»If you’re reading this …« – 15 Lieblingsbücher über HipHop // Liste

-

The Big Payback: The History Of The Business Of Hip-Hop (2011)

Dan Charnas
(Berkley)

HipHop-Geschichte ausschließlich anhand ihrer geschäftlichen Seite aufzuarbeiten – wie hoffnungslos unromantisch! Zum Glück trifft dieser materialistische Ansatz aber einen immens wichtigen Nerv und stellt den zentralen Antrieb in den Mittelpunkt, ohne den die ewige Expansion der Subkultur von der Straßenecke zur Multimillionenindustrie nie passiert wäre. Dan Charnas – Teil der ersten Autorengeneration der Source und in den Neunzigern enger Vertrauter von Rick Rubin bei dessen Def American Recordings – folgt also dem Geld, den wegweisenden Deals und deren Profiteuren: Wie wurde aus naiven Blockpartys ein Geschäft? Wer verdiente an den ersten Rap-Platten? Wo floss zum ersten Mal Geld von einer Marke und durch welche Strukturen konnte HipHop immer weitere, weißere und zahlungskräftigere Fans gewinnen? Natürlich ist das nicht alles überraschend, wenn man schon mal von Sugar Hill Records, Def Jam oder Dame Dash gehört hat. Aber auch Fortgeschrittene finden hier in jedem Kapitel neue alte Geschichten und übersehene Zusammenhänge in unser aller Lieblingszirkus. Hinzu kommt, dass weniger offensichtliche Themenkomplexe wie das amerikanische Radiosystem und seine Strukturen hierzulande gerne mal als egal abgetan werden, für HipHop aber von riesiger Bedeutung waren und interessante Figuren und Skandale bereithalten. Bevor die Geschichte naturgemäß mit dem Hyperkapitalismus der Roc-A-Fella-Ära ausfranst, gelingt Charnas auf gut 600 Seiten eines der spannendsten und überraschendsten HipHop-Geschichtsbücher, die man in die Finger bekommen kann. Seine Stärke liegt auch in der absoluten Offenheit, die nie zu viel Vorwissen voraussetzt. Das Narrativ funktioniert, wenn man noch nie von Herc, Flash und Run-DMC gehört hat, ist aber auch für Nerds eine so dankbare Lektüre, dass man nie den Impuls verspürt, ein paar Seiten zu überspringen. »The Big Payback« ist absurd gut recherchiert, liest sich aber bei aller Standardwerkseriosität wie ein genialer, emotionaler und schlüssiger Schundkrimi. Bei all den zwielichtigen Gestalten, oft fragwürdigen Deals und haarsträubenden Plots ist das aber auch kein Wunder. Kannste dir nicht ausdenken.

Text: Ralf Theil

Deutscher Gangstarap – Zwischen Affirmation und Empowerment (2013)

Martin Seeliger
(Posth Verlag)

Im Schatten des deutschsprachigen Gangstarap hat sich in den vergangenen 15 Jahren eine Fülle an meist aus der Szene selbst hervorgegangenen medialen Angeboten etabliert. Demgegenüber ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung zur gesellschaftlichen Kontextualisierung des Subgenres bis zum heutigen Tag augenfällig lückenhaft. Eines von wenigen Standardwerken in akademischer Dimension ist Martin Seeligers im Berliner Posth Verlag erschienener Band »Deutscher Gangstarap – Zwischen Affirmation und Empowerment«. Der Text liefert eine soziologische Perspektive auf Deutschraps offensichtlich kontroverseste Stilrichtung und versucht, ihre kulturellen Wesensmerkmale im Angesicht diverser gesellschaftlicher Voraussetzungen herauszustellen. Der Verfasser geht davon aus, dass Gangstarap in der Regel eng an eine prekäre soziale Situation seines jeweiligen Schöpfers gekoppelt sei. Im Verlauf seiner Ausarbeitung gräbt Seeliger tief und argumentiert präzise. Obgleich seine langatmigen Eingrenzungen spezifischer Begriffe im vorderen Teil des Buches dem einen oder anderen Leser stellenweise als lästig erscheinen dürften, stellt sich gerade die lupenreine Definition der strittigen Terminologie »Popmusik« für den weiteren Fortgang des Textes als unabdinglich heraus. Erst daraus resultierend gelingt es Seeliger nämlich, die unmittelbare Verzahnung von Popkultur und kapitalistischer Verwertungslogik schlüssig auf Gangstarap zu übertragen und anschließend die ersten Adaptionen vom HipHop aus den urbanen »Ghettos« Amerikas in den deutschen Sprachraum erklärbar zu machen. Eine Kernthese seiner Publikation ist die Behauptung, dass das Aufkeimen einer Rap-Kultur in der BRD nicht von der westdeutschen Migrationsgeschichte der vorangegangenen Jahrzehnte zu trennen sei. Diese Annahme wird im für eingefleischte Rap-Fans vermutlich unterhaltsamsten Abschnitt des Bandes mit einem übersichtlichen historischen Abriss verschiedener Ausprägungen des Subgenres aus den vergangenen Dekaden untermauert. Überaus spannend, wenn auch wieder deutlich theoretischer, ist auch die daran anschließende Analyse der im Gangstarap allgegenwärtigen Bezugspunkte »Geschlecht, Ethnizität, Klasse und Körper«. Nach Seeliger sorgen ebendiese Faktoren in ihrer gegenseitigen Verzahnung für eine Verstärkung gesellschaftlich allgegenwärtiger »hegemonialer Männlichkeit«. Zusammenfassend erkennt der Autor auf dem breiten Feld des Gangstarap sowohl progressive als auch rückständige Potenziale. Sein Buch kann, obwohl es bereits im Jahr 2013 erschienen ist, ideal als zeitgerechte Referenz für wissenschaftliche Arbeiten dienlich sein.

