»We culture. Rap is the new rock ’n roll. We the rockstars.« Diese legendären Zeilen aus Kanye Wests ohnehin erinnerungswürdigem Interview mit Zane Lowe stellten 2013 die Weichen für das, was heute den Erfolg von neuen Protagonisten des Rap ermöglicht. Berührungsängste zwischen Subkulturen sind aufgelöst, und Rapper haben die Rolle der ewigcoolen Rockstars übernommen. Lil Uzi Vert ist einer von ihnen. Der Rapper aus Philadelphia ignoriert mit einer kindlichen freude in Stein gemeißelte Traditionen von HipHop – und gehört gerade deswegen zu den spannendsten Künstlern seiner Generation.
Trotz des HipHop-Hypes interessieren sich viele junge Künstler nicht für die Wurzeln des Genres: Lil Yachty nennt Biggie überbewertet. Vince Staples vermisst einen Kanye in den Neunzigern. Und Lil Uzi Vert? Der weigert sich, beim Radiosender Hot 97 über einen DJ-Premier-Beat zu freestylen. Kein junger Rapper würde je über »Old Man Beats« flowen, sagt er. Und er schon gar nicht, er sei schließlich Rockstar. Das kann man respektlos finden. Oder ehrlich.
Geboren wurde Lil Uzi Vert als Symere Woods am 31. Juli 1994 in Philadelphia. Als Kind in den mittleren Zweitausendern wird er mit dem großspurigen Rap der Zeit sozialisiert. Aber anstatt HipHop für immer Treue zu schwören, hört er auch theatralische Rockbands wie My Chemical Romance oder Paramore. Zum Rappen kommt er zufällig. Aus Neid eifert er seinem rappenden Freund William Aston in der Highschool nach und fängt an zu freestylen, erst nur aus Spaß. Doch als Aston ihn wirklich ins Studio einlädt, merkt er, dass ihm die Sache ernster wird. Als Steak Town Zombies machen sie sich in der Stadt einen Namen. Musikalisch adaptiert Uzi 2012 zunächst den sorgenfreien Swag-Rap eines Wiz Khalifas, ätzt aber schon ein Jahr später ellenlange Verse auf klatschende Lex-Luger-Imitate.
Während sein Freund Aston schließlich auf der Strecke bleibt, lässt sich Uzi von dem lokalen DJ Buzz Worthy managen. Durch ihn kommt Uzi an den inzwischen von Kanye gekrönten Trap-Produzenten Charlie Heat, der ihm den grotesk fiesen Beat von »UZI« auf den zappeligen Leib schneidert. »UZI« markiert nicht nur Uzis ersten überregionalen Erfolg, sondern gelangt auch in die Ohren des einflussreichen DJs und Produzenten Don Cannon. Man mag es im Jahre 2017 kaum glauben, aber Lil Uzi Verts Musik ist nicht durch Soundcloud-Algorithmen an Cannon geraten, sondern über das Radio, als der gerade Auto fuhr. Der atemlose Flow und die selbstbewusste Attitüde gefallen Cannon, und er lockt den jungen Rapper, der gerade bei seiner Mutter rausgeschmissen wurde, nach Atlanta, um einen Major-Vertrag bei Generation Now zu unterschreiben. Das war 2015 und Uzi noch ein Geheimtipp.
