Schon seit einer ganzen Weile kürt die XXL jährlich ihre persönlichen »Freshmen«. 2014 sind es ganze zwölf MCs, die das Cover unserer amerikanischen Kollegen zieren. Ausgezeichnet wurden dieses Jahr vor allem Künstler, die entweder schon Hit-Singles verbuchen konnten (Ty Dolla $ign, Rich Homie Quan) oder Mixtapes beziehungsweise Alben veröffentlicht haben, die medial bereits ordentlich abgefeiert wurden (Vic Mensa, Chance The Rapper, Isaiah Rashad und andere).
Doch auch eine Ebene weiter unten in der Fame-Liga geht aktuell mindestens genauso viel. Die Talente, die wir an dieser Stelle – und in weiteren Posts – vorstellen wollen, sind nicht nur jung (trotzdem aber verdammt gut), sondern auch alle von Grund auf verschieden: Sie kommen aus Chicago, Charlotte, Atlanta und New York. Manche rappen auf Trap-Beats, andere über klassische Boombap-Instrumentals. Und einige von ihnen fügen ihrem Rap zudem Facetten hinzu, die auf der Genre-Landkarte bis dato nicht existent waren. So gibt dieses Special nicht nur einen Überblick über die Hype-Themen der nächsten Monate, sondern liefert vor allem den Beweis, dass es immer noch kein Genre gibt, das sich so sehr durch Vielfalt auszeichnet wie Rap.
Lucki Eck$
Ecksism
Chicago’s kids are still not alright. Den Beweis dafür liefert noch immer und vor allem die Rap-Musik, die aus der Stadt ins Internet schwappt. Auf der einen Seite stehen Kids wie Chief Keef, die (nicht nur) verbal mit Knarren hantieren und vom sozialen Aufstieg träumen, und auf der anderen Seite Träumer wie Chance The Rapper, die ihr Seelenheil im Rausch suchen und in Rap-Tracks ihren Alltag verarbeiten. Ein wenig verloren und perspektivlos wirkt jedoch die Musik beider Fraktionen. Selbiges gilt auch für die Songs von Lucki Eck$, der zwar noch nicht mal volljährig ist, aber schon jetzt wirkt wie ein voll entwickelter Künstler.
Anders. Das ist wohl das Attribut, das Lucki Eck$ am häufigsten zugeschrieben wird. Die Blogger, die den Chicagoer Rapper so beschreiben, haben damit genauso Recht, wie sie Unrecht haben. Zwar klingt die Musik tatsächlich anders als all das, was die anderen Kids aus Chicago den glücklichen Rap-Konsumenten momentan so dahinzaubern, irgendwie aber auch nicht. Ganz eindeutig macht Lucki Eck$ jedenfalls keine Drill-Musik. Rollender 808-Terror kommt in seiner Kunst nicht vor – und dabei feiert er den »G-Shit« von Chief Keef, Lil Durk & Co. eigentlich total, wie er in seinen (bisher) wenigen Interviews verlauten lässt.
Seine Instrumentals lässt er sich von Freunden schrauben, die Plu2o Nash und Hippie Dream heißen. Den Stoner-Namen dieser Jungs entsprechend, klingen diese eher samtig weich und manchmal arg vertrippt. Seine stärksten Songs (beispielsweise »Count On Me«) kommen häufig sogar fast ohne Drums aus. Die Stücke auf seinem ersten großen Wurf »Alternative Trap« zitieren wahlweise die Cloud-Rap-Produktionen von Clams Casino oder den schwermütigen Soft-Pop der in HipHop-Kreisen beliebten (siehe Kendrick Lamar und The Weeknd) Indie-Kapelle Beach House. Trotzdem scheitert auch dieser (an dieser Stelle naheliegende) Vergleich. Um ihn einfach in dieselbe Ecke wie Chance The Rapper und Vic Mensa zu stellen, die ihn beide merklich beeinflusst haben, ist er wiederum ein zu schnörkelloser Rapper. Melodische Bögen schlägt Lucky Eck$ selten, dafür zeichnet sich seine Musik noch stärker durch den Fokus auf versponnene Wortspiele und lyrische Aussagen aus, die meist im Ungefähren bleiben, und doch eine sehr intensive Atmosphäre aufbauen – und damit eher an die Westküsten-Supertalente Earl Sweatshirt und Vince Staples erinnern.
