verkauft wurde, hatte ich einfach schon eine Menge wirklich großer Alben aus den frühen Tagen in den beiden vorigen Büchern untergebracht. ­Daher bin ich nun weiter ans Ende der Neunziger vorgedrungen mit The Coups »Steal This Album« und »Are Black Star« von Mos Def und Talib Kweli. Das ist auch die Zeit, in der ich vom Fan zum Schreiber mutiert bin. Es gibt also Gruppen in diesem Buch, über die ich zu der Zeit, als das Album erschien, schon geschrieben habe – Company Flow und Dr. Octagon zum Beispiel. Ich kannte diese Künstler bereits, was mir noch mal einen ganz anderen Blickwinkel und Zugang zu ihnen verschafft hat, als ich sie für das Buch interviewt habe.
 
Die meisten Alben, die du porträtierst, sind auf irgendeine Art Game Changer gewesen. In dem Kapitel über Black Star erzählt Talib Kweli, dass viele seiner Fans früher eine Anti-Majorlabel-­Haltung hatten. Sie haben in seiner Musik eine willkommene Veränderung im Business und die Wiedergeburt einer bestimmten Form von HipHop gesehen.
Ich glaube, was diese Geschichte angeht, muss man bei Company Flow anfangen. Ihre Herangehensweise an die Musik hatte eine ziemliche Punk-Attitüde. Hank ­Shocklee [Teil des Produktions-Teams Bomb Squad, die unter anderem Public Enemy produziert haben; Anm. d. Verf.] sagte einmal so etwas wie: »Als wir Bomb Squad gestartet haben, waren wir darauf bedacht, Musik zu zerstören!« Er meinte damit, dass sie den Status Quo von HipHop im Business und den Medien umkrempeln wollten, um eine neue Ära einzuleiten. Genau das haben sie getan, so wie später Company Flow – zwar mit anderer Musik, aber mit der gleichen Attitüde. Sie sahen den ganzen Puff-Daddy-Shit, Ma$e und so weiter, und stellten fest: »Das sind wir nicht!«. Also haben sie alles anders gemacht, jede Menge Krach produziert und die Köpfe der Hörer gefickt. Ihre Musik ­hatte für mich dieselbe Energie, wie die frühen Sachen der Ultramagnetic MCs oder von Boogie Down Productions. Es gibt immer wieder solche Gruppen, die neue Wege freilegen. Talib Kweli und Mos Def waren interessanterweise auf dem gleichen Label wie Company Flow, Rawkus Records, ein Indie-Label, das mit Majors auf einem Markt gekämpft hat, nur mit sehr viel geringeren Mitteln. Sie haben letztlich gezeigt, dass es wichtig ist, in dem Business immer wieder Regeln zu brechen und innovativ zu sein. Und wenn es einen gemeinsamen Nenner unter all den Künstlern gibt, die in dem Buch gelandet sind, dann der, dass sie alle auf ihre Art Innovatoren im Game waren. Sie haben nicht einfach Musik von anderen kopiert, sondern einen neuen Zweig im Rap geschaffen oder einen bestehenden Baum abgebrannt, um einen neuen zu pflanzen.
 

 
Im Vorwort des neuen Bands schreibst du, dass es keinen dritten Teil von »Check The Technique« geben wird. Sollte dem doch so sein: Welche Alben haben für dich in den letzten Jahren einen Wendepunkt im Rap dargestellt?
Es braucht eine gewisse Zeit, um ­festzustellen, ob es sich um einen ­Klassiker handelt, der einen neuen Weg im Rap geebnet hat. Manchmal glaubt man in dem Moment, in dem ein Album erscheint, dass es sich um einen Instant Classic handelt – und später sieht man ein, dass die Platte gar nicht mehr so gut klingt. Ich bin sicher, dass einige Leute dachten, MC Hammer würde die Welt verändern, als sie sein Album kauften. Heute schämen sie sich vielleicht für die Investition. (lacht) Ich würde daher nicht über Klassiker ­sprechen, wenn es um die letzten Jahre geht. Es gibt heute jede Menge Künstler, die ich mag – ­Shabazz Palaces zum Beispiel. Dass Butterfly von den Digable Planets nun in der Moderne ein zweites Leben führt, macht das Projekt ­unglaublich spannend. Aber ob eine ihrer Platten ein Klassiker wird, kann ich noch nicht beurteilen. Neulich wollte jemand mit mir über Kendrick Lamars »Good kid, m.A.A.d city« diskutieren. Er ist definitiv ein Künstler, der Leute auf einer anderen Ebene erreicht als nur über den Dancefloor. Das ist ein wichtiger Faktor für einen Klassiker. Aber in dem Fall würde ich frühestens in fünf bis zehn Jahren drüber urteilen. Das einzige, worüber ich mir sicher bin, ist, dass wir gerade kein goldenes Zeitalter für HipHop im Albumformat erleben. Wenn nun also ein Album rauskommt, das zumindest besser ist als alle anderen, wird es ­umgehend als Klassiker geadelt.
 
