Mortis: »Eigentlich ist Scheitern doch auch geil« // Interview

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Mortis ist angekommen. Mitte der 80er-Jahre im Südharz geboren, verschlug es den sympathischen MC und Produzenten für die Musik zuerst nach Hannover, um vor gut zwei Jahren dann in Berlin zu landen. Man kennt das Spiel. Hier ist die Szene groß, hier sind die Kontakte vorhanden. Doch Mortis ging es hierbei weniger um den allgegenwärtigen Coolnessfaktor des hauptstädtischen Club-Mate-Volks, sondern vielmehr um den Blick in die Ferne. Zu eng sah er die Grenzen seiner Kleinstadtidylle, die zwar Heimat, aber nicht Zuhause war.

Mit dem frisch reaktivierten Traditionslabel Showdown im Rücken, veröffentlicht Mortis, heute ohne den Zusatz »One«, nun ein erstes, neuerliches Lebenszeichen. Eine EP namens »Der goldene Käfig«. Im Background Berlin, im Vordergrund die Suche des Protagonisten nach dem eigenen Weg zwischen nächtlichen Kotti-Eskapaden und verletztem Herzen. Und über all dem thront der musikalische Anspruch eines vordergründig wohl unerwarteten Kanye-West-Fans. Mortis ist angekommen. Vorerst.

Was bedeutet dir »Heimat«?
Heimat ist die Provinz, aus der ich komme. Heimat ist wie Familie. Das kannst du dir nicht aussuchen. Meine gesamte Kindheit und Jugend habe ich im Südharz verbracht. Das ist, wo ich herkomme. Aber »Zuhause« ist für mich etwas komplett anderes. Zuhause kann ich mich innerhalb von zwei Stunden auch ganz woanders fühlen. Das erklärt vielleicht auch, warum ich alle halbe Jahre umziehe – sei es in eine andere Stadt oder nur in eine andere Wohnung.

Was braucht es denn, dass sich ein Ort für dich nach Zuhause anfühlt?
Eigentlich brauche ich nur mich. Und Musik.

Und warum Berlin?
Ich bin nicht dieser karrieregeile Typ, der nur wegen dem Business und dem Umfeld nach Berlin gekommen ist. Ich hatte schon vorher viele Freunde hier und war dementsprechend eh häufig in der Stadt. Auch mein Mindstate ist Berlin, außerdem bin ich durch die ganzen Westberlin-Tapes total geschädigt (lacht). Eigentlich wäre Berlin die Stadt gewesen, in der ich hätte aufwachsen sollen. Ich bin kein Fremdkörper und die Leute hier akzeptieren mich. Ich habe zwei Wochen in Weißensee gewohnt, da war ich schon cool mit den ganzen Ultras, und die haben mich als Berliner aufgenommen.

Wie sehr beschäftigt dich denn diese nicht abreißen wollende »Ur-Berliner versus Zugezogene«-Diskussion?
Am Ende geht es doch nur um Respekt. Du kannst nicht in irgendeine Stadt kommen und dich wie ein Idiot benehmen. Deswegen hasse ich diese ganzen Touristen. Vor zehn Jahren wäre das in Berlin nicht möglich gewesen. Da hätte es Kopfnüsse geregnet. Ich bin auch nur zugezogen, und obwohl ich das Geld gehabt hätte, wollte ich nicht diesen Mietpreisterror unterstützen und gebürtige Berliner aus ihren Wohnungen vertreiben, weil die Mieten wegen irgendwelcher reicher Neu-Berliner ansteigen. So etwas geht nicht klar. Der Prenzlauer Berg ist doch das beste Beispiel: da ziehen Leute in Wohnungen über Clubs und beschweren sich dann, dass es zu laut ist. Es gab früher zehn oder 20 krasse Clubs dort. Jetzt ist da so gut wie gar nichts mehr! So ein Verhalten ist doch scheiße. Wenn ich zu dir nach Hause komme, dann frage ich doch auch, ob ich mir die Schuhe ausziehen soll und ob ich drinnen rauchen darf oder lieber nach draußen gehen soll. Diese Empathie ist bei vielen Leuten aber einfach nicht vorhanden.

