»Ich will auch ein Mogul werden« // Nicki Minaj im Interview

-

nicki_minaj_juice_134

Die Fronten sind verhärtet am rosa Freitag. Nicki Minaj habe mit ihrem zweiten Album ihre Lorbeeren des »Monster«-Verses und des On-her-own-shit-Eminem-Mordes endgültig verspielt, ­sagen die einen. Die Pop-Nummern seien egal, sagen die anderen, weil sie Großraumdisco-, ­Christopher-Street-Day-, WorldStarHipHop- und Rap-am-Mittwoch-Gänger unisono hinter ihrem Gesäß hat. Fakt ist: Nicki Minaj braucht sich mit ihren Albenverkäufen nicht vor ihren Cash-Money-Brüdern Lil Wayne und Drake zu verstecken, sie tingelt wie kaum ein anderer Prominenter über rote Teppiche und Mainstream-Mattscheiben, sammelt Feature-Anfragen wie Nagellackfläschchen und zeigt zumindest auf einer Handvoll Album-Tracks, dass sie noch immer besser rappen kann als Crooked I, Papoose und Tech N9ne zusammen.Man fragt sich zwar, was das soll, wenn Nicki in Faux-Cockney das Intro zu Kanyes wunderbar verrückter Fantasie spricht oder sich am Strand neben Maori-Chippendales in DSDS-Pose räkelt oder in fragwürdiger Verkleidung bei Tim Westwood zu ihrem (vermeintlichen) Twitter-Exitus Stellung nimmt oder ob das jetzt wirklich artifizielle Popopolster sind oder ob sie wirklich Drake geheiratet hat. Und jedes Mal hat man eine Antwort parat: Egal, die rappt krass. Oder machen wir uns alle einfach nur was vor, weil wir diese Frau aus 50 Cents Hood, die auf Smack-DVDs geflext, Jigga gekillt und riesige Hupen hat, um jeden Preis im HipHop-Kosmos behalten wollen? Von Nicki will eben jeder ein Stück abhaben. Donatella Versace und die Mode-Journaille, Gucci Mane und die Auto-Zeitschriften, Madonna und die Schwulenclubs, Ellen Degeneres und die zwei süßen Mädchen im Tutu, Will.I.Am und die Pepsi-Marketingabteilung. Irgendwie verständlich, dass sie es nicht so interessiert, wenn der HipHop-Fan »I Used To Love H.E.R.« sagt.

Der Punkt, an dem Nicki Minaj als Repräsentationsfigur für alle weiblichen Rapper herhalten musste, ist überschritten. Längst konkurriert sie mit Pop-Sternchen wie Lady Gaga, Katy Perry und Ke$ha um die kurzen Aufmerksamkeitsspannen der Mainstream-Hörer. Auf den diesjährigen Grammys lieferte sie eine theatralische Performance ab, bei der sie als übersexualisierte Sünderin dem kirchlichen Exorzisten entgegentrat und dabei weder Anzüglichkeiten noch Dekolleté über ihre Singstimme hinwegtrösten konnten. Wieso sie nicht einfach nur rappt, hat einzig und allein ihr Management zu verschulden. Entweder, weil es Nicki zu dieser übertriebenen Pop-Scheiße zwingt, oder weil es ihr die Ich-kann-alles-Überambitionen nicht ausredet. Nicki Minaj steht mittendrin in der maschinell betriebenen und A&R-getriebenen Radiohit-Reißbrett-Hölle. Aber wer sollte es ihr verdenken?

Die Geschichte von Onika Tanya Maraj, die im Alter von fünf Jahren von der Trauminsel Trinidad in die Ghetto-Hölle von Queens zog und nur mit Hilfe von Fantasiewelten und erfundenen Alter Egos die Realität aus Armut sowie suchtkrankem und gewalttätigem Vater ertrug, wurde weitläufig erzählt. In der uramerikanischen Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Logik ist neben Dollarzeichen und Nullstellen kein Platz für eine Schulnote in Qualität. Den Beweis dafür trägt Nicki Minaj auf ihrem linken Oberarm in Form eines chinesischen Schriftzeichen-Tattoos immer bei sich. Wer es von Sozialhilfeschecks über die LaGuardia High School of Music & Art bis zum Good Life in Miami ohne Betty-Ford-Center-Mitgliedschaft schafft, der darf auch mal mehr Wert auf »Pop« als auf »Kultur« legen. Eine Künstlerin mit Missys Entertainer-Qualitäten, dem Flow von Eminem und der Attitüde der frühen Lil Kim lässt man sich gerne aufschwatzen. Die HipHop-Szene hängt spätestens dann an ihren Lippen, wenn sie Drake, Young Jeezy und Nas auf einem Song vereint, klassische Mixtape-Songs in ihr Blockbuster-Album integriert, mit Baby und Weezy Geld zählt, simplen Straßen-Feminismus mit Schimpfwortgeballer oder Stripclub-Hymnen mit 2 Chainz macht – und irgendwie auch, wenn sie um ihren in Brooklyn erschossenen Cousin trauert.

