Dieses Jahrzehnt war vermutlich das spannendste, das Deutschrap bis dato erleben durfte: Die musikalische Diversifizierung der Szene, die rekordverdächtigen Erfolge, die wichtige und hoffentlich nachhaltige Etablierung von vielen weiblichen Künstlerinnen. Ohne Frage: Es war eine gute Zeit – und eine, die Maßstäbe für die Zukunft setzt. In dieser Folge unseres Dekadenrückblicks: Deutschraps Sprung in den Mainstream zu Beginn des Jahrzehnts.
Niemals würden wir es wagen, die JUICE-CD Nummer 83 als Grundstein für Deutschraps fulminanten Aufbruch in den Mainstream Anfang der Zehnerjahre zu betiteln – aber doch hat die Compilation tatsächlich eine nicht unwichtige Rolle dabei gespielt. »Die Krauts sind auf mich aufmerksam geworden, weil sie auf der JUICE-CD den Song ›Der Penis deiner Frau‹ gehört haben, den sie total geil fanden«, erzählte Marteria 2010 in JUICE 132 beim großen Interview zu »Zum Glück in die Zukunft«. Da war das zweite Album des Rostockers bereits veröffentlicht. Das Maß an Einfluss, das es auf das hiesige Spiel haben sollte, war da aber noch nicht in Gänze abzusehen.
»Wenn dich nur deine paar HipHop-Homies feiern, ist das scheiße.«
Marteria
Gemeinsam mit dem Produzenten-Team, das bereits Peter Fox’ »Stadtaffe« zum unverrückbaren Klassiker-Status verhalf, schraubte Marteria über Monate in einem legendär-intensiven und detailverliebten Arbeitsprozess an diesem Album, das deutschen HipHop nach Jahren der Lethargie aus dem Keller der Musiklandschaft hinauf auf die sonnendurchflutete Dachterrasse katapultieren sollte. Dass das so kam, hat zwei simple Gründe: Die Texte und der Sound von »Zum Glück in die Zukunft«. Während des Schreibprozesses stellte sich Marteria mehrfach die Frage, wie ein Normalo-Typ mit Zeitung in einem Café einen seiner Songs verstehen könnte. »Ganz einfach: Du brauchst ein Thema, das ihn berührt. Kein Thema, das nur acht Leute verstehen, die komplett in einer Szene drinstecken. Du musst größer denken«, beantwortete sich Marteria in besagtem JUICE-Interview die Frage selbst und fügte wenig später an: »Wenn dich nur deine paar HipHop-Homies feiern, ist das scheiße.« Ein Satz, der im Laufe der Jahre stellvertretend für die Herangehensweise zahlreicher anderer Künstler stehen sollte.
Marteria legte vor, Casper legte nach
Die bis auf die absolute inhaltliche Essenz runtergekürzten Texte rappte Marteria über den elektroiden Krauts-Soundteppich, der mehr Klangreferenzen aus der Berliner Clubszene als von Hinterland-HipHop-Jams mitbrachte, und doch nie Gefahr lief, von der HipHop-Polizei wegen Verdacht auf falsche Identität rechts rangewunken zu werden. Deutscher Rap traute sich plötzlich etwas. Casper bezeichnet das Album in Deutschraps Oral-History »Könnt ihr uns hören?« als »Initialzündung unserer Generation« und sagt: »Das Album hat alle Mauern eingerissen, mit Hits und Cleverness. Plötzlich war klar: Das ist der eine von uns, der alles verändern wird«.
Casper sollte der nächste Künstler dieses Formats sein. Als eines der größten Talente der Szene anerkannt, schürte Benjamin Griffey mit ersten Live-Versionen von »Alaska« und »Kontrolle/Schlaf« eine fast schon unfair hohe Erwartungshaltung an »XOXO«. Wave- und Post-Rock-Einflüsse sollten auf klassische Rap-Elemente treffen, ohne die Platte in den unangenehm quietschigen Crossover-Farbtopf zu tunken. Nicht weniger als befriedigende Antworten auf die größten Fragen des Lebens versprachen die ersten nach außen dringenden Textfetzen.
»Ein Künstler wie Casper ist eine Inspiration, was eine musikalische Vision angeht«
Ahzumjot
Am 8. Juli 2011 war klar: Casper konnte die Erwartungen erfüllen. Gold-Status, 300.000 verkaufte Tonträger, sechs Kronen in der JUICE, Headliner-Slots auf den größten Festivals des Landes und kollabierende Teenies auf ausverkauften Stadiontouren – Caspers eigenwilliger, zutiefst düsterer Soundentwurf wurde zu einer Welle, die Deutschrap-Genregrenzen einriss und den hilflosen Mainstream mühelos unter sich begrub. Und es diente als Vorbild: »Ein Künstler wie Casper ist eine Inspiration, was eine musikalische Vision angeht«, sagte Ahzumjot 2014 im Interview bei »Backspin«. Die kreischenden Gitarren und Indie-Drum-Sets von »XOXO« mögen in späteren Projekten anderer Künstler zwar nicht eins zu eins wiederzuhören sein, doch schuf Casper durch diese Platte den Moment, der nicht nur den Künstlern der von Falk Schacht betitelten »Neuen Reimgeneration« wie Olson ohne Rough, Ahzumjot mit dessen Early-Adapter-Liebling »Monty«, kaynbock oder auch Rockstah die Hand reichte.
