Wie läuft ein Interviewtermin mit Snoop Dogg ab? Audienz beim »Doggfather« // Feature

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»Hast du Lust, heute abend Snoop Dogg zu interviewen?« So eine Frage bekommt man nicht jeden Tag gestellt. Da sagt man natürlich zu. Wir reden immerhin von Calvin »Snoop Dogg« Broadus. Der Typ, dem die blaue Flagge quasi schon bei der Geburt aus der linken Hosentasche hing. Der crippende und creepende, der mit dem Gin, der mit dem Juice. Halt einfach der verdammte Doggfather. Und dann wartet man geschlagene drei Stunden darauf, dass das Telefon klingelt. Doch es bleibt stumm. Besser ist es wohl, den Großmeister in persona festzupinnen. Eins gegen eins in der Hotelsuite. Und wo? Beim europäischen Promo-Tag in – Achtung, Klischee – Amsterdam.

Schnell noch mal das neue Album »Doggumentary« durchgehört, ist aber auch irgendwie egal. Ist halt das elfte Snoop-Album, wieder mit einer Mischung aus den Hit-Producern des letzten Sommers und ein paar Westcoast-O.G.s zusammengekloppt: Lex Luger und Battlecat, Scoop DeVille und Fredwreck Nassar, DJ Khalil und Rick Rock. Ein Interview mit dem zuständigen A&R-Team des Majorlabels würde da vermutlich interessantere Erkenntnisse zutage bringen als ein Gespräch mit dem eigentlichen Protagonisten. Also schnell noch die letzten Samstagabendshow-Interviews gestreamt und ab in den Flieger. Kurz nach Ankunft am Hotel in der Nähe des Amsterdamer Hauptbahnhofes wird bereits durchgegeben, dass wir dem eigentlichen Zeitplan schon zwei Stunden hinterherhinken. Was an diesem Promotag für Snoop Dogg gar nicht geht, so die Pressedame von EMI Holland, sind Fragen über US-Präsident Barack Obama, den Tod von Al-Qaida-Oberhaupt Osama bin Laden, den Talkshow-Zwist mit Oprah Winfrey und, ganz wichtig, Bill O’Riley. Sonst geht aber natürlich alles: Familie, Kinder, sein Footballteam – was einen halt so interessiert aus dem Leben eines Mannes, der wie kein zweiter Gangzeichen in die Luft wirft und gleichzeitig den glaubwürdigen Stargast in der »Sesamstraße« mimt.

Die Journalisten fläzen sich auf den Sofas in der Hotellobby. Einer der Bodyguards trägt eine immense Anzahl KFC-Tüten in der Größe von Ikea-Einkaufsbeuteln durch die Empfangshalle. Snoop Dogg ist mit gut 20 Mann nach Amsterdam gereist und hat den kompletten 5. und 6. Stock für sich und seine Entourage angemietet. Seit einer guten Stunde hat schon kein Interview mehr stattgefunden. Alle warten auf Snoop.

Es ist ein absurdes Verhältnis, das sich über die Jahre zwischen einigen Künstlern, deren Plattenfirmen und Journalisten entwickelt hat: gelangweilte Musiker, die generell keine Notwendigkeit mehr in Interviews zu ihren aktuellen Veröffentlichungen sehen. Verzweifelte Labels, die dennoch eine möglichst flächendeckende Platzierung in den Medien forcieren wollen. Zynische Journalisten, die von solchen Promo-Tagen ohnehin nichts mehr erwarten. Am Ende absolviert der Superstar meist eine lose Abfolge von belanglosen Viertelstunden-Interviews mit strengen Gesprächsvorgaben. Willkommen in einer Promotion-Kampagne von vorgestern.

Auch dieser Tag in Amsterdam droht in diese Richtung abzugleiten. Ein Fernsehteam aus Belgien hat es gewagt, dieselben Fragen zu stellen wie die Kollegen vor ihnen. Vielleicht waren es auch einfach die falschen. Was über Obama, was über Osama. Vielleicht hat Snoop auch nach einer halben Stunde keinen Bock mehr und will lieber fingerdicke Blunts paffen und in den Bucket mit ­überwürzten Hähnchenschenkeln greifen. »Alles abgesagt«, lautet die lapidare Botschaft der Plattenfirmenfrau. Nach einer weiteren Stunde darf wieder aufgeatmet werden: Es geht weiter, aber die beiden Interviews für die deutschen Medien – »Spiegel« und JUICE – werden zusammengelegt. Man setzt sich kurz zusammen: Wie waren noch mal die wichtigen Fragen? Ist der Einstieg gut gewählt oder verärgert man den großen Snoop Dogg damit nur? Egal. Am besten spricht man frei.

»Dann schwingt die Tür plötzlich auf und er betritt den Raum. Kommt reingetänzelt, irgendwie, so blöd es auch klingt, reingesnoopt.«

Abends um sieben dürfen wir endlich hoch. Zu viert. Das belgische Kulturmagazin »Fokus Vif« und die größte holländische Tageszeitung »NRC« wurden jetzt auch noch mit in den 15-minütigen Slot gequetscht. 15 Minuten, vier Journalisten, ein Künstler – das ist nicht nur absurd und gleicht einer kleinen Pressekonferenz; aber wenn man schon mal da ist, nimmt man es halt mit.

Schon im Aufzug riecht es unfassbar nach Gras. Raus aus der Kabine, rein ins ­Vorzimmer der Suite. Aus dem Nebenraum näselt es laut: »Come on, Kobe!« Ein Playstation-Controller ächzt unter der Snoop’schen Bearbeitung. Man stelle sich das einfach mal vor, wie Snoop Dogg gerade im Lakers-Throwback-Jersey mit der Nummer 8 im Sofa versinkt, gemütlich einen durchzieht, das Joypad quetscht und den Polygonen-Kobe auf dem Bildschirm anbrüllt. Es könnte jetzt trotzdem langsam mal losgehen.

