Nicki Minaj – OMG! Look at her butt! [Feature]

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Nicki Minaj Pressebild 05 2012 - CMS Source
 
Vor wenigen Wochen strapazierte ein Video nicht nur unseren Server, sondern auch das Klickbarometer der Online-Plattform Vevo, die Blutzirkulation vieler Männer und die Nerven einer jeden Frauenrechtlerin. Nicht, dass Nicki Minaj je weg gewesen wäre, aber sie war zurück – in gänzlich eigener Mission sah und siegte sie schon, bevor ihr drittes Album »The Pinkprint« überhaupt auf Amazon vorzubestellen war. »Anaconda« heißt das Meisterstück von einer Single, das wiederum Wochen zuvor die Medienlandschaft alleine aufgrund des Covers lauthals kreischen ließ. Hätte man zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass dies beim besten Willen erst der Anfang ist, hätte man sich die Hysterie wohl für das später erscheinende Video aufgespart. 19,6 Millionen Klicks in 24 ­Stunden. Das haben selbst Miley Cyrus und ihre Abrissbirne nicht geschafft. Bis zur Abgabe­ ­dieser Ausgabe sind es über 241 Millionen Klicks. Darüber sollten wir reden.
 
Wer Nicki Minaj ist, dürfte der ganzen Welt mittlerweile bekannt sein. Manche bezeichnen sie als Lady Gaga des Rap, Barbie, Popschlampe, Hure, Ikone oder auch Comicfigur. Eine Frau, die im Laufe der Jahre mit etwaigen Imagekreationen eine Karikatur ihrer selbst geschaffen hat. Frisuren in allen Ausführungen und Farben, ein Make-up, das kein Platz für Makel lässt, Korsagen und Lingerie, Stilettos und reichlich nackte Tatsachen. Nicht zu vergessen: ihr Markenzeichen, die einzige Konstante ihrer äußerlichen Erscheinung – ihr Po, der schon jetzt in die Geschichte eingegangen ist.
 

 
Dass Nicki ihr wahrlich korpulentes ­Hinterteil stets in Szene zu rücken weiß, ist keine ­Neuheit. Auch in dem Video zu »Anaconda« spielt – wie so oft – ihr Po die tragende Rolle. Der rappende Arsch steht mit seinen vier Freundinnen im Dschungel. Freundinnen, die Nicki, wie sie im Interview mit dem ­Radio­sender Power 106 Los Angeles verriet, ausgesucht hat, weil diese das typische »Roundaway Girl« darstellen. Die lasziven Blicke, die eindeutigen Posen und die fröhlich vor sich hin vibrieren­den Buns erinnern zeitweise an mitter­nächtliche Softpornos auf DMAX. Und die Reizüberflutung des Clips ist spätestens dann geglückt, wenn Ananas, Banane und Co. auf Turntables ihre Runden drehen und pinke Dre-Speaker im Kiefer eines Totenkopfes ­platziert werden. Absurd und zusammenhangslos geht es weiter: Es folgt ein Po-Training mit den Mädels, eine Kitchen Scene im knappen Hausfrauendress, inklusive Sahne in jeglichen Ritzen und Kastration einer Banane, sowie eine Privatvorstellung für Labelkollege Drizzy, der am Ende noch nicht mal anfassen darf.
 
Was man nach erster Betrachtung dieses Videos mitnimmt, dürfte je nach Geschlecht und Auffassung irgendwo zwischen Erregung, Empörung, Bewunderung und ­Faszination liegen. Was die Klickzahlen des Videos aussagen: »Sex Sells«. Wieder, oder besser: noch immer. In der Popkultur und vor allem im HipHop sind die seit Jahrzehnten ­anhaltenden Stereotypen nur partiell ad acta gelegt ­worden. Die Frau findet sich immer wieder in der Rolle des charakterlosen sexuellen ­Objektes – weibliche Beistellware, die gegen eine mit ähnlichen oder gar besseren körperlichen Vorzügen beliebig austauschbar ist.
 
Zuhauf und zu Recht wurde diese ­Darstellung der Frau in der Vergangenheit kritisiert. Geändert hat sich im Mainstream wenig. ­Rapperinnen wie Queen Latifah damals oder Angel Haze heute, die mit einem talent­fokussierten Image jenen Stereotypen wenig bis gar nicht gerecht werden, finden sich häufig in der Schublade »emanzipatorisch/­bisexuell« wieder, und werden, aller ­Voraussicht nach nie am Tor der oberen ­Erfolgsriege anklopfen. Und hiermit ist die ­Riege um Jay Z, Kanye und Drake gemeint, der sich Nicki Minaj mit großen Schritten nähert.
 

 
Nun kommt diese Thronanwärterin also erneut mit einem Video, das den üblichen Rahmen sprengt, in dem alle ­erdenklichen Klischees der Szene auf die Spitze ­getrieben werden. Jeder würde ­vermutlich ­unterschreiben, dass Nicki damit das vorherrschende Bild der Frau im HipHop befeuert. Oder verpasst sie vielmehr der gängigen Rollenverteilung den letzten Stich zum ­schleichenden Tod? Hat dieses Video vielleicht mehr zu bieten als wackelnde ­Arschbacken und Riesenhupen?
 
