Eine Dekade im Rückblick #2: Cloud Rap // Titelstory

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Yung Hurn, Money Boy

Dieses Jahrzehnt war vermutlich das spannendste, das Deutschrap bis dato erleben durfte: Die musikalische Diversifizierung der Szene, die rekordverdächtigen Erfolge, die wichtige und hoffentlich nachhaltige Etablierung von vielen weiblichen Künstlerinnen. Ohne Frage: Es war eine gute Zeit – und eine, die Maßstäbe für die Zukunft setzt.

Cloud Rap, Dada-Rap, Trap? Wie auch immer man diese Strömung heute nennen mag, sie hat alles verändert. Die Art, wie Rapper rappen, die Art, wie Teenies sprechen und Deutschrap hören und, ja, die Art, wie Deutschrap überhaupt klingt. Ausgerechnet auf den Schultern eines leidenschaftlichen Rap-Nerds aus Österreich ist nicht nur ein deutsches HipHop-Phänomen erwachsen, sondern eine ganze Generation entstanden, die nichts anderes will als Spaß. Fühlst du nicht den Vibe?

Dabei fängt alles recht harmlos an. Der 2010 noch unbekannte Wiener Rapper Money Boy lädt einen deutschsprachigen Remix zu »Turn My Swag On« von Souljah Boy ins Internet. So weit, so gängig in dieser Post-Dipset-Ära, die zwischen dem humoristischen Punchline-Rap der Snaga-&-Pillath-Schule, dem Ausklingen der asphaltierter Aggro-Ära und erstem »Endboss«-Radio-Airplay nicht sicher ist, wo es hingehen soll. Money Boy ist schon damals ein Paradiesvogel, nicht nur wegen seiner über-kolorierten Streetwear. Im dazugehörigen Video singt ein recht unförmiger Ex-Basketballprofi windschief und in astreinem Denglisch darüber, beim Blick in den Spiegel »Waddup?« zu sagen. LOL. Das junge (gesamtdeutsche) Internet lacht sich scheckig. Mit seinem Look, einem überzogenen Gestus und dieser eigentümlichen Sprache wird das hochgradig amateurhafte »Dreh den Swag auf«-Video zum Meme des Jahres, bevor man es so nannte. Ein paar Jahre später sprechen alle von Cloud Rap. Wie kam es dazu?

Thank You, Based God

Wenn man die Ursprünge dieses Internetungetüms zurückverfolgt, landet man schnell bei drei US-Rappern: Souljah Boy (der Pionier), Chief Keef (der böse Zwilling) und Lil B (der spirituelle Führer). Letzterem wird die Schöpfung dieses zweifelhaften Genrebegriffs zugeschrieben, soll er doch 2009 während eines Interviews auf ein Airbrush-Bild an der Wand gezeigt haben, das ein schwebendes Schloss zwischen ein paar Wolken zeigt. »That’s the music I wanna make«, soll er gesagt haben. Daraufhin sprechen Journalisten auf dem ganzen Globus bald von Cloud Rap, obwohl sie nicht wissen, was das beschreiben soll. Ein typischer Industriemechanismus, fragt mal sogenannte »Deutschrocker«. Cloud Rap etabliert sich allerdings binnen des Jahrzehnts als ein #Hashtag, ein Sammelsurium und letztlich als ein international vermarktbares Etikett. 

In der Natur dieses Trends liegt von Beginn an, auch wegen u.a. Money Boy, ein gewisse Neigung zur (peinlichen) Ehrlichkeit und vor allem zum Kitsch. Die Grenze zwischen Ironie und Ernsthaftigkeit wird nicht mehr gebrochen, sondern absichtlich vage gehalten – und das in quasi 24-stündiger Dauerbeschallung auf YouTube, Twitter und durch Musik. Auch wenn es durch diese Allround-Performance später zu leidigen Unfällen wie der »Vong«-Sprache kommen wird, ist es ein neues Selbstverständnis für deutschen Rap, das in den Fußstapfen von Money Boy erwächst. Man könnte es auch als Anti-Realness bezeichnen, will es sich doch von allem abnabeln, was Torch, Savas und sogar Bushido hervorgebracht haben. Denn wo einstmals mehrsilbige Reimketten oder Street Credibility zählten, wie ihn auch das damals populäre VBT oder sogar der Pop-Perfektionismus von Casper bedienten, stand plötzlich die reine Unmittelbarkeit. Es geht nicht mehr in erster Linie um Skills und Styles, sondern um das, was ab 2013 herum alle Swag nennen. 

