Lila Wolken liegen über Oakland. Die Kids sind alles andere als alright und betäuben die Tristesse mit Purple Drinks, Blackberry Kush und MDMA. Main Attrakionz, bestehend aus Squadda B und Mondre M.A.N., inszenieren diesen Schauplatz aus der Vogelperspektive. Die beiden Zyniker zeichnen düstere Aussichten über verschwommene Soundkulissen, treffen einen empfindsamen Nerv der Zeit und bringen so die Bay Area als Innovationsstandort zurück auf die Blogs.
Mitte der 2000er. Damondre Grice und Charles Glover III gehen in die siebte Klasse, als sie sich auf dem Schulflur der Carter Middle School in Oakland kennenlernen und zwei Gemeinsamkeiten entdecken: Beide sind aus dem Mathe-Unterricht geflogen. Und beide rappen. Sie verbrüdern sich, träumen fortan von der Karriere als Teenie-Rap-Stars und üben in Damondres Keller die Posen von Kris Kross und Lil Bow Wow. Auf einer alten Karaoke-Maschine nehmen sie über die Beats von Lil Flip (»Game Over«) und The Clipse (»Grindin’«) auf. So entstehen die ersten analogen Tapes, mit denen sich Damondre und Charles bei lokalen Casting-Shows vorstellen und an den Bandwettbewerben ihrer High-School teilnehmen. Der Re-Call erfolgt jedoch erst Jahre später, im Internet.
Hier beginnt die Sphäre von Main Attrakionz: über den Wolken und in der Cloud. Die im Syrup-Suff vorgetragene Kiffer-Paranoia des Duos treibt schwerelos auf Synthie-Schwaden, Ambient-Samples und 808s. Auf den bösen Trip im Irdischen folgt der Eskapismus ins Digitale, wo eine irrsinnige Anzahl an Bandcamp-Mixtapes kursiert und das Duo zu LoFi-Kings hochstilisiert wird. Clams Casino, der sich ähnlicher Stilmittel bedient und bereits an seinen Esoterik-Arrangements aus runtergepitchten Walgesängen, Enya-Chants, Björk-Vocals und anderen Random-Samples frickelt, lernen sie über den befreundeten Based God kennen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Physiotherapeut aus New Jersey dem Dadaisten mit »I Am God« bereits seinen größten Hit geschenkt. Der Song gilt heute als Geburtsstunde dessen, was sich kurz darauf als Cloud-Rap zu einem der meistzitierten Subgenres der letzten Jahre entwickelt. »Als wir das erste Mal Beats von Clams gehört haben, waren wir überwältigt, weil wir eine ähnliche Sound-Vision im Kopf hatten. Er kannte uns bereits, und wir haben uns direkt an gemeinsame Tracks gesetzt«, beschreibt Mondre den ersten Kontakt.
»808s & Dark Grapes II« erscheint 2011 und bringt den Schizo-Kosmos von Squadda B und Mondre M.A.N. erstmals einer breiteren (Netz-)Öffentlichkeit näher. Die Wetter- und Drogen-Referenzen sowie die erhabene Atmosphäre der Produktionen macht es den Schreibern denkbar einfach. Aus der Wolke wird die größte Blase der Stunde und A$AP Rocky, Clams Casino und Lil B zu Profiteuren des Hypes. Squadda und Mondre schaffen es allerdings nicht, die Blog-Begeisterung in bare Münze zu verwandeln.
Weit weniger heiter als die Wolkenmetapher den Eindruck erwecken mag, sieht das Szenario aus, das Main Attrakionz von da oben berappen. »I Smoke Cause I Don’t Care About Death« benennt Squadda eines seiner Mixtapes. Mondre beichtet auf der Jay Z-Hommage »Regrets«: »I sold it all from crack to MDMA« und nimmt damit Bezug auf seine musikalische Sozialisation und den Paradigmenwechsel seiner Generation im Umgang mit chemischen Substanzen. Es regnet und blitzt aus Wolke Sieben.
