»If you’re reading this …« – 15 Lieblingsbücher über HipHop // Liste

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American Rap: Explicit Lyrics – US-HipHop und Identität (2002)

Jan Kage
(Ventil Verlag)

Das Lebensziel eines jeden Kulturschaffenden sollte sein, im ersten Satz des Wikipedia-Artikels möglichst viele Substantive zu sammeln. Bei Jan Kage steht da einfach nur »Kulturschaffender«. Dabei hätten die ehrenamtlichen Autoren einiges aufzählen können: Rapper (als Yaneq), Radiomoderator (Radio Arty auf FluxFM), Kunstkurator (Schau Fenster), Partyveranstalter (Party Arty) und Buchautor. All diese Tätigkeiten hängen natürlich mit dem Regenschirmthema HipHop zusammen. Kein Wunder also, dass sich Kage in seiner 1999er Diplomarbeit mit »American Rap« auseinandergesetzt hat. Dass dieses Werk nicht im Universitätsarchiv verstaubt, sondern immer noch gelesen werden kann, ist dem Ventil Verlag zu verdanken, mit dem Musikmagazin testcard und diverser theoretischer Literatur eine wichtige Instanz im deutschen Popkultur-Diskurs. »American Rap« ist gut gealtert. Kage geht es nicht darum, wie HipHop von den Global Players der Kulturindustrie in junge und urbane Werbeästhetik übersetzt wird. Er versteht ihn als identitätsstiftende Diskursform einer afroamerikanischen Gemeinschaft. Es ist wichtig, dass er diese Auffassung begründet: Schwarzen Amerikanern eine Gruppenidentität zuzuschreiben, ist kein Essentialismus im Denken Kages. Er begründet diese Gruppenidentität mit der Abgrenzung durch Sklaverei und Rassismus, die von außen kommt und zu einer gemeinsamen Geschichte führt. Als wichtigste Figur für die Übertragung von Geschichte und Identität auf HipHop sieht er Afrika Bambaataa, einen »Visionär«, der aus einer Musikrichtung einen Lifestyle mit sozialen und politischen Inhalten gemacht habe. Dass es nach Eminem mehr weiße Rapper gab als zuvor und inwiefern HipHop vielleicht auch allgemeiner als Musik armer und marginalisierter Menschen verstanden werden kann, ist nur eine Randnotiz. »American Rap« ist ein Rundumschlag über die Zusammenhänge zwischen HipHop und Identitätsstiftung. Da das Buch als akademisches Projekt entstanden ist, gibt es im Theo­rieteil zu Begriffen wie »Respekt« und »Props« auch Bourdieus Konzepte des ökonomischen, des sozialen und des kulturellen Kapitals hinterher. Anschließend wird aber zugänglich über afroamerikanische und HipHop-Geschichte referiert. Auch aus deutscher 2019-Perspektive darf man sich gelegentlich Gedanken über die Bedeutung des Genres für schwarze Identitäten machen. Danach kann man ja wieder von »Urban Music« sprechen.

Text: Mathis Raabe

Can’t Stop Won’t Stop: A History Of The Hip-Hop Generation (2005)

Jeff Chang
(PICADOR)

Es wäre vermessen, das Debüt des US-HipHop-Journalisten Jeff Chang auf die vier Elemente unserer heiligen Kultur herunterzubrechen (für die Ersties: Graffiti, Breakdance, DJing und Rap). Es wäre sogar vermessen, »Can’t Stop Won’t Stop« auf seinen American Book Award, den geil absurden KRS-One-Diss und die zahlreichen ­Lobeshymnen der HipHop-Stammtische zu reduzieren. Die Frage aller Fragen, die dieses Buch nämlich so wichtig macht, ist simpel: Was hat HipHop aus uns gemacht? Ja, aus dir, mir und der heutigen Welt? Die vermutliche Antwort ist: alles. Die Art, wie wir sprechen, wie wir uns kleiden, ja, sogar die Partei, die wir wählen – das alles ist HipHop, irgendwie. Das ist nicht neu. Jeff ist nur der Erste gewesen, der das mal zu Papier brachte. Um es unseren Eltern, Lehrern, Professoren und Politikern zu erklären. Auf diesen rund 500 Seiten findet nicht bloß eine Abhandlung über die Großtaten der Vorväter statt, kein langweiliges Aufzählen von Eckdaten, die die Hälfte nach dem nächsten Loop wieder vergessen hat, auch wenn Chang stets historisch korrekt bleibt. Nein, »Can’t Stop …« ist eine Oral History, Sozialforschung und Selbststudie gleichermaßen. Es geht um die Umgebung, in der HipHop und seine Akteure sich entwickelt haben – die Armut, die Brennpunkte, die gesellschaftlichen Ressentiments, aber eben auch die Kreativität, mit der die »Hip-Hop-Generation« versucht hat, das Beste aus ihren (wenigen) Möglichkeiten zu holen. Changs Ansatz schwingt daher zwischen »Brooklyn und Berkeley«, zwischen Hörsaal und Hochsicherheitstrakt, zwischen Aral-Tanke und Abitur. Es ist genau diese Ambivalenz, in der sich letztlich ein Großteil jener bewegt, die dieses Buch überhaupt lesen. Da wird eben eine Parallele gezogen zwischen dem Bau einer Stadtautobahn durch die Bronx im Jahr 1948 und der Verbreitung dieses Phänomens ab den Siebzigern, das manche große Tageszeitung heute immer noch als »Jugendkultur« herunterbricht. Ohne – und das ist eigentlich das Begrüßenswerteste an diesem Buch – zwischen »Gutem« (lies: politisch-motivierten, sozialkritischen Rap-Ausrichtungen) und »Schlechtem« (lies: kommerziell-orientierten, hedonistischen Ansätzen) zu unterscheiden. Für Chang hängt und gehört alles zusammen. Auch wenn dieser Spruch erst zehn Jahre nach dem Erscheinen von »Can’t Stop Won’t Stop« auf Drakes-Cover prangte, er hätte nie treffender sein können: »If you’re reading this, it’s too late.«

Text: Killian Peters

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