In Philadelphia konnte Uzi mit seinem akkuraten Flow und juveniler Alles-egal-Haltung zwar aus der Masse herausstechen, in Atlanta allerdings, dem Nährboden für innovativen Trap-Rap, muss er sich angesichts der immensen Konkurrenz mehr einfallen lassen: Für sein Durchbruchs-Mixtape »Luv Is Rage« erhebt Uzi Widersprüchlichkeiten zur Kunstform. Seine Liebe für die textlichen Sensibilitäten des Emocore manifestieren sich ebenso darin wie seine Affinität zum Turn-up. Trapping with tears in my eyes, sozusagen. In androgynen Outfits belgischer Avantgarde-Designer lallt Uzi in der einen Sekunde seine Triolenverse, in der anderen heftet er jede Silbe peinlich genau an den Takt. Melodische Pop-Punk-Refrains kleben an purpurschimmernden Synthie-Beats. Pubertäres Selbstmitleid trifft pubertäre Selbstbeweihräucherung. Zugegeben, Uzi ist bei weitem nicht der einzige und nicht der erste, der diesen Stil fährt, aber im Gegensatz zu Young Thug oder Future profitiert er von seiner Jugendlichkeit. Er wirkt wie der nette Nachbarjunge, wenn er auf Instagram postet, dass er »Dragonball Z« schaut oder sich filmt, wie er lächelnd auf dem Rücksitz zur Rockband Paramore tanzt. Uzi wird zur Identifikationsfigur.
Seine Songs knacken anschließend Millionenhürden auf Soundcloud und Youtube und katapultieren den selbsterklärten Rockstar Lil Uzi Vert in die Öffentlichkeit. Uzi, der anfangs eigentlich nur die Aufmerksamkeit seiner Mitschüler erregen wollte, hat nun die Aufmerksamkeit ganz Rap-Amerikas. Statt einzuknicken, antwortet er in den letzten zwei Jahren mit einem konstanten Output. Die Mischung aus trällerndem Herzschmerz und stylisher Blasiertheit zahlt sich aus: Millionen Follower, ausverkaufte Shows samt brachialen Stagedives und Meetings mit Kanye West kann sich Uzi nun in den Lebenslauf schreiben. Mit einem Part auf Migos’ Kassenschlager »Bad & Boujee« erreichte er sogar die Platz eins der Billboard Charts. Und das alles mit 23. Keine Frage, Lil Uzi Vert hat es in rasanter Geschwindigkeit geschafft, ein HipHop-Rockstar zu werden. Aber was kommt danach? Die kalte Leere eines Lifestyles an der Spitze. Und eben jener depressive Hedonismus hat sich schon immer als erstklassige Inspiration für Künstler herausgestellt.
Auf seinem jüngst erschienenen Debütalbum »Luv Is Rage 2« beklagt er in bestem Emo-Pathos Hoffnungslosigkeit, gescheiterte Beziehungen und das Verhältnis zu seiner Mutter, vergisst dabei aber nie klarzustellen, welchen Designer er trägt, wenn er mal einen Kollaps erleidet. Seine eingängigen Hooks bepflastert er mit Sprüchen, die das verlorene Myspace-Zeitalter wiederzubeleben scheinen: »All my friends are dead, push me to the edge«, säuselt Uzi auf der zugehörigen Single »XO Tour Llif3«. Lil Uzi Vert ist kein ausgefeilter Lyriker, ihm geht es allein um den Ausdruck; um das, was passiert, wenn er Trauer und Eigenlob ästhetisch zusammenrauschen lässt. Es ist ungeduldige Musik, die keinen Unterschied mehr machen will zwischen Schmachten und Ausrasten.
Dass das alles bei den konservativen Hardlinern des HipHop-Traditionalismus nicht ankommt, ist klar, schließlich schwelgen diese noch nostalgisch in einer Zeit, in der sich musikalische Subkulturen voneinander abgrenzten. Nun, wo diese Grenzen sich durch die Möglichkeiten des Internets allmählich aufgelöst haben, macht Uzi einzig das, was HipHop schon immer ausgemacht hat: samplen. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass er sich nicht an Funk und Soul orientiert, sondern an Emocore und Industrial Rock. Und damit ist er nicht alleine: Wer heute auf ein Konzert von kontemporären Rappern geht, sieht keine gemütlichen »HipHop-Arme« mehr in der Luft, sondern Moshpits und Stagedives. Die Ausdrucksformen von HipHop verändern sich stetig. Und irgendwann ertappen wir uns wohl selbst dabei, wie wir der nächsten Generation vorschreiben, was HipHop ist und was nicht.
Text: Lukas Klemp