»Für mich macht jetzt alles Sinn – auch, dass ich damals alles hingeschmissen und gesagt habe: Ja, ich setze auf das falsche Pferd HipHop.« // Marteria im Interview

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Samstagnacht in Kreuzberg. Auf dem Couchtisch in Marterias Wohnzimmer gesellt sich langsam eine grüne Flasche zur nächsten, zusätzlich kreist eine Wasserpfeife. Von unten dröhnt der Straßenlärm in den dritten Stock. Gleich um die Ecke, im Festsaal Kreuzberg, hatte Robot Koch mit seiner Band Jahcoozi am Abend zuvor ein wildes Gemisch aus knarzigem Teutonen-Dubstep, windschiefen HipHop-Beats und Elfengesang gespielt, während Marteria sich spontan als Partyhost betätigt hatte. Vorher waren wir draußen in Lichterfelde gewesen, in einem luxuriösen Studio, wo sein neues Album »Zum Glück in die Zukunft« abgemischt wurde – und wo Alicia Keys in einem Nebenraum gerade mit Orchesteraufnahmen beschäftigt war. Keine halben Sachen, so lautet das einvernehmliche Motto. Sowohl Marteria als auch sein Producer-Team The Krauts haben kreativ und finanziell deutlich zu viel investiert, als dass man sich jetzt mit dem üblichen Deutschrap-Pfusch zufrieden geben könnte. Marten Laciny über die Entstehung einer Platte, die von ihren Anlagen her laut Jan Delay »das krasseste deutsche HipHop-Album der letzten zehn Jahre« sein könnte. Marteria meets Peter Fox, Jay-Z meets Flying Lotus, The Streets meet The Berghain Sound. Oder, um eine von Martens Wortschöpfungen zu bemühen: Europa Bambaataa.

Du hast das Album zusammen mit The Krauts, dem Producer-Team von u.a. Peter Fox, geschrieben, aufgenommen und produziert. Wie seid ihr eigentlich miteinander in Kontakt gekommen?
Die Krauts sind auf mich aufmerksam geworden, weil sie auf der JUICE-CD den Song »Der Penis deiner Frau« ­gehört haben, den sie total geil fanden. Volker Mietke, mein A&R bei Four ­Music, hat uns dann vorgestellt, ­mitten in der Endproduktionsphase vom Peter Fox-Album »Stadtaffe«. Ich weiß noch genau, wie mir Monk den Text von »Schwarz zu blau« vorgerappt hat, um zu hören, wie ich ihn finde. (lacht) Parallel haben wir damit angefangen, an dem Miss Platnum-Album »The Sweetest Hangover« und an meinem neuen Album zu arbeiten. Mittlerweile sind Ruth [Miss Platnum, Anm. d. Verf.] und die Krauts richtig gute Freunde geworden. Ich mag diese Menschen einfach, das sind positiv Verrückte. Ich habe von ihnen wahnsinnig viel gelernt. Man überspringt in der Arbeit mit den Krauts nicht nur einen, sondern immer gleich acht Schritte. Das merkst du erst gar nicht, aber irgendwann spürst du, dass du dir deiner Sache immer ­sicherer wirst.

Du hast im Verlauf der letzten zwei Tage mantra-artig wiederholt, wie wichtig es sei, sich Zeit für ein ­Album zu nehmen.
Das ist eben das Thema Nummer eins. So eine Albumproduktion ist ja ein Findungsprozess. Man muss seinen Vibe finden. Künstler wie Jan [Delay] oder Pierre [Peter Fox] machen das auch nicht anders. Und das geht nun mal nichtin sechs Monaten! Du kannst davon ausgehen, dass dein Album nicht das beste Ergebnis ist, wenn du dir so wenig Zeit nimmst und am Ende trotzdem 18 Songs fertig hast. Dann wiederholst du dich und deine Themen nur. Natürlich braucht man da ein fähiges Management, das den Labelmenschen sagt: Alter, die sind noch nicht so weit, das kann noch nicht rauskommen. Ich verstehe natürlich auch die Labelsicht: Die Platte muss zu einem bestimmten Zeitpunkt erscheinen. Aber wenn du nicht das Gefühl hast, dass das Album schon genau so ist, wie es sein soll, dann muss man das Label eben auchmal einbremsen.

Andererseits heißt es immer, dass man gerade im Zeitalter der Blog-Kultur sehr schnell vom Radar der Öffentlichkeit verschwindet.
Das große Ding ist immer dieser Hype. Ich hatte ja auch einen Hype: Ich wurde gesignt, Jan Delay und Peter Fox haben mich gepusht, ich bin mit Sido und Dynamite Deluxe auf Tour gegangen. Und dieser Hype ist natürlich weg, wenn du lange nichts veröffentlichst. Aber das ist überhaupt nicht wichtig! Ich muss nicht präsent bleiben. Die Leute sind ohnehin da, wenn es drauf ankommt. Jedenfalls die, die mich vorher schon gefeiert haben. Deshalb muss man sich die Zeit nehmen. Es geht einfach nicht von heute auf morgen. Drei Alben im Jahr zu ­releasen, ist absolut unmöglich.

Die Vergleiche mit Jan Delay und Peter Fox liegen ja auf der Hand. Dennoch machen beide keine »reine« HipHop-Musik und legen auch nicht viel Wert auf die Feststellung ihrer Wurzeln im HipHop bzw. Reggae. Bei dir ist das anders.
Total. Das muss man sich als Rapper einfach eingestehen. Das ist auch nichts Schlimmes. Für die Menschen hier ist Sprache sehr wichtig, wir ­Deutschen sind ein Volk von Textliebhabern. Ich & Ich profitieren davon auf ihre Weise, Xavier Naidoo auf seine Weise. Und wir Rapper, wir rappen eben. Das sollte man man nicht nur akzeptieren, sondern muss es hochhalten und darf es nie vergessen. Meine Musik wird am Ende des Tages immer Rap sein. Monk sagt immer: Wir machen HipHop. Wenn das Management oder das Label bestimmte Ideen äußert, beispielsweise den Sound etwas elektronischer zu machen, um irgendeinen Trend mitzunehmen, dann steht er auf und sagt: »Nein! Wir machen eine HipHop-Platte!« Auch wenn mal poppigere Elemente vorhanden sind, muss die Musik immer ihre Edge behalten. Trotzdem können ja auch Leute, die nicht aus dem HipHop kommen, unsere Musik geil finden.

Du hast erwähnt, dass es für den Sound des Albums einige Referenzplatten gab: Flying Lotus, Rick Ross, Jay-Z und Kanye West.
Da geht es darum, wie die Platte klingen sollte. Das ist eine Ästhetik, die du nicht »in the box«, also direkt am Rechner mixen kannst. Sondern man muss die Sounds durch einen größeren Raum schicken, um den Klang des Raumes aufzunehmen. Gerade bei Streichern ist das total wichtig. Sounds sollten ohnehin nie als Füller agieren, sondern müssen so prägnant und stark sein, dass der Hörer denkt: Was für ein geiler Sound! Du musst Räume über die Songs ballern. Und auch das braucht wieder viel Zeit und Liebe. Man darf nämlich nicht den Fehler machen, Songs oder Mixe einfach aus Bequemlichkeit durchzuwinken. Viele Rapper denken: Okay, ich verstehe die Stimme gut, also winke ich das mal durch. Das ist ein HipHop-Problem. Was auch ganz wichtig ist: Dass es nicht zu clean klingt. Ich finde Musik geil, die dreckig klingt, nicht zu schön und höhenlastig. Es muss schon geile Harmonien geben, aber da muss Dreck drinstecken.