Was im Kleinen für die HipHop-Szene funktioniert, gelingt ihr auch im großen Ganzen. Der eigentliche Erfolg des Phänomens Nicki Minaj: Sie führt erfolgreich unterschiedliche Zielgruppen zusammen. Nicki Minaj schichtet nicht nur in ihrer Künstlerpersona, sondern auch auf ihren Alben unterschiedliche Charaktere wie russische Matrjoschka-Puppen übereinander, doch übelgenommen wird ihr das verwässerte Image nicht. Auf dem Song »Champion« heißt es in ihren eigenen Worten: »This is for the hood, this is for the kids/This is for the single mothers and niggaz doing biz.« Der Erfolg – hier unterscheidet sie sich keinen Deut von den Kollegen, mit denen sie in einer ­kommerziellen Liga spielt – gibt ihr recht.

Vor etwa drei Jahren hat dich Wayne auf Young Money gesignt. Hat sich das auf deine Ambitionen als Rapperin ausgewirkt?
Als ich Wayne getroffen habe, hatte ich von dem ganzen Spiel keine Ahnung. Ich war aber unglaublich hungrig. Ich habe mich wie eine Schülerin gefühlt. Ich habe Waynes Arbeitsmoral bewundert. Manchmal habe ich das Gefühl, dass er keinen Schlaf braucht. Er schafft ständig etwas Neues. Wenn ich ihn ins Studio begleitet habe, hat er ständig diesen Eindruck vermittelt. Wenn er dann fragte, ob ich auch auf den Song wolle, habe ich sofort meinen Part im Studio geschrieben. Mit Wayne zu arbeiten, heißt, schnell zu sein. Du musst sofort anfangen zu schreiben und etwas abliefern. Auf diese Weise bist du immer mit deinen Grenzen konfrontiert und du musst dich ständig weiterentwickeln. Mittlerweile ist Wayne fast ein Mogul. Und meine Ansprüche haben sich dahingehend auch verändert. Ich will auch ein Mogul werden. Auch um zu zeigen, dass eine Frau im HipHop ein Mogul sein kann. Auch wenn sie mal eine Rapperin war. Dieses Ziel will ich erreichen.

Wayne hat dir ja zum ersten Mal auf einem Mixtape einen Shout-out ­gegeben. Mixtapes waren zu Beginn deiner Karriere für deinen Erfolg ­essenziell.
Absolut. Wenn es Mixtapes nicht gegeben hätte, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Der Shout-out von Wayne auf »Drought 3« war das Beste, was mir hätte passieren können. Mein Telefon hat nicht mehr aufgehört zu klingeln. Von allen Seiten kam mit einem Schlag ein sehr großes Interesse. Sogar von den Jungs aus der Hood. Das hat meinem Selbstbewusstsein unglaublich gut getan. Die Nachfrage nach meinem Mixtape auf der Straße war unglaublich groß. Das kannte man von einer Rapperin eigentlich nicht.

Bist du denn als New Yorkerin mit Mixtapes aufgewachsen?
Auf jeden Fall. Wir waren immer auf der Suche nach den heißesten Mixtapes, weil man darauf die besten Rapper zu hören bekam. Auf Mixtapes konnte man die besten Lyrics hören. Das hat uns begeistert, weil wir so was nicht im Radio hören konnten. Ich hatte alle DJ-Clue-Mixtapes. Zu der Zeit kamen auch viele neue DJs dazu. DJ WhiteOwl und Big Mike zum Beispiel.

Andere Mainstream-Rapper wie B.o.B. bringen immer noch Mixtapes raus, als wenn sie ihr Rap-Gewissen ­damit ­beruhigen wollten. Dein letztes ­Mixtape ist schon ein wenig her.
Das stimmt. Das liegt daran, dass ich meine Alben teilweise wie Mixtapes sehe. Auf meinem neuen Album sind die ersten acht, neun Tracks klassische Mixtape-Songs. Ich muss also kein eigenes Mixtape rausbringen. Sowohl auf meinen Mixtapes als auch auf meinen Alben versuche ich immer, verschiedene Genres zu mischen. Klar gibt es die Nummer-eins-Dance-Songs wie »Starships«, aber der Großteil des Albums hört sich an wie ein Mixtape. Viele Leute missverstehen das und glauben, mein Album würde nur wie »Starships« klingen. Das stimmt aber gar nicht. Songs wie »Champion«, »Roman Reloaded« oder »I Am Your Leader« mit Rick Ross und Cam’ron sind nichts anderes als Mixtape-Tracks. Ich brauche kein Mixtape, um Mixtape-Musik zu machen. Die Mixtape-Kultur werde ich wegen meines Erfolgs nicht vernachlässigen. Vielleicht wird auch in Zukunft wieder ein Mixtape von mir kommen. Ich sehe sowieso auch meine Feature-Parts zum großen Teil als Mixtape-Momente. Bei mir kommen eben alle auf ihre Kosten.

