Wie Soundcloud HipHop für immer verändert hat // Features

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Vor ein paar Jahren wusste niemand, wer Chance, The Rapper ist. Er fing dann an, Songs bei Soundcloud hochzuladen … und dann gewinnt er einen Grammy für das beste Rapalbum und sagt in seiner Rede: »Danke Mama, Papa, Soundcloud.« Wie verdammt cool ist das, bitte? CEO Alex Ljung und sein Team brachten ihr Streaming-Startup mit der weißen Wolke auf orangenem Hintergrund im Jahr 2007 online und veränderten HipHop für immer.

Das Design ist schlicht, das Konzept intuitiv: eine künstlerorientierte Plattform, die nach dem Vorbild von Flickr oder Vimeo als Portfolio, aber vor allem auch als Begegnungsebene dient. Elf Jahre nach ihrem Launch hat sich an der Devise der Soundcloud wenig verändert: Sie soll eine freigeistige auditive Spielwiese und kreativen Nährboden für die Ideen ihrer Nutzer bieten. Die erste Hochphase des Projekts dominiert die EDM-Szene dank einer Unmenge von Kinderzimmer-Producern, die von gecrackter Software und der sporadischen Copyright-Überwachung der Seite profitieren. Die Soundcloud wird zunächst Mutterhafen des Hypes für Dubstep- und Dance-Ikonen wie Skrillex und Flux Pavilon sowie Trap-DJs wie RL Grime, deren Musikkatalog zunächst fast ausschließlich über ihre dortigen Profile abrufbar ist.

Ende 2012, mit bereits 15 Millionen Nutzern an Bord, ändert ein umfangreiches Update die Dynamik des Dienstes: Reposts und Playlisten ermöglichen nun Fans das Erstellen von Mixtapes und das Verbreiten der Musik ihrer Lieblingskünstler. Dazu kommen die »Explore« beziehungsweise »Continuous Play«-Funktionen, die nach Ende eines Songs automatisch ähnliche Tracks spielen, etwa in der Form eines Spotify-Radios – klingt heute banal, gibt aber aufstrebenden Künstlern durch cleveres Benutzen von Tags die Chance, mit ein bisschen Glück ihre Tracks in eine dieser automatisch erstellten Playlists zu Songs größerer Künstler rutschen zu lassen. In weniger als einem halben Jahr verdoppelt sich die Nutzerzahl. Auch die Aktivität auf Profilen von Majorlabels wie Interscope oder Warner Music nimmt deutlich zu.

Wie sich in der Folge das Phänomen, das heute gerne als »Soundcloud-Rap« verrufen wird, herausgebildet hat, lässt sich leichter nachvollziehen, wenn wir den »Sound« erst einmal aus der Formel entfernen. »Cloud Rap«, ein ähnlich mystisches Sub-Genre, zu dem irgendwie jeder und doch kein Künstler gezählt wird, erblickt gegen Ende der Nullerjahre das Licht des Internets, geboren aus ätherischen Clams-Casino-Beats und Lil Bs sagenumwobenem Mixtape-Grind. Dazu eine Prise Houston-Slang mit Memphis-Attitüde und durch A$AP Rockys »Live.Love.A$AP« zeichnet sich 2011 endgültig ab, was Odd Future schon einige Jahre zuvor prophezeit hatten: HipHop legt sein schablonenhaftes Denken ab, HipHop kann erfolgreich Indie sein, HipHop ist in Sound und Publikum nicht mehr regional gebunden und HipHop ist so experimentierfreudig wie lange nicht mehr.

Verschiedene Movements aus Tumblr, Myspace und diversen Mixtape-Hostern stoßen ab 2013 intensiv innerhalb der Soundcloud aufeinander und erschaffen einen Schmelztiegel der Kreativität, der HipHop in kürzester Zeit zum relevantesten Genre der Plattform macht. Aufstrebende Rapper, die vormals noch Foren durchforsten mussten, fanden nun Produzenten, Features und Feedback in Fülle an einem Ort vor. Es geht nicht um die direkte Konkurrenz zu etablierten Rap-Größen, es geht darum, in ständiger (unfreiwilliger) Schwarmintelligenz den nächsten großen Sound zu finden. Und mit mehr als zehn Stunden hochgeladenem Audiomaterial pro Minute wurde es buchstäblich zu einer Frage der Zeit, wann die ersten Künstler in den Fokus des weiteren Rap-Kosmos geraten würden.