Online, wo Squadda Ressourcen für seine neuartigen Klangbilder findet, knüpft er Kontakt zu Ryan Hemsworth, der sich unmittelbar vor seinem Blog-Durchbruch als Remix- und Solo-Künstler befindet. Der Kanadier mischt und mastert ihr »Chandelier«-Mixtape und hilft bei »Tag Champz« als Executive Producer aus: »Ryan hat ein wahnsinniges Ohr und Gespür für unseren Stil. Er macht auch großartige Beats, hat aber keinen direkten Einfluss auf unseren Sound genommen. Wir waren immer schon sehr zugänglich für andere Genres«, gesteht Squadda.
Wie weit das Spektrum von Main Attrakionz reicht, zeigt ein Blick auf ihre Studiopartner: Neben Gucci Mane, Waka Flocka Flame, Danny Brown und Shady Blaze aus dem Green-Ova-Umfeld, teilt man sich Dropbox-Ordner mit dem Berliner Dubstep-Frickler Kuedo oder Grown Folk, einem Future-Bass-Duo aus Montreal. Im kreativen Schmelztiegel der Bay Area, im Norden Kaliforniens, tritt das Duo bei Punkrock-Shows auf und bespielt Crossover-Festivals.
Main Attrakionz spielen nicht mit afrozentristischen Symbolen, doppelten Böden oder Verschwörungstheorien, von denen sie nichts verstehen. Ihr desillusionierter Kosmos erinnert eher an den Realo-Flügel der frühen Odd-Future-Clique: Hier ist die Welt einfach schlecht, weil sie schlecht ist. So tut Mondre auch jegliche neue Conscious-Strömung ab: »Ich würde das keine Bewegung oder Haltung nennen. Das ist einfach das, was im Internet gerade gefeiert wird.«
Will man ihre musikalischen Wurzeln verorten, muss man die Geschichte der Bay Area betrachten, wo die Hyphy-Sprösslinge mit den Lokalhelden E-40 und Too $hort aufwachsen, Mac Dre und Luniz pumpen und später die hyperaktiven Flows von Keak Da Sneak und Yukmouth auswendig lernen. Ihr Debütalbum »Bossolinas & Fooliyones« erscheint Ende 2012, basiert auf einer dialektischen Slang-Zusammenführung von Spice 1 und C-Murder, zwei weiterer Stil-Ikonen der Westküste, und geht, trotz guter Kritiken, im VÖ-Wahn des Weihnachtsgeschäfts etwas unter: »Das war unser erstes physisches Release; das richtige Debüt und zugleich ein Traum, der in Erfüllung ging. Wir konnten mit all den Produzenten arbeiten, die dafür nötig waren. So bekam das Album ganz andere Facetten.«
Die G-Funk-Hymnen von Harry Fraud und einem Dutzend unbekannterer Produzenten zeigen eine Weiterentwicklung zum I-Cloud-Rap ihrer frühen Projekte und zugleich eine Rückbesinnung auf den Sound ihrer Jugend und Heimat. Die LoFi-Ästhetik weicht sommerlichen Westküsten-Bangern, auf denen man sich erinnert, für wen man das hier tut: die Bay Area. »Der Hyphy-Sound hat sich im Kreis gedreht und überdauert. Aber die eigentliche Bedeutung und der Lifestyle, der dahinter steht, sind noch präsent. Die Leute hier suchen noch immer nach einem ureigenen Sound«, betont Mondre abschließend die Eigenarten der Metropol-Region um San Francisco. Auf seinem anstehenden Solo-Debüt »They Say I Struggle Rap« begibt Mondre sich zurück auf diese Suche, taucht wieder in die düstere Parallelwelt von »808s & Dark Grapes II« ein und jagt Dämonen hinterher. Und selbst, wenn er singt: »It’s All Good«, dann klingt es, als sei alle Hoffnung verloren.
Text: Carlos Steurer
Fotos: Presse