Gab es unter all den Platten ein besonders schwieriges Projekt? Rapper, die nicht über ihr Album sprechen wollten? Einen Album-Klassiker zu liefern ist zwar einerseits ein Traum für jeden Künstler, kann ja aber auch zu einem Stigma werden.
Sobald ich einen Künstler am Telefon hatte, gab es in der Regel kein Problem. Wenn man mit Künstlern zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung ihres Klassikers redet, blicken sie eher stolz darauf zurück. Das sieht wahrscheinlich anders aus, wenn man direkt im ­Anschluss an einen großen Erfolg mit ­jemandem spricht. Ein gutes Beispiel dafür sind De La Soul und ihr Song »Me, Myself & I«. Zwei Jahre nach diesem Hit hatten sie die Schnauze so voll davon, dass sie das Album »De La Soul Is Dead« gemacht haben. Das war eine direkte Reaktion darauf, dass sie nicht mehr über ihren Überhit reden wollten. Heute, 26 Jahre später, haben sie aber eine ganz andere Perspektive und sind eher dankbar für den Song, weil er ihnen so viele Fans verschafft hat, die noch heute dabei sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich nicht mit One-Hit-Wonder geredet habe, aber eigentlich haben sich alle Künstler gefreut, denen ich das Konzept des Buchs erklärt habe. Wenn Nas ein neues Album rausbringt, du fünf Minuten mit ihm Zeit hast und ihn dann nach »Illmatic« fragst, wird er sicherlich gepisst sein. Aber das einzige Problem, das ich hatte, waren schwierige Geschäftsleute, mit denen sich bestimmte Künstler umgeben. Ein Beispiel: Versteht LL Cool Js Verleger ihn als Musiker oder als TV-Star? Offenbar letzteres. Die Arbeit zu einer dreißig Jahre alten Platte interessiert den kein Stück. Bei Queen Latifah sah das ähnlich aus.
 
Neben den Künstlern hast du auch mit anderen Personen über die Alben ­gesprochen, richtig?
Ja, mit Audio Engineers und Labelchefs zum Beispiel. Das wurde mir wichtig, als ich bei einigen Alben wirklich tief eingestiegen bin. Es ist interessant, die Platte nicht nur von ihrem künstlerischen Standpunkt zu sehen. Im Fall von ­Jazzy Jeff & The Fresh Prince habe ich viel mit Ann Carli gesprochen, die zu der Zeit bei Jive Records gearbeitet hat und die ganzen Deals und Entscheidungen innerhalb des Labels mitbekommen hat. Plötzlich findest du auch heraus, inwiefern das Label bei der ­Produktion seine Finger im Spiel hatte. Jive gehörten zum Beispiel die Battery Studios in London, in denen Leute wie Kool Moe Dee oder Whodini aufgenommen haben. Die haben bestimmte Audio Engineers gestellt und hatten so ­gewissermaßen ihre Hand auf dem ­Endergebnis. Aus der Perspektive eines Labels musst du zudem bedenken, wie viel Einfluss oder Macht du auf einen Künstler ausüben willst. Nimm den Wu-Tang Clan und ihr erstes Album: Niemand konnte ahnen, dass das, was sie gemacht haben, so einschlagen würde. Steve Rifkind, damals CEO von Loud Records, dachte sich: »Ok, RZA weiß wirklich, was er tut. Die Hälfte der Zeit habe ich keine Ahnung, wovon er redet. Aber er hat eine klare Vision, also lasse ich ihn einfach machen.« Nicht jede Plattenfirma hätte das so ­akzeptiert. Jedes größere Label hätte ihnen wohl ­spätestens bei der Single-Auswahl reingeredet. Ich wollte also auch zeigen, dass eine Platte, neben der ­musikalischen Produktion, von ganz ­verschiedenen Faktoren beeinflusst wird.
 
CTT2 Cover
»Check the Technique: Volume 2: More Liner Notes for Hip-Hop Junkies« erscheint in Deutschland in der englischen Originalfassung über Gingko Press Gmbh
 
Foto: Mary Galli
 

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