Auf »Zuhause« sprichst du über das Aufwachsen auf dem Dorf. Wie betrachtest du deine Jugend im Rückblick?
Irgendwie waren die Leute dort wahnsinnig. Da chillen türkischstämmige Jugendliche mit scheiß Nazis, jeder ist alles und auch wieder nichts und keiner reflektiert richtig, was er da tut. Mich hat das damals schon sehr eingegrenzt. Also habe ich schon früh nicht mehr wirklich viel Wert auf die Schule gelegt und bin zum Malen und Musik machen jedes Wochenende, und später auch unter der Woche, mit dem Zug irgendwo hingefahren. Meist nach Braunschweig und Hannover. Damals gab es ja auch noch Jams. Und irgendwann bin ich dann ganz nach Hannover gezogen und habe im Wohnungsflur meines DJs gepennt. Ich brauchte ja nicht viel: ein paar Klamotten und eine Matratze. Ich wollte einfach frei sein und meinen Horizont erweitern.

Wenn man sich deinen musikalischen Werdegang anschaut, hat man das Gefühl, dass du heute viel mehr stilistische Einflüsse zulässt. Stimmst du mir da zu?
Absolut. Man sieht ja nur das, was ans Tageslicht gekommen ist. Und manchmal hat es eben gereicht, einen 16er auf einen Beat zu packen. »Rosenstolz« ist da ein gutes Beispiel. Aber so etwas macht man dann auch eben, wenn Figub (Brazlevič, Anm. d. Red) den Beat macht. Wirklich schade, dass unser gemeinsames Projekt niemals erschienen ist. Aber ich selbst war schon immer sehr offen. Ich habe früher in einer Punkband gespielt, mit Funk-Musikern gevibet, Techno produziert und Schlagerquatsch mit Rap gemischt. Da gab es immer schon verschiedenste Ansätze. Und auf der EP bekommen das jetzt auch endlich mehrere Menschen mit.

Du hast einmal Kanye West als große Inspiration herangezogen.
»My Beautiful Dark Twisted Fantasy« und »Yeezus« sind herausragende Alben! Aber am Ende geht es einfach nur darum, auf was man gerade Bock hat. Und jetzt hatten Nobodys Face und ich einfach Lust darauf, musikalischer an die Produktionen heranzugehen. Wirklich länger auch an allem zu sitzen und detailreicher daran zu arbeiten. Es ist immer noch straighte Rap-Musik mit 808-Drums und so weiter, aber eben auch weitreichender. Schlussendlich kannst du aber ja auch auf alles rappen (lacht). Auf Alben haben mich immer die Momente beeindruckt, in denen du plötzlich alleine mit der Musik warst und etwas passiert, was gar nicht hätte sein müssen – eine neue Instrumentierung am Ende oder ein neues Sample oder ähnliches; etwas, das sich dann einfach gut anhört, weil es passt. So etwas finde ich schön.

Wo würdest du die EP im aktuellen Geschehen einordnen?
Die Songs sind nicht ekelhaft bedeutungsschwanger; es ist immer noch Lyricism; eine krasse Bildsprache, aber trotzdem kryptisch; die Drums sind krass, da kann auch kein Backpacker haten. Ich würde natürlich behaupten, dass es solche Songs in Deutschland nicht gibt. Aber eigentlich ist es auch schwer, das selbst zu beurteilen. Das sollen lieber andere tun.

Rap in Deutschland hat sich momentan ja, wenn man vielleicht zwei, drei Akteure außen vor lässt, lieb und tanzt vergnügt im Kreise des Erfolgs. Wie ist deine Haltung dazu?
Meine gewisse Antihaltung auf »Rosenstolz« bezog sich ja nur auf diese Forenkinder. Und wenn Kay Ones Nase aussieht wie eine Steckdose, na dann ist das eben auch eine lustige Line. Und was Röhrenjeans anbelangt: ich mach mich auch vor meinen Hipster-Freunden darüber lustig. Das sind ja auch alles keine todernsten Statements. Und ich freue mich für jeden, der Erfolg mit geiler Musik hat. Wenn es nach mir ginge, dann würde Tua in Deutschland auf Platz 1 gehen! Aber natürlich kann ich subjektiv genauso darüber urteilen, wenn man bei Künstlern das Kalkül und die Kompromisse in der Musik hört. Ich bin nicht Fan von allem und jedem. Aber wer ist das schon?

Hast du Angst vorm Scheitern?
Nö. Eigentlich ist Scheitern doch auch geil. Denn nur dadurch lernt man was. Das ist wie verliebt sein. Ich bin da eh sehr kamikazemäßig: alles oder nichts. Und wenn die Leute darüber lamentieren, sich nach einer gescheiterten Beziehung auf keinen Fall wieder verlieben zu wollen – das würde ich mir doch niemals nehmen lassen! Du engst dich und deine Gefühle dann komplett ein und nimmst dir das Einzige und Wahre auf dieser Welt. Und genauso sehe ich das mit dem Scheitern: Da laufe ich lieber lachend ins offene Messer (lacht).

Text: Amadeus Thüner
Foto: Max Winter

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