Text: Alex Barbian

Hip Hop Family Tree (2014)

Ed Piskor
(Fantagraphics Books)

Bücher sind eine lehrreiche Sache, aber zuweilen doch etwas trocken. Wer seine Bildungslücken in Sachen HipHop-History schließen möchte, ohne schnöde Schinken zu wälzen, sollte zum »Hip Hop Family Tree« greifen. Autor und Zeichner Ed Piskor versetzt den Leser zurück in die Zeit der ersten Blockpartys und erzählt die Geschichte unserer Lieblingskultur nach. Dabei schaut Piskor nicht nur bekannten Ikonen wie DJ Kool Herc, Grandmaster Flash und Afrika Bambaataa über die Schultern, während sie HipHop aus der Taufe heben, auch weniger schillernde Personen, die eher im Hintergrund an der Entstehung eines gesamten Genres beteiligt waren, werden umfangreich beleuchtet. So hat der »Hip Hop Family Tree« auch für abgebrühte Szenekenner haufenweise Trivia in petto, die durch liebevolle Nacherzählungen und stimmige Zeichnungen bestechen. Mit bemerkenswerter Treffsicherheit bewegen sich Piskors Illustrationen elegant zwischen akkuratem Realismus und comichafter Überzeichnung, was die glamourös-flashige Ästhetik des späten Siebziger- und frühen Achtiziger-HipHop nicht nur perfekt ins Medium Comic übersetzt, sondern den Darstellungen der Akteure auch genügend kosmetische Alleinstellungsmerkmale verleiht und so stets Übersicht gewährleistet. Die ist auch dringend notwendig, denn die Vielzahl an Charakteren, Handlungssträngen und Ereignissen ist selbst für Kenner schlichtweg erdrückend. Das New Yorker Nachtleben mit seinen angezapften Laternen und selbstgebauten Soundsystemen entspinnt sich nämlich binnen kürzester Zeit zu einem Wirrwarr aus Beefs, Plattenverträgen und Battles; besonders letztere werden mit geradezu animeartigem Detailgrad auserzählt und ziehen sich teilweise über einige Seiten hinweg. Die dynamische Panel-Gestaltung hält dabei stets einen angenehm flotten Drive aufrecht und bringt die hitzige Atmosphäre früher Jams beeindruckend einnehmend zu Papier. Ed Piskor ist ohne Frage ein HipHop-Fan mit Leib und Seele, der weiß, wovon er spricht, und die Eigenheiten und Nuancen der Kultur versteht und zu vermitteln weiß. Allerdings muss sich auch die deutsche Übersetzung nicht verstecken, die den Slang und das Vokabular der Ur-Rapper respektvoll und unpeinlich ins Deutsche überträgt, in den richtigen Momenten aber auch unangetastet lässt. Ein rundes Ding von Liebhabern für Liebhaber!

Text: Skinny

1 Kommentar

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein