Kings Of HipHop: Kendrick Lamar // Feature

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Der Power Circle, der sich vor knapp zehn Jahren um Lamar formte, besteht bis heute und ist das Fundament seiner Karriere. Dave Free ist, neben Terrence »Punch« Henderson und Tiffith, Präsident von TDE und sein Manager. Black Hippy noch immer die kompletteste Rap-Supergruppe ohne Album und Kendrick einer der verschlossenen, bestbehütetsten Weltstars. Obwohl die TDE-Community bestens vernetzt ist, hält sich Lamar in den Sozialen Netzwerken zurück, schottet sein Privatleben zur TMZ-freien Zone ab. Was man wissen soll, erzählt die Musik. Im Gossip-Teil landet nur die Hochzeit mit seiner Jugendliebe Whitney Alford 2015, das Halbe-Million-Dollar-Haus, das er seinen Eltern in Südkalifornien kauft, und ein Toyota Camry, den er seiner Schwester zum Abschluss schenkt – was nach den Verkaufsrekorden von »DAMN.« in der Klatschpresse zuletzt als zu »humble« bemängelt wurde.

THE ART OF STORYTELLIN’

Im August 2010 findet Kendrick als Künstler zu sich, mit seinem ersten kommerziellen Mixtape »Overly Dedicated«, auf älteren Beats von The Roots und samplelastigen Digi+Phonics-Produktionen, die den Geist der Soulquarians beschwören. Lamar quiekt und preacht wie ein junger Q-Tip, mit allen notwendigen Mitteln eines Black Thought; ein Marsianer, der Silbensamba spielt. Peter Rosenberg, Hot-97-Moderator, Podcaster und Influencer, wird zum ersten Förderer des TDE-Camps, heute ist er der lauteste Fürsprecher in der GOAT-Debatte. Ein anderer Rosenberg – Paul, der Manager von Eminem – spielt irgendwann André Young den Track »Ignorance Is Bliss« vor. Der Legende nach lud Dre daraufhin Kendrick ins Studio ein und ließ ihn über ein mögliches Detox-Überbleibsel von Just Blaze schreiben. In der ersten Studionacht mit Dre entsteht direkt »Compton«, das sich Kendrick noch aufspart für das große Debütalbum.

Die Verwandlung zum Schmetterling vollzieht er mit »Section.80« – einer Street-CD, die erstmals die unbegrenzten Möglichkeiten des Rappers Kendrick Lamar zeigen: Gepitchte, verzerrte Stimmen, schizophrene Charaktere. Doubletime-Gospel. Als hätte er Eminem gefressen, Soul verliehen und wieder ausgespuckt. Was vorher noch fehlte, war jetzt da: der Swag, die Hits, der Leader-Anspruch und Erzählstrang. 2011 entwickelte sich Lamar vom MC zum Autor, wie er in einem Essay für das XXL-Magazine später schreibt: »Das war die Zeit, in der Rapper keine Mixtapes mehr rausbrachten, sondern vollwertige Alben, ohne bei einem Major gesignt zu sein. Danach konstruierte ich meine Kunst aus der Perspektive eines Schreibers«. Der Rapper-Rapper wächst über sich hinaus.

Auf »Section.80« führt Lamar Charaktere ein, die sich durch die Erzählung seiner Alben ziehen. Das Setting: die Ronald-Reagan-Ära der Achtziger, seine Kindheit. Aus der crackverseuchten Vergangenheit zieht er Schlüsse auf die Drogenverherrlichung und ADHS-Seuche seiner Generation. Es sind Ghettoparabeln, wunderschön gerappte Moralkeulen, true Stories. Und doch spielt sich hier noch alles auf der Mikroebene ab: In »Keisha’s Song« schildert er die Vergewaltigung und den Mord an ­einer 17-jährigen Prostituierten. Auf seinen späteren Alben werden verschiedene Perspektiven die Erzählebene erweitern. So redet Keishas Schwester ihm ein Album später ins Gewissen: »How could you ever just put her on blast and shit? Judgin her past and shit?« Und auch auf »DAMN.« spielt Keisha wieder eine Rolle.

Den Titel »Good Kid, M.a.a.d. City« trägt Kendrick schon seit 2008 mit sich. Alles deutet auf einen am Reißbrett konstruierten Genreklassiker hin, noch bevor das Album, mit Interscope- und Aftermath-Rücken, am 22. Oktober 2012 erscheint: das Dre-Feature, die subversive Clubsingle »Swimming Pools« über Alkoholismus, das hochphilosophische »Bitch, Don’t Kill My Vibe«, das später den Remix-Ritterschlag von Jay Z bekommt, der Vorab-Leak und Outkast-Moment »The Art Of Peer Pressure«. Am Tag der Veröffentlichung implodierte das Internet kurz, um sich anschließend mit ­Superlativen zu überbieten. Auf einmal wollten alle auf den Kendrick-Zug aufspringen. Das Konzept­album über den inneren Kampf zwischen Hood und Herz hat bis heute weit über eine Million Einheiten abgesetzt, wurde trotz fünf Nominierungen einer Auszeichnung bei den Grammys beraubt und brachte Lamar den ASCAP-Vanguard-Award ein – ein Autorenpreis, der von der amerikanischen Gesellschaft für Komponisten, Texter und Herausgeber vergeben wird.

»Good Kid« legt den Fokus auf die Transformation von K.Dot zu Kendrick Lamar, erzählt eine nicht-lineare Coming-of-Age-Geschichte: Eine glückliche Nacht mit Me, Myself & the Homies. Im weißen Toyota geht es die Rosecrans Avenue runter, in die Untiefen Comptons und Lamars Seelenleben. Yawk! Yawk! Yawk! Yawk! Im Handschuhfach der Absoluten Giganten: eine Cigarillo-Schachtel, Gummis und eine Beat-CD. Die Art Sommernacht, die dein ganzes Leben verändert. Kendrick, auf der letzten Station seiner Unschuld, zoomte, als eingebetteter Beobachter, von der Straße auf die strukturellen Zusammenhänge hinaus. »I feel like I have to connect with my own backyard before I connect on a universal level«, beschreibt er die Dialektik der Novelle in einem späteren Interview. Heute gibt es Literaturseminare, die sich mit der Komplexität des Narrativs und der Charaktere in der »M.a.a.d. City« befassen.

THAT PART

Lange bevor »Good Kid« mit einer knappen Viertelmillion verkaufter Einheiten in der ersten Woche auf die Eins geht, hat sich der Freshman in seinem ohnehin starken 2011er-Jahrgang eine Sonderrolle erspielt. Das XXL-Magazine packte ihn mit Meek Mill, Big K.R.I.T., Yelawolf, Mac Miller, Lil B und ein paar Vergessenen aufs Cover, YG rekrutierte ihn für »My Krazy Life«, Pusha für »Nosetalgia«. Überhaupt ist Kendrick auf jedem relevanten Album gefeaturet und unter seinen Kommilitonen so angesehen, dass A$AP Rocky ihn gleich zweimal auf »LONG.LIVE.A$AP« unterbringt, Drake ihm für »Take Care« ein ganzes Interlude orchestriert und J. Cole und der Rest der Rapwelt noch heute von einem gemeinsamen Mixtape träumt. Um die Zeit läuft K. Dot in etwa so heiß wie Lil Wayne zu seiner Feature-Aristokratie 2007.

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