Interessant, dass du so ein Soundfanatiker geworden bist, obwohl du primär Rapper bist.
Das war aber bei meinen anderen ­Alben, die ich ohne die Krauts gemacht habe, auch schon in Ansätzen so. Mir war der Vibe immer wichtig. Der Song kann noch so gut sein – wenn der Sound dir nicht dieses Feeling von Größe vermittelt, dann ist er nicht cool. Die Marsimoto-Alben haben deshalb eine Fanbase, weil die Musik diesen gewissen Vibe hat. Natürlich ist das Musik, die auf alle Regeln scheißt. Aber der Vibe stimmt – und es knallt. Dafür ist es wichtig, dass die Vorproduktion schon sehr gut klingt. Es gibt ja zwei Arten von Produzenten: diejenigen, die richtig dreckig produzieren, wo der Sound erst im Mix geil gemacht wird. Und diejenigen, die so produzieren, dass es schon fast wie gemischt klingt. Bei den Krauts gibt es beide Charaktere: DJ Illvibe macht das MPC-Sample-Zeug, der hat das Gespür für den Vibe und die Drums. Monk macht eher Synthie-Sachen – der würde niemals einen Beat rausgeben, der nicht cool klingt. Deswegen ist es das perfekte Team: Illvibe hat die Song-Ideen, und Monk lässt sie richtig fett klingen.

Was klingt in deinen Ohren richtig fett? Ein paar Platten haben wir schon genannt. Gibt es deutsche Musik, die richtig fett klingt?
»Siggi und Harry« – ein geiler HipHop-Beat, der richtig krass klingt. Huss & Hodn klingen wiederum für das, was sie machen, auch extrem gut. Es kommt eben darauf an, was du brauchst. Und dann natürlich die Peter Fox-Scheibe. Am Ende siegt ja immer die Deepness. Du musst mal darauf achten: Welche Musik berührt dich am meisten? Das ist halt einfach die Tiefe. Da sind uns die Amis immer noch voraus. Bei uns heißt es gerne mal: Nee, ich darf den Regler nicht weiter hochziehen, weil es dann in den roten Bereich geht. Ein Ami reißt das Ding einfach hoch. (lacht) Aber so entsteht Musik, die groß gemacht ist. »Death Of Auto-Tune« von Jay-Z ist genau die Referenz, wie Musik für mich zu klingen hat. Dass ein Sound auch mal viel zu laut ist, dass es sogar einen Tick weh tut. Dadurch bekommt man dieses gewisse Feeling, das total wichtig ist.

Ihr habt ja einen wahnsinnigen Aufwand betrieben, um die Platte zu mischen.
(lacht) Ganz oder gar nicht halt. Deswegen hat es auch so lange gedauert. Du kannst doch nicht zweieinhalb Jahre an einer Platte arbeiten und dann sagen: Wir mischen das jetzt noch schnell, und dann kommt sie raus. Nein. Die muss groß klingen! Nicht nur ich habe meinen kompletten Vorschuss von Four Music in dieses Album investiert, sondern die Krauts haben auch noch viel eigenes Geld draufgelegt. Wir haben alle über einen sehr langen Zeitraum mit sehr viel Energie daran gearbeitet, und als die Kohle irgendwann alle war, haben die halt gesagt: Egal, wir zahlen das jetzt. Einfach, damit diese Platte so wird, wie sie werden muss. Aber am Ende kannst du dann gemeinsam lachen, weil es so viel Sinn gemacht hat.

Künstlerisch schon. Ob es wirtschaftlich Sinn gemacht hat, muss sich erst noch herausstellen.
Klar. Aber ich habe mir auch eine Liveband für die Auftritte zusammengestellt, obwohl sich das finanziell nicht lohnt, weil zu den Konzerten natürlich keine 1.000 Leute kommen, wenn man kein Superstar mit aktueller Chartsingle ist. Aber wenn man eine Platte wie diese macht, dann braucht man den Aufwand. Man muss unglaublich viel Geld in die Hand nehmen. Du brauchst echte Chöre, um diesen Effekt von Filmmusik zu ­erzielen. Streicher aus dem Keyboard gehen auch nicht, da muss man schon echte Streicher nehmen. Egal, was dir die Leute erzählen. Eine Geige aus dem Keyboard klingt einfach nicht gut. Jedenfalls nicht, wenn du ein Album machen willst, das bleibt. Auch wenn viele das gar nicht hören, weil sie sich das Album nachher auf kleinen Laptop-Lautsprechern geben. Du kannst so eine Platte nicht klein halten. Dann frisst du eben eine Woche nur ­Toastbrot, Ketchup und Käse – drauf geschissen. Hungern muss hier keiner.