Man könnte also sagen, in Lucki Eck$ verbinden sich die Stärken einiger der momentan aufregendsten Rapper zu einem Künstler, der dennoch ganz für sich steht. Mit »Alternative Trap« hat er nicht nur die relevanten Tastemaker im Netz erreicht, sondern auch die Industrie auf den Plan gerufen. Gemanagt wird er von Andrew Barber, der als Chefredakteur des Blogs »The Fakeshore Drive« schon seit Jahren einer der größten Förderer vieler Talente aus Chi-Town ist. Danny Brown hat ihn unlängst mit auf Tour genommen. Und zu guter Letzt tauchte Lucki vor einigen Wochen mit einer starken Strophe an der Seite von Ratking-MC Wiki auf dem Remix der King-Krule-Single »Neptune Estate« auf. Ein Signing beim Indie-Riesen »XL Recordings« (bei dem sowohl King Krule als auch Ratking untergebracht sind) dürfte nur noch Formsache sein. Ach ja, der junge Mann ist übrigens gerade mal 17 Jahre alt.
Text: Sascha Ehlert
Lil Silk
Atlantas neue Seide
Was ist nur mit Atlanta los? Ein Hype-Rapper nach dem anderen entspringt der Südstaaten-HipHop-Metropole, und jeder scheint noch wahnwitziger zu sein als sein jeweiliger Vorgänger. Mit Future nahm die Ahnenlinie der neuen ATLiens ihren Ursprung, führte dann weiter zu Migos und Rich Homie Quan, dann weiter zu Young Thug und nun noch einen Schritt weiter zu Lil Silk. Dieser 19-jährige Rapper, der in Georgia aufgewachsen ist, mittlerweile aber in Chicago lebt, hat einen der – je nach Perspektive – nervigsten oder hittigsten Songs des Jahres 2014 geschrieben. Das Stück heißt: »Rapper«.
Ach nee, wie kreativ: Ein Rapper, der erklärt, dass er ein Rapper ist. Genau so grenzdebil (oder eben grenzgenial) wie dieses Song-Konzept wirkt, klingt der Track auch. Versucht man anderen Leuten zu beschreiben, was Lil Silk auf diesem Song tut, kommt man mit seinem Latein recht schnell ans Ende. Man erzählt vielleicht davon, wie Silk zu Beginn des Songs zunächst noch kindlicher und mehr Banane als Lil Wayne (übrigens sein erklärter Lieblingsrapper) kichert, bevor er sich zu reichlich banalen Zeilen versteigt, und schließlich eine der bescheuertsten Hooks überhaupt in die Welt quietscht: »Lil Silk’s a rapper. I’m a rapper! Big Silk’s a wrapper. Bricks, bricks, whooo!« Zwischendurch jauchzt, piepst und fiept er in der ihm höchst möglichen Tonlage vor sich hin – sein Adlib-Game ist völlig außer Kontrolle. Das dazugehörige Video gibt sich bewusst simpel. Es zeigt den daueraufgeregten Protagonisten an der Seite von zwei Damen, die sich an den Körper des Rappers reiben und Astronautenhelme tragen.
All jene, die jetzt überhaupt noch dabei sind, denen sei gesagt: Vielleicht habt ihr gerade euren neuen Lieblings-MC gefunden. Zugegeben, eine steile These. Aber Lil Silk beim Rappen zuzuhören hat vor allem eine Wirkung auf ihm wohlgesonnene Hörer: Man lacht mit ihm und spürt seine Freude darüber, dass er, nun ja, Rapper ist, in jeder Textzeile. Zudem ist das Mixtape, mit dem Lil Silk in den Fokus der internationalen Musik-Journaille geriet, eine starke und runde Angelegenheit. »Son Of A Hustler« ist zwar eine vorhersehbar trappige Angelegenheit, aber glücklicherweise hantiert Lil Silk sehr kreativ mit seinen wenig innovativen 808-Gewitter-Beats und erlaubt sich auch gelegentlich kreative Ausflüge an die Grenzen des Sub-Genres. Spielfreude lautet das Stichwort, mit dem sich am besten erklären lässt, warum Lil Silk trotz fehlender lyrischer Tiefe zu den spannendsten neuen Acts jenseits des Atlantiks zählt.
In seinen besten Momenten erinnert er tatsächlich an sein Idol Weezy F Baby in seiner stärksten Phase. Er klatscht Absurdes aneinander, während seine Stimme auf- und abhüpft und sich überschlägt. Lil Silk selbst gab unlängst in einem Interview zu, dass seine Musik ziemlich merkwürdig klinge: »Scheiße, die ist echt verrückt. Zur Hölle, ich weiß ja nicht mal selbst, was ich als nächstes sagen werde.« Gleichzeitig hat der Wahnsinn auf gewisse Weise dann doch Methode. In einem anderen Interview erklärte Lil Silk vor einiger Zeit, er würde seine lyrischen Ergüsse stets in Hochgeschwindigkeit und ohne Beat auf Papier runterrattern. Erst danach rappt er sie schließlich im Studio auf einen Beat ein und dehnt Worte und Zeilen so, dass Text und Musik eine gemeinsame Ebene finden. Eine interessante Strategie. Man darf mit Spannung darauf warten, was dem jungen Querkopf Lil Silk in dieser Manier noch einfallen wird.
Text: Sascha Ehlert
Illustrationen: Tim Köhler
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