»If you’re reading this …« – 15 Lieblingsbücher über HipHop // Liste

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Sweet Jones: Pimp C’s Trill Life Story (2015)

Julia Beverly
(Shreveport Ave)

Achtung, Spoiler: Auch am Ende von 700 eng bedruckten Seiten kann man sich nicht so richtig sicher sein, was für eine Art von Buch »Sweet Jones« eigentlich ist. Dabei will es natürlich zuallererst eine Biografie sein, die Julia Beverly, Gründerin des Ozone Magazine, hier über Chad Lamont Butler alias Pimp C verfasst hat. Aber eben noch viel mehr. Der 2007 verstorbene Pimp C war zwanzig Jahre lang der schillernde, unberechenbare musikalische Gegenpart zu Bun B, und die gemeinsame Gruppe UGK aus Port Arthur, Texas, gilt gemeinhin als einer der wichtigen Dreh- und Angelpunkte für die Entwicklung von Rap aus den Südstaaten und dessen beschwerlichen Weg zur Dominanz des Games in den Nullerjahren. Wie in einer nicht enden wollenden Ozone-Sonderausgabe liest man also unweigerlich mit, wie Pimp C stellvertretend für eine ganze Region vergeblich auf Anerkennung hofft, künstlerisch wie persönlich Höhen und Tiefen durchlebt und endlos zwischen Zuhälterkunstfigur und dem nerdy-terdy Sohn einer liebevollen Mutter oszilliert. Die persönliche Freundschaft zwischen Pimp C und Julia Beverly macht »Sweet Jones« aber zu noch viel mehr: Der Wälzer taugt als intimes Familienporträt, beeindruckendes Fotoalbum, als Negativ einer Bun-B-Biografie (Butlers Ex-Partner scheint ein schwieriges Verhältnis zu Beverly zu haben), als Denk- und Mahnmal für die frühe texanische Rapszene und – ganz sicher mehr als gewollt – auch als Blick in die Welt der Autorin. Dass sie oftmals die Distanz zur Hauptfigur vermissen lässt, verleiht »Sweet Jones« den obsessiven Charakter eines aus den Fugen geratenen Fanzines. Genau das ist hier erstaunlicherweise kein Makel: Beverly lässt uns miterleben, wie sich ein gebeutelter Pimp C mit dem späten Mainstream-Erfolg immer mehr aus der nüchternen Realität verabschiedet, und mit jedem ehrlich motivierten Versuch, die Umstände seines Todes haarklein aufzuschlüsseln und zu hinterfragen, werden wir selbst in diesen Strudel der Verwirrung gezogen. Blitzsauberes Biografenhandwerk ist das nicht, zugegeben. Dafür ist »Sweet Jones« oft zu nah dran, zu wehmütig, zu tief in seiner eigenen Welt und hin und wieder schlichtweg frustrierend. Wie Pimp C eben. Und irgendwie ist all das in diesem Fall einfach nur angemessen. Ein echter Trip.

Text: Ralf Theil

This Is Grime (2016)

Hattie Collins & Olivia Rose
(Hodder & Stoughton)

Der Titel schafft Fakten: »This Is Grime«. Dabei war lange gar nicht klar, was Grime eigentlich ist. Vor 15 Jahren fragte Wiley, der heutige Godfather der Szene, in einem energiegeladenen Tune noch amüsiert: »Wot Do U Call It?« Manche antworteten darauf: »Grime«, also »Dreck«. Nicht sehr schmeichelhaft, zumindest zuerst. Die Crews nahmen das auf, und schließlich wurde »grimey« zum Kompliment für den rauen, schnellen und aggressiven Stil aus Großbritannien. Er brachte Anfang der Nullerjahre Elemente aus UK-Rave, Rap- und Soundsystemkultur zusammen und bot ein passendes Beat-Vehikel für eine junge, in der öffentlichen Wahrnehmung stark männlich geprägte Generation von MCs, Produzenten und DJs, die im musikalischen und kulturellen Melting Pot britischer Großstädte aufgewachsen waren. Manche dieser Kids sind heute Stars wie Dizzee Rascal, Stormzy oder Skepta. Das Buch »This Is Grime«, 2016 erschienen, überlässt das Wort denen, die die Musik geprägt haben und immer noch formen. In Gestalt einer Oral History lässt Hattie Collins, die als Journalistin unter anderem für The Guardian und I-D arbeitet, MCs, Produzenten und DJs ihre eigenen Geschichten über Grime erzählen. Begleitet von eindrucksvollen Fotos, geschossen von Olivia Rose, ergeben die zahlreichen Aussagen von Artists wie Wiley, DJ Target, Mizz Beats, Shystie, Lethal Bizzle, Jammer, Queenie und Crazy Titch ein vielfältiges Panorama von den Anfängen des Genres bis zum zweiten Durchbruch um 2016 herum. Dabei geht es immer um mehr als den Versuch einer Geschichtsschreibung. Die in Form von Gesprächen arrangierten Zitate beschreiben nicht nur die Rolle von Soundsystemkultur, Jungle, UK Garage, Crews wie N.A.S.T.Y. oder Roll Deep oder von Piratenradios für die Entwicklung von Grime. Die Protagonisten erzählen auch von Konflikten, sprechen über Gewalt oder Religion. Die Menge an unterschiedlichen Themen, Namen und Ereignissen kann überfordern, wenn man sich zum ersten Mal intensiver mit Grime beschäftigt. Gleichzeitig machen es die kurzen, thematisch geordneten Abschnitte und das Aussagen-Ping-Pong unterschiedlicher Stimmen leicht, einfach einzusteigen und reinzulesen, wo man das Buch gerade aufschlägt. Egal ob Head oder Neuling, »This Is Grime« liefert mit persönlichen Einblicken und tollen Bildern einen unterhaltsamen, vielseitigen und lesenswerten Einblick von der Szene in die Szene.

Text: Philipp Weichenrieder

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