Eine Dekade im Rückblick #5: Deutschlands Battlerap-Bloom // Titelstory

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Capital Bra und Nedal Nib

Es gibt kein Battle?

Battlerap gehört neben besonders obskuren Nischen wie Horrorcore zu den für Außenstehende unzugänglichsten Bräuchen der HipHop-Kultur. Nicht nur Battlerap-Songs sorgen immer wieder für Irritationen, auch das klassische Battle mag von außen betrachtet wenig Sinn ergeben. Warum finden es Leute witzig, einander von Kopf bis Fuß mit den wüstesten Beleidigungen einzudecken? Umso spannender, dass Battlerap seit diesem Jahrzehnt im Rap-Mainstream angekommen zu sein scheint.

Die Deutsche Battlekultur florierte dabei schon immer: Die RBA, kurz für Reimliga Battle Arena, existiert bereits seit dem Jahr 2000 und ermöglichte zahlreichen heute bekannten Gesichtern wie Kollegah, KIZ, Casper, Cro, Pillath, Shneezin, JAW, Sun Diego oder Juju ihre ersten raptechnischen Schritte. Livebattles existierten ebenfalls bereits, etwa die legendäre »Wir battlen jeden«-Tour der Beatfabrik und die 1On1 Freestyle-Battles vom Out4Fame, bei denen Fard sich einen Namen machen konnte. 2006 gab sich die Crème de la Crème der deutschen Rapper aber erstmals auf einer größeren Bildfläche bei Feuer über Deutschland von Angesicht zu Angesicht verbal auf die Nase. Namen wie Casper, Animus, Tua, Favorite und Timi Hendrix trafen dort aufeinander, in den Folgejahren wuchs das Roster um viele noch heute populäre Künstler.

Die VBT-Hochphase

Dennoch sollte es bis 2011 dauern, bis deutscher Battlerap erstmals einen handfesten Hype erfuhr. Dafür brauchte es das VBT. Wieder ein Akronym, wieder ein Online-Battle: Das Video Battle Turnier wurde erstmals 2007 auf Rappers.in veranstaltet. Durch die mal mehr, mal weniger aufwändigen Musikvideos gewann das Format an Beliebtheit, 2012 gipfelte das sogar in einer Sonderausgabe, deren Gewinner als Opener beim splash! Festival auftreten durfte. Im Finale konnte sich der bis heute ungeschlagene Weekend durchsetzen, der das Turnier bereits 2011 für sich entschieden hatte. Seine unangreifbare Attitüde, die spitze Zunge und der überhebliche Humor ließen ihn über Battleboi Basti triumphieren, der sich als kleiner Junge mit Scherzartikel-Hornbrille und hoher Kinderstimme inszenierte.

Neben dem Image machte Basti besonders durch technisch anspruchsvollen Rap und Doubletime-Passagen von sich reden. Battlerap hatte ein neues Level erreicht: Es reichte nicht mehr, dem Gegner zu erzählen, dass man mit seiner Mutter zu kopulieren gedenke oder ihm gar Gewalt antun wolle. Vokabeln wie »Gegnerbezug« hielten Einzug, Battles wurden mehr zur Kopf- als zur Rapsache. Überraschende Konzepte und vor allem auf den Kontrahenten maßgeschneiderte Punchlines waren das Maß aller Dinge – wer einfach nur ein guter Rapper war, flog schneller aus dem Turnier, als er »Zwischenrunde« spitten konnte.

Live-Battles übernehmen

Doch auch die Hochphase des VBT musste enden. Das Niveau sank nach der »splash! Edition« rasant, außerdem ruinierte die Konkurrenz das Geschäft eher, statt es zu beleben: Der umstrittene YouTuber JuliensBlog, der sich durch amateurhafte Rapanalysen und menschenverachtenden Humor eine unangemessen große Community aufbauen konnte, rief 2012 sein eigenes Videobattle, das JBB (jetzt ratet mal), ins Leben, das mit saftigem Preisgeld und enormer Reichweite lockte. Dies generierte zwar in kürzester Zeit Millionen von Klicks und brachte mit Spongebozz Gunshot sogar einen waschechten Star hervor, änderte aber nichts daran, dass der Videobattle-Markt nach ein paar fetten Jahren endgültig übersättigt war.

Dafür erlebten Livebattles vor Publikum ihr Revival auf der Bühne von Rap am Mittwoch. Der Reiz: Wenn du verkackst, war’s das. Ein Versuch, one Shot – wie bei 8Mile. Mit der Inszenierung eines Profisport-Events (inklusive eigener Hymne und Experteninterviews nach den Battles) rangen die MCs in einem Turniersystem um den begehrten King-Titel. Die großen Reichweiten brachten aber nicht die Liveshows, sondern erst die YouTube-Uploads, die oft viele Hunderttausend Klicks zählten. Auch auf der Bühne von Veranstalter und Host Ben Salomo wurde schnell klar: Das Publikum mag es markant. Nicht immer war der technisch bessere Rapper der Sieger. Oft konnte sich derjenige durchsetzen, der mit Charisma und Attitude das Publikum auf seine Seite zog. Atzenkalle war mit seiner großen Klappe und dem Babyface ein solcher Publikumsliebling. In Sachen Ignoranz übertraf ihn nur Karate Andi, der sich so, stets betrunken und schlecht vorbereitet, aber mit flapsiger Kein-Fick-Attitüde, eine Musikkarriere ermöglichte. Andi ist aber nicht der bekannteste RaM- Emporkömmling: Capital Bra debütierte 2014 bei Rap am Mittwoch – der Rest ist Geschichte.

DLTLLY kommt dazu

So wie Salomos Format Geschichte ist – RaM schloss 2018 seine Pforten, der reichweitenstarke YouTube-Kanal ging, angeblich nach Zahlung einer stattlichen Ablöse, an Salomos Wegbegleiter Tierstar über, der dort fortan sein eigenes Battleformat Top Tier Takeover präsentieren sollte. Als Grund für seinen Ausstieg aus der Szene führte Salomo den Antisemitismus an, der ihm entgegenschlug. Allerdings zeichnete sich ein weiteres Problem am Horizont ab: Konkurrenz.

Das Format Don’t Let The Label Label You um den Gründer und international angesehenen Battlerapper Jamie alias Jolly Jay, seinen Partner Hanno und den für sein lautes Organ bekannten Host Big Chief war bereits seit 2013 auf dem Vormarsch. DLTLLY hält sich in Sachen Inszenierung und Disziplinen an internationale Vorbilder. Die Battles sind vorgeschrieben, Paarungen stehen vorher fest, performt wird in einem Menschenkessel ohne Mikrofone – ganz wie bei den großen englischsprachigen Ligen Don’t Flop, King of the Dot oder Grindtime. Es geht weniger um Massenwirksamkeit als um Skills, Kreativität und jede Menge selbstreferenzielle Liga-Insider. Ein Fest für Battlerap-Nerds, wenn auch weniger leicht zugänglich als die poppige Konkurrenz.

Wo einst zig Videobattles mit konfusen Abkürzungen als Namen waren, schießen heute immer mehr Live-Events aus dem Boden und Ligen wie die Battlerap-Bundesliga von Battle-Koryphäe Merlin wollen frischen Wind in die Beleidigungslandschaft bringen. Es scheint, dass auch die Disziplin des Battles vom aktuell unaufhaltsam erscheinenden Deutschrap- Siegeszug profitieren kann– Zuschauerzahlen und Künstlergagen steigen weiterhin. Es waren zehn gute Jahre – auf die nächsten zehn.

Text: Till »Skinny« Arndt
Illustration: Henrike Ott

Hier geht es weiter zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4, Teil 5, Teil 6 und Teil 7.

Dieses Feature erschien zuerst in JUICE 195.

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