Bist du grundsätzlich vom Charakter her auch so ein Ganz-oder-gar-nicht-Typ?
Ja, aber ich bin gleichzeitig schon ein Trottel. (lacht) Ich war zum Beispiel ein richtig guter Fußballer, aber hab die Karriere trotzdem abgebrochen. Diesen Model-Quatsch [Marteria hat als Model u.a. für Boss und Valentino gearbeitet, Anm. d. Verf.] fand ich ja von Anfang an scheiße. Ich hatte Bock, schnell viel Geld zu verdienen. In New York zu leben, war cool, aber dieser Job machte keinen Spaß, also habe ich das auch wieder abgebrochen. Nur die Schauspielschule habe ich abgeschlossen, einfach damit die Mama mal stolz bei der Abschluss­prüfung in der ersten Reihe sitzen kann. Ich wollte halt einmal was zu Ende zu machen. Also bin ich eigentlich kein Ganz-oder-gar-nicht-Typ. Aber trotz Fußball, Model-Quatsch und Schauspielschule habe ich ja immer auch gerappt. Das war das, was ich vorantreiben wollte. Ich würde sagen: Ich bin zwar im Leben nicht konsequent, aber ich glaube, dass ich in der Musik konsequent sein kann.

Heißt das, dass du dir im Studio auch nichts sagen lässt?
Nein, überhaupt nicht. Es ist ultrawichtig, dass man sich was sagen lässt. Dass man den Leuten zuhört, denen man vertraut. Wenn ich nicht annehmen würde, was Jan ­Delay, Tropf oder die Krauts mir sagen, wäre das doch dumm. Das ist, als wenn man einen Ferrari angeboten bekommt, aber trotzdem lieber weiter seine alte Ente fährt. (lacht) Natürlich ist die Vorstellung cool, so ein Mensch zu sein. Aber es ist bescheuert.

Was für Tipps haben dir die Krauts noch gegeben?
Am Anfang bin ich mit ihnen immer in Cafés und Restaurants gegangen, und Monk meinte dann: Kuck dir die Leute ganz genau an, die hier sitzen. Mach einen Song, den der Typ da drüben mit seiner Zeitung versteht. Das ist doch ein schönes Bild. Also: Wie kann dieser Christian P., 27, der mit HipHop überhaupt nichts zu tun hat, das geil finden, was ich ­mache? Ganz einfach: Du brauchst ein Thema, das ihn berührt. Kein Thema, das nur acht Leute verstehen, die komplett in einer Szene drinstecken. Du musst größer denken. Ich will genau diesem Typen meine Deepness vermitteln, aber ohne massentaugliche Scheiße zu produzieren. Viele denken ja, das wäre dasselbe.

Der durchschnittliche Musikhörer, der sich keiner Subkultur zugehörig fühlt, entscheidet tendenziell nach wenigen Sekunden, ob ihm ein Song gefällt oder nicht.
Genau. Deswegen waren mir auch Meinungen von Menschen wichtig, die mit HipHop nichts zu tun haben. Wenn dich nur deine paar HipHop-Homies feiern, ist das scheiße. Das bringt nichts, du bleibst immer in deinem Kosmos. Du musst die Musik deiner Mama vorspielen, und die muss sie verstehen. Ganz wichtig sind allgemein die Frauen. Die haben oft ein gutes Verständnis dafür, ob ein Song funktioniert oder nicht. Die denken nicht über jedes Wort nach, sondern der Vibe muss einfach stimmen.

Stimmt es eigentlich, dass du bei der Aufnahmeprüfung an deiner Schauspielschule einen Verse von Aphroe vorgetragen hast?
(lacht) Ja. Ich war bei meinem Vorsprechen zwar schlecht, wurde aber trotzdem angenommen. Die haben Potenzial gesehen. Vielleicht auch, weil ich mich für »Eiszeit« nicht verstellen musste, das steckte einfach in mir drin. Man musste einen klassischen Monolog, einen neuen Monolog und ein Lied vortragen. Mein klassischer Monolog war »Faust«, als Lied hatte ich »Frankfurt am Meer« von J-Luv gelernt und als modernen Monolog die Strophe von Aphroe aus »Eiszeit« von Roey Marquis und RAG. (rappt) »Und jetzt mal ernsthaft/wir sind am Ende unserer Kernkraft/der Planet und die Insassen/werden unehrenhaft entlassen…« Das ist lyrisch einfach unglaublich. Das habe ich Aphroe auch persönlich gesagt, als ich ihn kürzlich bei einem unserer Gigs in Bochum kennen lernen durfte. Aphroe war einfach mein Rapper damals. Ob er kommerziell erfolgreich war, war mir scheißegal.

Konntest du den Text ohnehin schon auswendig?
Ja. Ich hatte früher ein Reimbuch, da habe ich die Texte von »The Unseen« [von Quasimoto, Anm. d. Verf.] abgeschrieben oder die Lyrics von Company Flow. Ich könnte bestimmt immer noch so Stones Throw-Partys hosten. (lacht) Denn ich habe diese Texte echt auswendig gelernt. Und eben Aphroe. (rappt dessen Strophe aus »Westwind« von RAG komplett vor) »Chronischer Cannabinolmischer/betitel ein Rauschmittel, selbst Odol ist alkoholischer/(…)die Blüte meiner Jugend verglühte in einer Tüte/selbst die Passivraucher nahmen auch ein paar Züge.« (begeistert) Das ist doch so krass! So groß! Also gehst du eben zur Schauspielschule und sagst: Ich hab keine Ahnung von eurem Theaterscheiß, ich bin bis auf das bisschen Bukowski und Henry Miller nicht belesen, aber ich kann Aphroe auswendig. (lacht)

Trotzdem ist deine eigene Herangehensweise beim Texten absolut ­widerstrebend zu der von Aphroe.
Man muss einfach wissen, was die eigenen Stärken sind. Das habe ich auch an der Schauspielschule erkannt. Es gibt Schauspieler, die sagen, dass sie sich in alle Rollen versetzen können. Ich wusste, dass ich das nicht kann. Ich kann diesen einen Typen spielen, diesen leicht heroischen »Faust«, aber nicht den kaputten Heroinjunkie. Das kann der 35-jährige, langhaarige Typ vom Bauwagenplatz besser, weil es authentischer kommt. Das ist genau wie beim Rappen: Du musst dir über deine Stärken klar werden. Nicht alles ausprobieren, sondern sich wirklich fragen: Was kann ich gut? Wofür feiern mich die Leute? Wenn du all den anderen Scheiß weglässt und nur noch genau das machst, dann wird deine Mucke geil. Das hörst du bei Jan Delay, Casper oder Huss & Hodn. Oder eben Aphroe. Klar, der steht für was ganz anderes als ich, aber in seinem Bereich ist er der Beste. Ich kann ja auch als Fußballer ein NBA-Spiel ankucken und das trotzdem aufregend finden.

Interessant, dass du das so intellektuell hinterfragst. Ich habe immer das Gefühl, dass die besten Rapper das einfach instinktiv richtig machen. Du verkopfst das Ganze schon ein bisschen.
Ja. Aber das macht mich freier. Kuck dir doch Rap an, wie verkopft das alles ist. Wie verkopft ist denn bitte Taktlo$$? Oder Tua? Und es ist wichtig, dass es so ist. Guten Rap zu machen, ohne verkopft zu sein, ist nicht möglich, außer du machst dieses Auf-die-Fresse-Attitude-Ding wie Haftbefehl oder Marsimoto auf dem ersten Album. Das muss genau so sein. Denn wenn du das ­hinterfragst, wird es nur schwächer.