Dilettantismus und Do-It-Yourself

So kommt es, dass etwa ein LGoony auf einem seiner ersten klickstarken Videos »Millionen Euro« darüber rappt, reich zu sein, obwohl dieser schmächtige Anfangzwanziger mit den ausgetragenen Turnschuhen ganz eindeutig nicht im Geld schwimmt. Ab 2014 gehen reihenweise Hits online (vor allem auf Soundcloud), die allesamt die Money-Boy-Formel bedienen: Scheinbar schlampige Wohnzimmer-Raps über heruntergefahrene Synthie-Beats und DIY-Videos, die der vorangegangenen bleiernen Tiefgaragen-Phase so gar nicht nachtrauern. Die technischen Möglichkeiten sind komfortabel, um über die eigenen Fruity-Loops-Beats per 50-Eur-USB-Mikrofon halbwegs anhörbare Songs aufzunehmen. Man spielt mit Worten, redet in aller Selbstverständlichkeit albernes Denglisch und ist sich trotzdem jederzeit der eigenen Fallhöhe bewusst, genau das, was man da sagt, eben nicht zu verkörpern. Eine »pow, pow pow, pow pow«-Hookline klingt aber einfach zu cool, um es nicht zu sagen. Der Spargeltarzan Crack Ignaz zählt auf einer Treppe das »Gwalla«, Fruchtmax und Hugo Nameless sehen aus wie Realschüler, philosophieren aber über ausführlichen Drogenmissbrauch mit absurden Twitter-Insidern »WKMSNSHG«. Allesamt sind es hagere Jugendliche, die schlichtweg ihre Lieblingsmusik machen und sich nicht für das interessieren, was irgendeine HipHop-Szene sagt, die es sowieso nicht mehr gibt. Zum Leidwesen notorischer Realkeeper, die hier einen Kulturverfall wittern – prominentestes Beispiel dürfte hierfür wohl der legendäre »Bawrz«-Rant von Damion Davis sein. Denn HipHop würde unterlaufen von einer Horde dauerironischer Internetkinder, die obendrein kaum musikalisches Talent vorzuweisen hätten. Das stimmte natürlich nicht, zumindest nicht in dieser Brisanz.

Eine »pow, pow pow, pow pow«-Hookline klingt einfach zu cool, um es nicht zu sagen

Die neue Leichtigkeit wirkt sich auch auf das Publikum aus. Die klassische HipHop-Winkekatze verschwindet langsam aus der Crowd. Stattdessen wird gemosht, gedabbt und tatsächlich getanzt. Das hängt auch damit zusammen, dass etwa Money Boy Nähe zu seinen Fans hält, die sich als »Swag Mob« ebenfalls in den sozialen Medien organisieren. Dank ihrer Selbstironie und ihrer vergleichsweise geringen Scheu vor Pop bietet diese Strömung aber auch einen leichteren Zugang. Der musikalische Spielraum ist breiter als das engmaschige 90-BMP-Korsett, das jahrzehntelang HipHop-Partys dominierte – ein Beat darf hier auch mal 50 BPM oder gar 140 haben, was einfach tanzbarer ist. Und wo getanzt wird, kommen auch Frauen. Manche Konzerte sind für HipHop-Verhältnisse erstaunlich divers. Auch das ist neu. 

Der Scheiss ist weiss

So steht dieses Schlagwort Cloud Rap eigentlich synonym für eine gesamtkulturelle Desensibilisierung, die im Sommer 2015 beim splash!-Festival einen Höhepunkt erreicht, als die kleine Nebenbühne des splash! Mag für einen Tag zur Hauptattraktion wird. Doch hier macht sich bereits etwas bemerkbar, das vielen von Beginn an beim Begriff Cloud Rap sauer aufstößt: Die Ansätze und Auftritte (für manche der erste ihres Lebens) von Cosmo Gang, LGoony, Juicy Gay, Spinning 9, MC Smook oder Money Boy unterscheiden sich musikalisch wie performativ extrem. Denn außer dem Willen, sich vom Eastcoast-geprägten Rap abzugrenzen, haben diese Acts nicht viel gemein. Nur ein Jahr später tönt über den gesamten splash!-Zeltplatz ein »Bianco« von einem aufstrebenden Bietigheimer namens RIN und einem ehemaligen Wegbegleiter von Crack Ignaz namens Yung Hurn. Zwei Kinder eines Phänomens, das aus dem Internet gekommen ist und zwei echte Popstars hervorgebracht hat.

Text: Fionn Birr
Illustration: Henrike Ott

Hier geht es weiter zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6 und Teil 7.

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE 195.

1 Kommentar

  1. Grundsätzlich finde ich Kommentare à la „Ja, aber was ist denn mit X…?!?!“ nicht so fruchtbar, da derartige Kurzessays nicht jeden und alles abdecken können und sollen. In diesem Fall drängt sich mir trotzdem die Frage auf, warum der Autor bei all dem Namedropping im letzten Absatz gerade Young Krillin unerwähnt lässt, dem diese (nennen wir sie mal) Bewegung ähnlich viel zu verdanken hat wie einem gewissen knapp zwei Meter großen Wiener. Uninformiert bzw. schlampig!

    (P.S.: Soulja Boy gibt es; ein Souljah Boy hingegen ist mir nicht bekannt.)

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