Ein Rütteln an der Tür. War er das grad wirklich? Wieder rütteln. Geht die Tür nicht auf? Hat da einer von den wüsten Jungs beim wütenden Playstation-Zocken schon zu viel dran rumgeruckelt? Geht das Aufnahmegerät? Alle Fragen parat? Dann schwingt die Tür plötzlich auf und er betritt den Raum. Kommt reingetänzelt, irgendwie, so blöd es auch klingt, reingesnoopt. Ihm folgen sein Manager und eine riesige Marihuana-Wolke. Frische Adidas-Sneaker, eine schwere Lederjacke, schwarzes Durag, Cornrows mit seltsamen Klunkern dran, Designersonnenbrille. Am rechten Handgelenk baumeln zwei dieser Silikon-Armbänder von Wohltätigkeitsorganisationen, die vor fünf Jahren mal recht angesagt waren. Außerdem: ein Kettchen mit bunten Perlen, die irgendwie essbar aussehen – skurril. Ganz egal, er ist da.

»What’s happenin’?«, singsangt er in die Runde. Händeschütteln. »Wo soll ich sitzen?« Snoop sieht sich fragend um und ist ob der Menge an Journalisten etwas irritiert. Egal, es gibt jetzt kein Zurück mehr. Da müssen wir jetzt alle durch – er und wir. Snoop hat sich gleich drei akkurat gerollte Blunts mitgebracht. Der holländische Tageszeitungsreporter überreicht ihm ein selbstgeschriebenes Buch über HipHop in Holland. Er blättert erst mal durch, wir warten. Einerseits: schlecht. Sein Manager tickert zwar nur gelangweilt auf dem BlackBerry rum, das geht aber trotzdem von der Zeit ab. Andererseits: blätternder Snoop, lächelnder Snoop, nostalgischer Snoop: »HipHop has expanded around the whole world, man.« Snoop zieht das O wunderbar lang, wiegt den Kopf hin und her und grinst. »HipHop has been alive for a long time.« Wieder so ein langes O. Wir sind jetzt voll drin in dem Ding hier.

Erste Frage nach Bootsy Collins. Warum ist er so wichtig für Snoop? »Bootsy ist wie ein Vater für mich. Er hat mir HipHop erklärt. Seine Musik, sein Style, seine Originalität. Er zeigt mir, wie man auch nach so vielen Jahren noch frisch, fly und relevant bleiben kann. Er schafft es immer wieder, die Menschen zum Lachen zu bringen und sie glücklich zu machen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Er war für mich da, als es mir nicht gut ging. Ich habe ihn auf meinem Album, weil ich einfach finde, dass es Sinn macht, den G-Funk und den P-Funk miteinander zu vereinen.« Ist klar, Snoop und Bootsy als Brüder im Geiste, das wusste man natürlich schon. »Von ihm habe ich gelernt, dass man Spaß haben und auf einem Album man selbst sein sollte. Man darf keine Angst davor haben, verschiedene Charaktere und Stimmen zu präsentieren. Just to be cartoonish about it – einfach ein Kind sein.« Bootsy Collins hat Snoop also dazu gebracht, im Studio wieder Kind zu werden. Interessant, der alte Bootsy und der junge Snoop, wie Vater und Sohn im Studio – ein schönes Bild.

»Gelächter, Erleichterung. Man ist auf einer Wellenlänge, einerseits. Andererseits: Die Journalisten wollen hier, wenn möglich, auch zweigleisig fahren und streben die perfekte Mischung aus dem Anfassen mit samtenen Handschuhen und erbarmungslosem Kifferschütteln an.«

Nächste Frage: Der Thron auf dem Cover ist leer. Hätte Snoop nicht selbst dort sitzen sollen? Snoop zieht mit zugekniffenen Augen am Blunt. Scheint anstrengend zu sein. Dann formuliert er am dichten Rauch vorbei: »Ich bin ja auf dem Album zu hören. Daher wollte ich auf dem Cover nicht zu viel veranstalten. Man kauft eine CD doch für das, was drinsteckt.« Gut, da hätte man jetzt mehr erwartet. Wirkt fast so, als hätte er sich genau gar keine Gedanken darüber gemacht. Und so sieht das Cover, das muss man leider so sagen, auch aus.

Weiter geht es. Was Snoop mit seinen Songs für einen Beitrag zur generellen musikalischen Entwicklung beigetragen hat? »Ich wollte immer schon originell sein, aber auch alles etwas entschleunigen. Ich habe Rappern gezeigt, wie man alles etwas langsamer macht«, schmunzelt Snoop. Gelächter, Erleichterung. Man ist auf einer Wellenlänge, einerseits. Andererseits: Die Journalisten wollen hier, wenn möglich, auch zweigleisig fahren und streben die perfekte Mischung aus dem Anfassen mit samtenen Handschuhen und erbarmungslosem Kifferschütteln an.

Als er auf seine Crew 213 angesprochen wird, gerät Snoop ins Schwärmen: »213 waren nicht nur die Grundlage für G-Funk, sondern auch die Grundlage für Death Row Records. Nate Dogg, Warren G, ich – wir waren die ersten Rapper aus Long Beach, die die Gangster und Thugs dazu animierten zu rappen. Ohne 213 hätte es keine zweite Welle des Westcoast-Rap gegeben. Es ging um die Melodien und darum, zurück zu den Wurzeln dieser Musik zu gehen. Es war immer noch gangsta, aber mit einem R&B-Twist.« Snoop qualmt einen Dübel nach dem anderen und ascht überall hin: auf den Tisch, auf den Teppich.

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