Hast du das Gefühl, dass du zu Beginn deiner Karriere unter Beweis stellen musstest, dass du mehr als eine Rapperin bist, jetzt aber zeigen musst, dass du nicht nur eine Mainstream-Künstlerin, sondern auch eine Rapperin bist?
In gewissem Maße, ja. Aber ich bin mir sicher, dass ich die Leute, die es nicht verstehen wollen, auch mit den besten Lines nicht überzeugen könnte. Ich finde nicht, dass ich mich erklären muss. Es kommt viel zu oft vor, dass sich Menschen über deinen Erfolg lustig machen. Es gibt eben Rapper, die mehr können als nur rappen. Und es braucht diese Künstler. Meine Lieblingskünstler haben sich nie auf nur eine Art von Musik festgelegt. Lil Wayne oder Kanye West machen Musik, die du dir in ganz unterschiedlichen Stimmungen anhören kannst. Egal ob es dir schlecht oder gut geht. »808s & Heartbreak« war ein großartiges Album, Waynes »How To Love« ein großartiger Song. Und beide waren nicht zwangsläufig Rap. Mir geht es immer um den Künstler als Person und dessen Integrität in Bezug auf die HipHop-Kultur.

Zu welchen Rappern hast du früher aufgeschaut?
Jay-Z habe ich immer bewundert. Als Rapper hatte er einen sehr großen Einfluss auf mich. Genau wie er wollte ich immer auch intelligent rüberkommen, wenn ich rappe. Wie das funktioniert, hat Jay-Z gezeigt. Er hat seine Lyrics nie vereinfacht dargestellt. Er hat dich dazu gezwungen, dass du das Lexikon aus dem Regal holst und Wörter nachschlägst. Sein Wortschatz war viel größer als der anderer Rapper. Das hat mich immer fasziniert. Er hat immer einen auf dicke Hose gemacht, war dabei aber immer intelligenter als der Rest.

Wer waren damals deine Helden in der ­Nachbarschaft?
Jay und Biggie. Aber auch Remy und Foxy Brown. Wegen ihnen war ich stolz, aus New York zu sein. Zu ihnen habe ich aufgeschaut und mir gewünscht, dass ich irgendwann mal an ihrer Stelle sein kann. So ist New York eben. Wir haben diese »Eye Of The Tiger«-Mentalität. Hier musst du dich schnell beweisen – oder du verpisst dich besser von hier. Was glaubst du, wieso ich so einen starken Willen habe?

Interessant, dass du nur Leute aus Brooklyn nennst. Gibt es niemanden aus Queens?
Du hast recht. Ich habe auf jeden Fall Nas vergessen. Du kannst dir nicht vorstellen, was es mir bedeutet, dass er auf meinem neuen Album vertreten ist. Ich bin unglaublich stolz, neben einer Ikone aus Queens wie Nas zu rappen. Früher war Nas für mich irgendwie ungreifbar, obwohl er aus Queens war. Ich war aber immer auch stolz auf die Jungs aus Brooklyn. Ich bin früher viel in Brooklyn abgehangen. Für uns waren Queens und Brooklyn ein und dasselbe. Und aus all diesen Einflüssen habe ich dann meinen eigenen Rap-Style entwickelt.

Und wie ist es dann dazu gekommen, dass du auf einmal zu den Top-5-Rappern der Jetztzeit zählst?
(lacht) Gute Frage. Ich glaube, das hat in erster Linie mit meiner Beharrlichkeit zu tun. Man kann über mich sagen, was man will, aber meine Qualitäten als Lyricist kann man nicht bestreiten. Diese Momente, die dich erstaunen, dich zum Lachen bringen oder einfach nur sprachlos hinterlassen, wenn ich eine Nicki-Minaj-Line droppe, kann mir niemand nehmen. Ich bin ein Lyricist – ich stehe in einer Tradition mit deinen Lieblingsrappern Jay, Kanye und Wayne. Umso stolzer macht es mich, dass ich als Rapperin meine Grenzen immer weiter ausdehne. Ich werde auch weiterhin Texte schreiben, die dich geschockt zurücklassen. Ich bin ein Produkt meiner Einflüsse, aber ich habe meine eigene Nische geschaffen.

Text: Alex Engelen

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein