Kendrick Lamar und der Weg zu »To Pimp A Butterfly«

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Kendrick Lamar - Poetic Justice

Toplisten hin oder her: fiktive Listen karikieren die musikalischen Präferenzen von Freizeitkritikern, Teilzeittwitterern und notorischen Konsensoppositionellen. Stets offenkundig scheinobjektiv, nie vollständig. Auf ein Album jedoch konnten sich im vergangenen Jahr – wie auch auf den drei Jahre zuvor erschienenen Vorgänger – fast alle einigen: »To Pimp A Butterfly« ist ein Klassiker. Catchy, verdichtet, mobilisierend. Dem lauten Echo der Nullerjahre, HipHop sei gestorben und solle endlich begraben werden (Hallo, Nas!), reckt man schon seit Jahren den Nachbarn des Ringfingers entgegen.

Gesellschaftliche Einigung hin oder her: ob ein Album endgültig zum Meilenstein gekrönt werden darf, entscheidet immer noch eine fiktive Gestalt selbst, die Industrie. Sie verleiht seit 1959 in Form eines goldenen Grammophons Urteile darüber, welche musikalische Leistung im Wettbewerb mit anderen großartigen musikalischen Leistungen die wichtigere war. Viel wird gemauschelt, stets sind die Nominierungen anzweifelbar. Zufrieden ist allenfalls jeder, wenn die Superlativenvergabe endlich beendet ist und wieder ein Jahr Pause hat.

Fern von Protesten bleibt jedoch das Protestalbum selbst. »TPAB« geht mit elf Grammy-Nominierungen ins Rennen. Am 15. Februar entscheidet sich dann, wie wichtig der Industrie das Album von Kendrick Lamar künftig werden soll. Vorbereitend zur Preisverleihung wurden Beteiligte des kreativen Schaffensprozesses zur Entstehung des Albums befragt. Darunter Thundercat, Ali, Sounwave, Terrace Martin, Rapsody und eben Lamar selbst.

 
Eigentlich wollte K-Dot ein Album wie dieses vor einer ganzen Weile schon veröffentlichen. Doch dazu fühlte er sich noch nicht bereit genug. Erst musste er seinen Weg über den Mutterkontinent der Existenz, Afrika, finden. »Ich habe all die Dinge gesehen, die bis dahin vollkommen neu für mich waren«, verriet er im Interview mit den Grammys.

TDE-Produzent Derek Ali verglich Kendrick mit einem Kulturschwamm: »Er sog alles in sich auf, was ihm begegnete und verarbeitete es, um ein Puzzle aus Millionen von Einzelteilen zusammenzufügen.« Aus der Reise entstand genügend Material, dass für gut drei Alben reichen würde.

Die Sozialisation mit den neuen kulturellen Impulsen musste Kendrick zunächst aber auf musikalische Weise miteinander verknüpfen. So standen die Wirkungsweisen von Psych-Funkster Sly Stone und den Trompeten-Legenden Miles Davis und Donald Byrd Pate für das Konzept zum Album. Dabei erinnert sich Lamar an einen Tag im Tourbus, gemeinsam mit Mastermind Flying Lotus. Als er ihm eine Beatskizze vorenthielt und versehentlich anspielte, weckte ihn das Interesse daran: »Was ist das?« – FlyLo blockte ab: »Das ist nicht dein Metier. Das ist roher Funk. Darauf kannst du nicht rappen.«

Brainfeeder-Kollege und Bass-Virtuose Thundercat, seinerseits kreativer Ziehsohn von Flying Lotus, gab ein weiteres, weit bodenständigeres Detail zum Schlüssel des Erfolgs preis. Jener roughe, afroamerikanische Funk fand seinen Ursprung auf die vermutlich unkreativste Art und Weise: »Weite Teile des Albums entstanden zwischen Cartoons und japanischen Imbissnudeln.«

 
Je weiter sich das Konzept zum Album einer definitiven Vision nähern sollte, desto weiter schienen die kreativen Mauern im Kopf zu kollabieren. Nachdem Kendrick mit dem Gastauftritt auf Big Seans Song »Control« das Rap-Jahr 2013 niedermetzelte, schien die Energie perfekt, weiter nach Antworten in Afrika zu suchen. Während sich das Internet über den Verse zerriss, öffnete Kendrick weiter seinen Geist. Für den Song »Complexion (A Zulu Love)« wollte er keine geringere als Rapperin Rapsody am Mikrofon sehen: »Er wollte, dass ich zwei Strophen übernehme und Prince die Hook singt.«

Neben allen Höhenflügen therapierte Kendrick mit dem Album aber auch seine depressiven Neigungen. So erinnert sich Ali an die Studiosession zu »U«. »[Den Track] aufzunehmen, war sehr unangenehm […] und emotional. Ich habe ihn nie gefragt, was an diesem Tag in ihm vorging.«

Wie greifbar das Endprodukt aus den selten greifbaren Sessions zum Album auch in Zukunft sein wird, muss die Zeit zeigen. Einen weiteren Indikator mag die Verleihung der Grammys markieren. Doch ob elf Grammys, einer oder keiner – das in sich geschlossene Projekt reift weiter als ganzes Album. Co-Signs der Industrie hin oder her: die innere Zerrissenheit des Compton-Kids fügte sich mit diesem Album zusammen. HipHop ist lebendiger denn je und politisch sowie gesellschaftlich wichtig wie kaum ein anderes Genre. Das hat kein vergoldetes Grammophon dieser Erde zu symbolisieren.

Die vollständigen Künstlerinterviews zur Entstehung von »To Pimp A Butterfly« könnt ihr euch hier durchlesen.

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