Wie wichtig ist deine ­charakteristische Stimme?
Die Stimmlage an sich ist extrem wichtig. Ich habe eine tiefe Stimme. Die Rapper, die wirklich Anerkennung genießen, haben aber meistens eine hohe, aggressive Stimme: Savas. Sido. Jan Delay. Oder eben auch Haftbefehl. Das ist leichter, weil du viel asozialer sein kannst. Jay-Z und Eminem – die machen’s halt klar, weil diese Stimmen im Ohr bleiben. Mit einer tiefen Stimme hast du erst mal ein Problem – siehe Harris, Flame oder ich. Wir müssen unsere Stimme so einsetzen, dass die Leute in erster Linie auf den Vibe hören. Wir müssen stylen. Wir brauchen Melodien, Harmonien und Flächen, die unsere Stimmen tragen. Denn die Stimme puncht nicht, nur die Wörter punchen. Es ist wirklich schwierig, als Rapper mit tiefer Stimme cool zu sein. Azad schafft das. Oder Rick Ross. Da musst du mal drauf achten. Ich beneide die Rapper mit hohen Stimmen, als Marsimoto fällt mir das Rappen daher auch viel leichter.

Wie groß ist der Einfluss deiner Wahlheimat Berlin auf deine Musik?
Ich bin ja aus Rostock, mittlerweile aber fast neun Jahre hier. Hier bekomme ich die Ideen für die Songs. Du schaust aus dem Fenster und siehst Kreuzberg. Du liegst in deinem Bett und es ist so beschissen laut, weil da drüben das »Watergate« ist, da vorne das »Café Bagdad« und da hinten das »Magnet«. Überall Besoffene, und dann noch die Sirenen. Also kannst du nicht schlafen und denkst dir: Mach darüber halt einen Song. Genauso wichtig wie Berlin war aber unsere Reise nach Dänemark. Wir haben dort zwei Wochen in einem Haus gewohnt. Da war nur eine Koppel mit zwei Pferden und das Meer in Sichtweite, du hast ein Eichhörnchen furzen hören. In der Sauna haben wir eine Aufnahmekabine eingerichtet, in den Zimmern haben wir MPCs und Keyboards aufgebaut. Die Krauts ­saßen dann in ihren Zimmern und haben Beats ­produziert, während ich auf der Terrasse saß, Weed geraucht und die Pferde beobachtet habe. Dort habe ich 18 Songs geschrieben und die ganzen Ideen, die ich in Berlin gesammelt habe, endlich mal zu Papier gebracht.

Warum Dänemark?
Die Krauts waren halt mit Pierre [Peter Fox, Anm. d. Verf.] in Frankreich gewesen und mit Ruth [Miss Platnum, Anm. d. Verf.] bei ihren Eltern in Rumänien. Ich habe dann gesagt: Ich komme aus dem Norden, aus Rostock, also brauchen wir ja nicht nach Brasilien fliegen. Und in Deutschland zu bleiben, wäre halt zu langweilig, um es später zu erzählen. (lacht) Also sind wir in ein Ferienhaus nach Dänemark gefahren. Da hört man die Wellen, da isst man Hotdogs und spielt abends Federball.

Und in Berlin habt ihr das Album dann ausproduziert.
Genau. Da waren neben den Krauts dann auch noch Leute wie Robot Koch und Dead Rabbit beteiligt. Weil es einfach gut ist, wenn Menschen noch mal draufschauen, denen man vertraut. Ich kenne Deady, seit wir 14 Jahre alt sind. Und wir alle feiern im Grunde die gleiche Musik. The Streets, Björk, Flying Lotus oder Madlib. Wir wollen Dreck, Edge und Power. Und deswegen würde ich auch nie einfach Beats von irgendwelchen deutschen Produzenten picken. Das würde bei meiner Musik nicht funktionieren. Das muss schon mein Umfeld machen.

Angeblich gibt es bei den Krauts ja ein gewisses Regelwerk, das sie auf Texte und Songs anwenden.
Na ja, es gibt diese Liste nicht als solche. Die sagen halt immer: »Das geht nicht.« Oder: »Das ist geiler.« Um beim Songwriting selbständiger zu werden, habe ich daraus für mich dann so eine richtige Liste entwickelt. Nach dem Motto: Wenn ich diese Regeln befolge, dann wird es geil. Für Marteria wohlgemerkt. Für Marsi wäre das komplett falsch. Denn natürlich sind nicht all ­diese Regeln für jeden Künstler richtig.

