Flying Lotus – Making People’s Heads Explode [Feature]

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Zurück in Los Angeles. Zurück von den kosmogrammatischen Reisen. Zurück in der Hood … Klick, klack, paff! Ein Schuss fällt. Blut sickert dunkelrot. Durch den Geburtsort der Bounty Hunter Bloods, ­Nickerson Gardens, tänzelt ein angeschossener Orpheus. Windet sich in zerbrechlicher Zeitlupeneleganz vorbei an den Halbstarken und an den O.G.s – der Unterwelt entgegen. An der Straße unten wartet schließlich der Fährmann stilecht im Lowrider auf seinen Passagier für eine Tour den Hades hinab. Am Steuer sitzt Steven Ellison, besser bekannt als Flying Lotus. Dessen letztes Album »Until The Quiet Comes« wurde 2012 von einem Kurzfilm begleitet, der die beschriebene Szene als Boyz-N-The-Hood-Poesie bebilderte. Immer wieder fanden sich solche jenseitigen Motive auf den vier ­veröffentlichten Flying Lotus LPs. Mit seinem gerade erschienenen fünften Album macht er nun schließlich Ernst. Aus und vorbei: »You’re Dead!«
 
Ein Albumtitel, der schlicht den Exitus des Gegenübers feststellt. Dazu ein Artwork, das in der typischen, süßlich-brutalen Anime-Ästhetik des Künstlers ­Shintaro Kago menschliche Körper auf verschiedenste Weise zerstückelt. Und über allem schwebend das Projekt, den totgesagten Patienten »Jazz« wiederzubeleben. So ungefähr lasen sich die Zeichen, die das Nahen der fünften Flying Lotus-LP ankündigten. Drohte nach dem morbiden Braggadocio des Captain Murphy – FlyLos rappendem Alter Ego – die ­Stimmung nun vollends in tiefschwarze Schwermütigkeit zu kippen? Nein, der Sound des Albums gibt sich sicherlich undurchschaubar, vielleicht sogar sperrig, aber eben keinesfalls schwermütig. Er windet sich durch verwinkelte Jazz-Fortschreitungen, hastet auf ­Thundercats Bassspiel halsbrecherische Hard-Bop-Lines entlang und badet in Herbie Hancocks Piano-Wizardry. Doch just in dem Moment, in dem du die Platte in die Jazz-Abteilung deines Expedits schieben willst, rennt dich plötzlich ein ­Kendrick Lamar in seinem Katz-und-Maus-Spiel mit dem Sensenmann über den Haufen, Captain Murphy macht seine Nahtod­erfahrungen gar im Beisein von Snoop Dogg und irgendwo auf halber Strecke bleept und blupt dir ein Synthesizer­pattern um die Ohren, das völlig ohne Drums den Kopf zum Nicken zwingt.
 
Die Dinge liegen also verwickelter, als ­zunächst gedacht. Ein dem Tod gewidmetes Konzept­album injiziert hier Jazz und Rap ­gleichermaßen neue Vitalität und feiert das Leben, indem es dessen Ende besingt. Genug Kompliziertheiten also, um Steven Ellison zum Gespräch zu bitten. Als ich ihn in Londons Hoxton District zum Interview treffe, ist wie erwartet von todessehnsüchtiger Melancholie keine Spur, vom Hunger dafür umso mehr. Gerade hat FlyLo die Straßen vergeblich nach dem richtigen Sandwich abgeklappert, später will er endlich seinen Freund Kode9 um die Ecke bei Roughtrade treffen. Vorher drohen noch ungeliebte Telefoninterviews. Aber als die Kellnerin endlich Chicken und Root Beer bringt, ist erstmal alles gut.
 
Das ist das erste Flying-Lotus-Album mit Raps. Wie kommt“s? Hat Captain Murphy dich überredet?
Um ehrlich zu sein, ich brauchte einfach ­Sprache. Nicht bloß Gesang und solches Zeug. Es gab dieses Mal so viel zu sagen zum ganzen Konzept des Albums. Und es war sehr wichtig für mich, diese Ideen rüberbringen zu können, ohne dabei völlig abstrakt werden zu ­müssen. Deswegen die Vocals. Außerdem habe ich ziemlich viel anderes Rap-Zeug gemacht, während ich an dem Album arbeitete. Und ich wollte versuchen, all diese verschiedenen Ideen so zusammenzubauen, dass sie Sinn ergeben.
 
Jede andere Platte, die gerade ein ­Kendrick-Lamar-Feature klarmachen könnte, würde daraus wohl die definitive Single machen. Das tust du überhaupt nicht. Eher behandelst du seinen Part wie all die anderen Elemente, aus denen du deine Klangtextur webst. Denkst du überhaupt in Kategorien wie »Singles« oder »Tracks«, wenn du an einem Album sitzt?
Ich bin nicht der Typ der bloß einzelne Tracks abliefern will. Ich möchte das Ganze als eine lange Geschichte erzählen, wie einen Spielfilm. Eben wirkliche Alben machen und nicht nur einen coolen Track. Vielleicht bin ich da auch eine aussterbende Spezies, aber ich glaube, genau das ist meine Stärke: Die weitere Perspektive. Und Kendrick feiert mein Zeug, weil ich es genau so mache. That’s why he fucks with me. Weil ich es nicht mache wie all die anderen. Ich zweifle da auch oft an mir, weil ich all diese Möglichkeiten hätte, ­Popmusik zu machen. Aber darum geht es mir nicht, es gibt schon genug Leute, die ­genau das tun. Lasst mich einfach das ­machen, worin ich gut bin.
 

 
Apropos Kendrick: Kommt irgendwann das FlyLo/K.Dot-Kollabo-Album, mit all den Beats, die er bei dir eingesackt hat?
Ich hoffe doch. Ich habe schon eine Menge Zeug gehört. Er hat sehr unterschiedliche ­Sachen gepickt, generell mehr rap-freundlichen Kram. Es gibt noch einen zweiten Song, den er eigentlich für mein Album gemacht hat, der dringend rauskommen muss. Das Ding ist unglaublich. Aber das ist letztlich ihm ­überlassen. Er weiß, dass ich da bin, ich habe ihn auf dem Schirm, wenn ich an Beats ­arbeite. Ich hoffe, dass ich auf seinem neuen Album sein werde. Man weiß ja nie, wie das läuft, aber ich habe gehört, es sieht gut aus.
 
In frühen Interviews erzählst du oft, wie du im San Fernando Valley aufwächst, mit nichts zu beschäftigen außer Comics, Videospielen und den Platten von Snoop und Dre. »Doggystyle« nennst du immer noch deine Lieblings-LP. Was Comics und Video­spiele angeht, wurdest du schon mit Captain-Murphy-Shows und einem ­eigenen GTA-Radiokanal geadelt. Wie fühlt es sich nun an, Big Snoop Dogg auf einem deiner Tracks quasi sterben zu lassen?
Hahaha, ja, da schließt sich echt ein Kreis. Ehrlich, es fühlt sich immer noch an wie ein Traum, der plötzlich wahr wird. Ich bin immer noch dieses Kid, das einfach nur Beats macht. Es ist einfach … auch damals … (gerät ins Stocken) »It was all a dream!« (singt Biggies Opening-Line aus »Juicy«) Aber es ist großartig, dass Snoop Teil dieses Albums ist, weil er so eine große Rolle in meinem Leben gespielt hat und sich damit ein Kreis schließt – ein ganzer Lebenszyklus, das ist ja auch die Grundthematik auf »You’re Dead!«.
 
Verfolgst du die US-Rap-Szene im ­Allgemeinen? All die neuen super-­talentierten MCs, die alle fünf Minuten auf irgendeinem Blog auftauchen?
Wer sollte das sein?
 
Sag du’s mir…
Honestly, no one’s fucking with Kendrick right now! Er ist der beste Rapper. Aber ich habe eine Menge Battlerap gehört in letzter Zeit.
 
Irgendwelche Favoriten?
Ich liebe Daylyt. Murder Mook. Loaded Lux. Den alten Kram von Nocando. ­Battlerap macht einfach Spaß, weil die Rapper ihre ganzen Lyrics ohne Beats schreiben. So sind sie viel weitschweifender, können ganz andere Statements bringen. Wenn ich selber Texte schreibe, dann immer auf den Beat. Aber es ist cool, drüber nachzudenken, erstmal ohne Beat zu schreiben, einfach um die Ideen zum Laufen zu bringen und sie dann erst später auf den Beat zu schneidern.
 
Zurück zum Album: An deinen ­frühen Produktionen war das Drum-­Programming und überhaupt das ­rhythmische Layout besonders ­spannend. Das war so…
…shifty…
 
Ja, du kennst ja die ganzen lustigen Adjektive, die dafür erfunden wurden. Auf der neuen Platte bist du mehr und mehr sparsam mit dieser Art von Drums, stattdessen gibt es viel Live-Drumming. Aber dann beendest du das Album mit ein paar wenigen Takten von genau diesen Signature-FlyLo-Drums. Sollte das heißen: »Das ist es doch, was ihr immer noch alle von mir hören wollt«?
Yeah! Der letzte Song heißt ja »The Protest«. Der Chor singt »We will live on forever. We will live on forever.« Dazu sollte es erst ein eher orchestrales Ende geben. Aber dann dachte ich mir: »Alle, die das jetzt hören, warten doch auf diese Drums«. Dann dachte ich: »Nein! Das kannst du nicht machen.« (lacht) But then eventually I was like »Allright, fuck it!« Ich habe dann damit rumgespielt und es fühlte sich an, als bräuchte es genau diesen feierlichen, jubelnden Moment. Lustig, dass dir das aufgefallen ist. Du bist der erste, der danach fragt.
 
Ja? Es ist so offensichtlich. Und es passt so gut in das Konzept. Das Ende wird auf den Anfang zurückgebogen…
Yeah, have the quintessential FlyLo-Beat at the end, yeah.
 

 
Es waren diese »quintessential FlyLo-Beats«, die den Jungen aus Winnetka, Kalifornien, in der Hochzeit der längst vergangenen MySpace-Ära erst zum Hoffnungs- später zum Fackelträger einer weltweit sprießenden jungen Beat-Szene gemacht hatten. Sein 2006 bei Plug Research erschienenes LP-Debüt »1983« hatte schon mit dem ikonisch rumpelnden Bassline-Apparat des Titeltracks den Weg freigestolpert für ein Post-Dilla-Drum­Programming abseits aller Quantisierungs­raster und einen neuen Futurismus im Beatmaking, der auch Boombap-­Traditionalisten zurück in die Zukunft warf. Mit »Los ­Angeles« schaffte er 2008 die ­Unmöglichkeit eines ­gefeierten ­zweiten Albums, das alle ­Erwartungen übertraf, um sich mit dem 2010 folgenden ­»Cosmogramma« in die unendlichen Weiten des Space-Jazz zu verabschieden. Sein ­vielzitierter familiärer Hintergrund hat dabei wohl ebenso wenig geschadet, wie die oft kolportierten Experimente mit ­verschiedenen Halluzinogenen und die Neigung zu ­Wach­träumen. Allerdings brach sich immer ­deutlicher auch eine dunkle Seite Bahn: Der Tod seiner berühmten Großtante Alice Coltrane hat auf »Los Angeles« ebensolche Narben hinterlassen, wie der seiner Mutter später auf »Cosmogramma«. 2012 schließlich stirbt mit nur 22 Jahren der Keyboarder Austin Peralta, auf FlyLos Brainfeeder-Label gesignt, wenige Wochen, nachdem das vierte Album »Until The Quiet Comes« im Herbst veröffentlich wurde.
 
Du hast in den letzten Jahren einige sehr schmerzhafte persönliche Verluste ­erfahren müssen, und…
…hmm…
 
…ich würde sagen, dass man Spuren ­davon auf allen deinen letzten ­Platten ­hören kann, angefangen bei »Los ­Angeles«. Schließt sich mit »You’re Dead!« auch in dieser Hinsicht ein Kreis?
Ja. Ich denke, das Album fasst genau diesen Aspekt zusammen. Sachen, auf die ich immer wieder kleine Hinweise auf den bisherigen Platten eingebaut habe. Es ist die Zuspitzung einer Menge von Ideen.
 
Wann hat sich die Idee entwickelt, dem Tod ein ­ganzes Album zu widmen?
Das Ganze war zunächst ein Witz. ­Thundercat [Bassist und enger Freund von Flying Lotus sowie Künstler auf seinem Label Brainfeeder; Anm. d. Verf.] und ich fuhren durch die Gegend und hörten George Duke und diesen ganzen verrückten Kram und fragten uns: »Warum macht heute niemand mehr solches Zeug?!« Also dachten wir uns: »WIR müssen genau diesen Scheiß machen, der alle umhaut!« Make some shit, that just makes peoples heads explode. Das war der Witz: Du bist hinüber! Aus und vorbei, einfach so – »You’re Dead!«. Und dann dachten wir uns: Moment… – und so wurde aus diesem Spruch ein immer größeres Konzept.
 
Es gibt im Moment diesen großen Strom an Melancholie im Rap und der Pop-Avantgarde überhaupt. Mit den Drakes und Kanyes, die von den depressiven Geistern ihres Ruhmes heimgesucht werden…
Moody, moody. Emo-HipHop… (kaut lachend)
 
Aber dein Ansatz ist ein anderer. Du ­widmest dich dem vielleicht dunkelsten und unheimlichsten Thema – dem Tod –, aber machst daraus nicht wirklich eine dunkle oder unheimliche Platte. Es gibt immer wieder fast euphorische Momente. Bei Kendrick heißt es: »Life and death is no mystery and I wanna taste it«.
Ja, ich glaube, ein Teil der Arbeit an dem Konzept zu »You’re Dead!« war, dass mir klar wurde: Es kann nicht alles schlecht sein. It can’t be all dark and scary and fucked up ’cause everybody is dead. All diese Leute, die ganzen Homies, meine Mom, meine Familie – so viele großartige Leute sind tot. Es konnte also doch nicht so schlimm sein. Wir sollten den Tod viel eher feiern, als nur aus einer negativen Perspektive darauf zu schauen. Der Tod ist deine Zukunft. Die Welt wird eines Tages ohne dich weitermachen. Aber die Einflüsse bleiben, die Dinge, die wir hinterlassen, für die Ewigkeit. Es sollte also mehr als nur ein negatives Statement werden. Ich wollte spielerisch mit dem Thema umgehen.
 
Du hast schon oft erzählt, wie du im Studio mit Herbie Hancock den Plan schmiedest, die futuristische Jazz-Platte zu machen, bei der selbst Miles Davis durchdrehen würde, wenn er kurz aus dem Jenseits auf eine Listening-Session vorbei käme. Das ist so ein wunderbares und gleichzeitig gewagtes Bild.
(Lacht) Yeah, I only said that ’cause Herbie said that. Das war das größte Kompliment überhaupt. Miles ist dieser Typ, der völlig außerhalb der Zeit existiert – jetzt, in der Vergangenheit, er ist omnipräsent. Sie ­drehen gerade diesen Film über ihn. Und Herbie meinte: »Hey, ich will, dass ihr in dem Film auftaucht. Denn wenn Miles hier wäre, dann würde er mit dir und Thundercat rumhängen und an neuem Zeug arbeiten.« Alright, damn!
 
Du bist dafür bekannt, hin und wieder, sagen wir mal, spirituelle Erfahrungen zu machen. Ist er schon mal aufgetaucht, Miles Davis? Vielleicht sogar, um dir zu der »coolen« Platte zu gratulieren?
Haha, nein, noch nicht. Hoffentlich, wenn sie draußen ist! (grinst) Das wäre was…
 
Was waren eure speziellen Tricks, die ihr auf dieser Jazz-LP verwendet habt, um Leute wie Miles Davis oder Herbie Hancock zu beeindrucken?
Wir sind einfach in der Lage, ganz andere Dinge zu tun mit der heutigen Technologie. Sachen, die damals nicht möglich waren. Und das wollte ich zusammenbringen mit wirklich großartigen Musikern und neuen Sounds.
 

 
Kannst du genauer erzählen, wie du als Jazz-Musiker an diesem Album ­gearbeitet hast? Inwiefern steckt ­klassisches Beatmaking dahinter?
Ich habe bei dieser Platte einzeln mit den Leuten aufgenommen, Track für Track. Jeder Musiker war quasi ein eigenes Instrument für mich, was das Ganze dem Beatmaking sehr ähnlich gemacht hat. Manchmal habe ich schon Drums programmiert, dachte dann plötzlich an Keys und haben die direkt mit jemandem aufgenommen.
 
Anstatt durch die Platten zu diggen, versammelst du also diese ganzen Leute um dich. Wie bekommst du die dazu, zu spielen, was du dir vorgestellt hast? Du schreibst ihnen keine Noten auf, oder?
Manchmal mache ich ihnen bestimmte Vorgaben. Wenn es zum Beispiel um Drums geht, sage ich: »Spiel mir ein Drum-Pattern, genau so.« (klopft auf den Tisch) Daraus wird dann meistens eine 45-minütige Session, und daraus suche ich mir Teile, choppe sie, schmeiße den Großteil weg. Und als nächstes fällt mir dann vielleicht eine Melodie oder ein Akkordwechsel dazu ein. Oder Thundercat kommt rein und fängt an, irgendwas zu ­spielen und kleine Dinge hinzuzufügen, sich neue Sachen auszudenken.
 
Die offensichtliche letzte Frage: Was kommt nach dem Tod?
Haha, Ich denke, da ist noch soviel mehr. Ich habe immer geglaubt, dass wir alle Antworten bekommen würden, wenn wir sterben. Alles würde uns enthüllt werden. Unser Zweck auf dieser Erde. Aber das glaube ich jetzt nicht mehr. Ich glaube eher, es wird genauso ­seltsam und genauso verwirrend und wir werden die Dinge aufs Neue lernen müssen. Aber ich glaube, dass wir ewige Wesen sind, dass das hier erst der Anfang ist. ◘
 
Text: Malte Pelleter
Fotos: Tim Saccenti
 
Dieses Interview erschien als Titelstory in JUICE #163 (hier versandkostenfrei nachbestellen).
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