Spätestens als Yung Lean und Yung Gud, zwei nord(ost)europäische Teenager mit »Ginseng Strip 2002« und »Kyoto« in ironisch japanischer Emo-Ästhetik der Szene zwei Mini-Hits verschaffen, wird Soundcloud als die Talentschmiede wahrgenommen, die sie schon immer war. Lean ist ein damals 17-jähriger weißer Durchschnittstyp, seine Texte bewegen sich aber zwischen Massen an willigen Frauen, harten Drogen, Traurigsein und Arizona Ice Tea. Die Absurdität seines Charakters, gepaart mit seinen amateurhaften Rap-Skills und einem ebensolchen Abmischen seiner Stimme führte, ähnlich wie bei seinem Vater im Geiste, Lil B, zunächst zum Meme-Status, aber auch zu einem kleinen Personenkult und öffnete die Tür für eine Flut an Sonderlingen und Paradiesvögeln, die ihm folgen.

KÜNSTLER WIE LIL PUMP, LIL UZI VERT UND XXXTENTACION SIND KEINE KLASSISCHEN RAPPER MEHR, UND SIE ENTSCHEIDEN SICH BEWUSST GEGEN JEGLICHE KONFORMITÄT.

Der bereits erwähnte Chance, The Rapper baute auf seinem Profil mit seinem Mixtape »10day« eine beachtliche Fanbase auf, bevor er durch »Acid Rap« zum neuen Posterchild der Chicago-Szene aufstieg und 2014 Teil der XXL Freshman Class wurde. In seiner Musik porträtiert sich Chance gern als hibbeligen Endorphin-Junkie, der sich nicht um seinen schiefen Gesang oder sein Offbeat-Rapping schert, sondern primär einen emotionalen Fingerabdruck über seine Lyrics hinaus vermitteln will. Und genau das sollte auch die Marschrichtung der nächsten Jahre bleiben. Ausproduzierte Tracks, verschachtelte Lyrics und Promophasen sind etwas, das zumindest in der Speerspitze des Soundcloud-Raps zunehmend an den Rand gedrängt wird. Die Szene bewegt sich für aufwändig aufgezogene Releases einfach zu schnell, »swagger jacking« und Ideendiebstahl sind außerdem innerhalb der Community an der Tagesordnung.

Die Folge ist die von Puristen so verteufelte Punk-Phase von HipHop, in deren Blüte wir uns gerade befinden. Neue Klangsphären tauchen fast täglich auf und wieder ab, Rap verschmilzt mit jedem erdenklichen Genre und dekonstruiert sich am Fließband. Künstler wie Lil Pump, Lil Uzi Vert und XXXTENTACION sind keine klassischen Rapper mehr, und sie entscheiden sich bewusst gegen jegliche Konformität. Sie sind Rockstars wie Lil Wayne, Marketinggenies wie Soulja Boy, haben die spielerische Ignoranz eines Chief Keef durch das Internet geerbt und sind jetzt dabei, auch die Charts zu erobern.

Der Effekt, den die künstlerische Philosophie dieser Soundcloud-Generation auf HipHop hat, ist enorm. Ihr Erfolg ist ein Hauptgrund dafür, dass man heute dank Streaming auch ohne CDs Chartrelevanz hat. Ihre aggressive Vermarktungsstrategie trifft den Zeitgeist der Jugend und polarisiert die Medien. Labels werfen heute Plattenverträge auf jeden, der nur vielleicht diesen Siegeszug der Individualisten fortsetzen kann. Die Ideologie dieser Jahre wird die Plattform Soundcloud lange überleben, sie wird sich nur ein neues Ventil suchen. Was die Soundcloud-Rapper kreiert haben, ist, unabhängig davon, wie man persönlich zu ihrer Musik steht, die völlige Entgrenzung dessen, was HipHop sein kann – eine Art weltweite Jam-Session der Stile. Und der größte Gewinner bleiben letztendlich die Fans.

Dieses Feature erschien erstmals in JUICE #185. Die aktuelle Ausgabe im Shop versandkostenfrei bestellen.

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