Der Panda übernahm
Und dann war da noch Cro. Der nächste Röhrenjeans-Träger. Dieser Schwabe mit der Panda-Maske, der so viel Talent mitbrachte, dass Kaas ihn 2011 zur öffentlichen Twitter-Fahndung ausschrieb und dem der damalige JUICE-Autor Marc Leopoldseder in der Review zum »Meine Musik«-Tape attestierte, dass man von ihm noch viel hören werde. Am 23. November 2011 erschien dann das Visual zu »Easy« auf dem Chimperator-Channel – und Deutschrap, der dank Marteria und Casper aus dem Feiern von Erfolgsstorys kaum noch herauskam, erlebte einen Hype um einen Künstler, wie es ihn bis dato nie gab.
Dabei war Cro so anders. Seine Musik war so viel fröhlicher als die von Casper, so viel intuitiver in der Produktion als die von Marteria und so viel netter und harmloser als die Tracks, die zwischen 2005 und 2009 auf Heavy Rotation in Deutschrap-Haushalten liefen. Cros Musik tat niemandem weh, sie zog vielmehr Menschen aller Altersklassen vom Grundschüler bis zum Elternteil in ihren Bann. Cros Musik war für alle da – und gefühlt griffen alle zu. Drei Konzerte in drei Ländern an einem Tag, die berühmt-berüchtigte Crockstahzumjot-Tour (samt Burger bei McDonalds!), die nur als Vorspiel für zahlreiche ausverkaufte XXL-Venue-Solotouren dienen sollte, und auch der überbordende Hass der HipHop-Gralshüter, die nach Casper in Cro den nächsten Rap-Anti-Christen erkannt haben wollten.
Denn all die Soundexperimente warfen vor allem eine Frage auf: »Was darf HipHop, wenn er noch HipHop sein will?« Die Antwort: Sehr, sehr viel. Denn wenn der Anfang dieser Dekade eines bewiesen hat, dann, dass Rap immer dann auch verdammt gut und relevant sein kann, wenn er sich nicht vor anderen Einflüssen verschließt, sondern sie vielmehr zu seinen Gunsten nutzt. Das gefiel nicht allen Fans klassischer Rap-Entwürfe, wirkte aber wie ein Sog für Abertausende Hörer*innen, die so den Zugang zu deutschem HipHop gefunden und sich nach und nach tiefer in ihn hinein gegraben haben. Deutschrap brauchte Marteria, Casper und Cro, Deutschrap profitiert noch heute von ihnen und ihren ersten Werken – so sehr sie die Szene zeitweise auch gespalten haben mögen.
Text: Louis Richter
Illustration: Henrike Ott
Hier geht es weiter zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6 und Teil 7.
Tatsächlich war ich von Cro am Anfang kein Stück angetan. Dieses fröhliche Geträllere ging mir ziemlich auf die Nerven. Ich lebte quasi in meiner eigenen Welt den ich hörte ausschließlich das was von den Amerikanern rüberschwabbte. Dann trug es sich jedoch zu das ich die ersten Auskupplungen zu seinem neuen Tape über YouTube Playlists auf die Ohren bekam. Und ich war heiß drauf mehr zu hören. Als das Album nun endlich raus kam hätte ich einen Gewissens Konflikt. Kaum Geld , weil ich noch Azubi war und bin stand ich vorm Regal und musste mich entscheiden ob ich die eher limitiert existierende XXXTENTACION CD kaufte oder das neue Cro-Tape ,,Tru“. Zu guter Letzt nahm ich beides was meine Taschen zwar ziemlich leerte aber ich war glücklich.
Zuhause knallte ich mir sofort die CRO Platte in die Anlage und war vollkommen überrascht. Er schaffte es meine Erwartungen zu übertreffen. Die Vibes die er rüber brachte waren absolut großartig. Mich Noch nie hätte ich einen Künstler der es schaffte ein Album so abgerundet zu veröffentlichten. Es gab eine deutliche Story. Cro hatte es geschafft, seinen Aufstieg an die Spitze der Szene. Er hat seinen Weg des Raps gefunden und so wie es ist , ist es gut. Und ich gönn mir die Platte weiterhin.
Liebe geht raus.