Welche Regeln gibt es denn für Marteria zum Beispiel?
Das sind ganz einfache Sachen. Vor allem müssen es gute Reime sein. Die Wörter müssen greifbar sein, so wie: »Zieh den Karren aus dem Dreck/alles ist perfekt/alle Windmühlen sind wie weggeblasen.« Das klingt gut, das bleibt hängen, das kann man leicht aussprechen – genau wie das offene »A« am Anfang einer Hook. Eine andere Regel lautet, dass man in Songs immer nur die erste oder zweite Person ­verwenden sollte – immer nur »du« oder »ich«, aber niemals »er« oder »sie«. Denn »er« ist nun mal nicht so wichtig wie »ich«. Eine andere Regel ist, dass man beim Texten immer streicht und alles Überflüssige entfernt. Man muss sich darauf besinnen, was man eigentlich sagen will. Und man sollte sich nicht wiederholen. Als Marsimoto kann ich über fast jedes Thema rappen – über einen Schuh, der auf dem Mars ausgesetzt wurde, über einen Ranchbesitzer oder über ­Indianer. Das ist ein unmenschlich großes Spektrum. Bei Marteria ist das nicht so. Aber Marsi ist ja auch mehrfach auf dem Album vertreten, auf »Veronal« oder »Kate Moskau« und mit weiteren Lines. Der ist immer am Start und überwacht das Ganze, weil er dieses Ding nun mal losgetreten hat.

Heißt das, man muss sich auf eine Song-These fokussieren?
Genau so ist es. Du musst die Songs kleiner machen, damit sie am Ende größer werden. Wenn du einen Song über Schlaflosigkeit machst, dann musst du dich fragen, was daran entscheidend ist. Worum geht es eigentlich? Du darfst keine künstlichen Brücken bauen. Dann knickt dir der Hörer weg, auch wenn er den Song geil findet. Ich hatte bei manchen Songs vier oder fünf Strophen, habe aber gemerkt, dass immer nur ein oder zwei Lines richtig stark waren, also habe ich den Rest gestrichen und genau diese Lines zusammengefügt. Oder Monk hat den roten Edding rausgeholt und alles Überflüssige gestrichen. Am Ende standen dann teilweise nur noch drei gute Sprüche und die Wörter »und« und »für« auf dem Blatt. (lacht)

Was hast du da gedacht?
Na ja, das war ganz am Anfang des Prozesses. Und je besser ich wurde, desto weniger wurde gestrichen. Ich musste mich eben anstrengen und mir den Arsch aufreißen. Als ich »Verstrahlt« fertig hatte, da hatte ich ein echt gutes Gefühl und dachte, ich hätte da echt was Gutes geschrieben. Ich bin dann zu Monk gegangen und habe gehofft, dass er das auch gut findet. Als er dann meinte, dass er das geil findet, hatte ich den perfekten Tag. Manchmal habe ich aber aus einem Vibe heraus etwas geschrieben, was ein paar Tage später schon nicht mehr funktioniert hat.

Ich habe es selten erlebt, dass ein Künstler so viel Arbeit in eine Platte gesteckt und am Ende so ­überzeugt von dem Ergebnis war.
Du musst verstehen: Es war einfach das Tollste überhaupt, diese Platte zu machen. Von Anfang an. Das sagen wir alle. Heute treffen wir uns und lachen, weil wir wissen, dass wir was Geiles auf die Beine gestellt haben. Ich bin richtig stolz darauf. Für mich macht jetzt alles Sinn – auch, dass ich damals alles hingeschmissen und gesagt habe: Ja, ich setze auf das »falsche Pferd HipHop«. No Paul Ripke. (lacht)

Text: Stephan Szillus
Fotos: Katja Kuhl
Styling: Highway_Child

Dieses Interview erschien als Titelstory in JUICE #132 (hier versandkostenfrei nachbestellen)

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