Was bei all der übertrieben sexualisierten Darstellung wenig Beachtung findet, ist der Text von »Anaconda«. Und damit ist nicht die eingängige, Sir Mix-A-Lots »Baby Got Back« entnommene Hook gemeint, sondern der eigens von Nicki Minaj geschriebene Text. Er erzählt die Geschichte von Troy aus Detroit und Michael, der gerne Motorrad fährt. Beide haben eine Affinität zu Drogengeschäften. ­Nicki genießt wiederum die daraus resultierende monetäre Zuwendung beider, bis es im Zuge eines schlechten Drogenrausches zum Eklat kommt. Nachdem der Verdacht laut wird, sie ließe aufgrund ihres ausgeprägten Gesäßes kein Essen aus, nimmt sie sich ihre Toyboys wortwörtlich zur Brust: »Come through and fuck him in my automobile/Let him eat it with his grills/And he tellin’ me to chill« und schließlich: »So I pulled up in the jag/And I hit him with the jab like/Dun dun dun dun dun«. Nicki nimmt hier zweifelsohne die dominante Rolle ein. Nicht sie wird gefickt – wie es häufig formuliert wird –, sondern sie fickt. Und das in ihrem eigenen Auto. Verkehrte HipHop-Welt.
 
Über eine tiefere Intention lässt sich zwar nur mutmaßen, doch es entsteht der Eindruck, dass Nicki aus der Not eine Tugend macht. Man könnte ihr nachsagen, sie vereinnahme vorherrschende Stereotypen: die Rolle, die ihr als Frau in der Geschichte des HipHop gegeben wurde, die des sexuellen Objektes. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass Nicki die Hauptfigur in ihrem eigenen Film spielt und damit einen aktiven Part einnimmt, was nicht zuletzt der Text verdeutlicht. Aus dem sexuellen Objekt wird also das sexuelle Subjekt. Das gleiche Phänomen kann man in ihrem Video zu »Lookin’ Ass« beobachten. Darin macht Nicki im Netzkleidchen sexy Posen auf einem Stuhl, rechnet aber auf textlicher Ebene mit all den erbärmlichen »Ass N***as« ab, die ihr tagtäglich auf den Arsch starren. Im Grunde bedient sie sich damit einer gängigen Form des Feminismus, nämlich derjenigen, mit Freizügigkeit aufs Frau-Sein zu bestehen, ohne dabei Gefahr laufen zu müssen, zum sexuellen Objekt degradiert zu werden.
 

 
Das Rad erfindet sie mit ihrer Vorgehensweise nicht neu, schließlich konnten schon Lil’ Kim und Foxy Brown mit dem Image der über­sexualisierten Alpha-Frau im HipHop ihre Erfolge verbuchen. Aber es gibt ihn, den Unterschied zwischen Kim, Foxy und Nicki. Denn Nicki hat sich nicht nur mit zahlreichen Features zum Must-Have eines jeden US-Rappers gemausert und einen weitreichenden Einfluss erkämpft, sondern sich auch durch das Verlassen ihrer musikalischen Wurzeln und mit Ausflügen in Popsphären zum ­absoluten Superstar entwickelt.
 
2012 sagte sie im Interview mit JUICE: »Ich will ein Mogul werden. Auch um zu zeigen, dass eine Frau im HipHop ein Mogul sein kann.« Nicki hinterlässt derzeit zweifelsohne ihre auffälligen, pinken Spuren in der Welt des Rap – der Erfolg gibt ihr Recht. Ist aber der Weg des hypersexualisierten Alpha-Weibs die einzige Möglichkeit für eine Frau im HipHop, trotz ausgezeichneter Skills entsprechende Anerkennung zu bekommen? Und eröffnet sich mit dieser diskrepanten Vorgehensweise womöglich nicht nur die Chance, ein Mogul zu werden, sondern auch vorherrschende Stereotype in die Knie zu zwingen?
 
Antworten auf diese Fragen sind vielleicht Auslegungssache. Es ist aber ­durchaus davon auszugehen, dass in einem ­patriarchalisch dominierten Genre eine Frau nicht nur durch ihr Können, sondern auch in Form ihrer Äußerlichkeiten überzeugen muss. Wäre Nicki nicht die, die sie heute ist, sondern immer noch das etwas aufmüpfige Mädchen aus Queens, das in Jeans, pinkem Tanktop und mit großen goldenen Kreolen an den Ohren schmutzige Lines spittet, wäre sie aller Voraussicht nach nicht da, wo sie jetzt ist. Und das Ende der Stereotypen? Wohl kaum, schließlich bewegt sich Nicki Minaj nach wie vor in ihrem Rahmen, dem Rahmen des Popbiz, der besagt: »Sex Sells«, und die verkaufsförderndste Darstellung einer Frau ist die, in der Frau ein Objekt der Begierde darstellt, womit wir wieder am Anfang wären. Um in Nicki Minaj überhaupt eine Form des Feminismus erkennen zu können, bedarf es einer ausführlichen Auseinandersetzung mit ihr als Phänomen. Der Rezipient hingegen sieht ein Video, voller wackelnder Ärsche und Hupen, und bekommt damit genau das vorgesetzt, was im HipHop von einer Frau ­erwartet wird. »My Anaconda don’t want none/Unless you’ve got buns, hun!« ◘
 

 
Dieses Feature erschien in JUICE #163 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
 
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