Savvy: Underdog aus Prinzip, Untergrund aus Leidenschaft // HipHope

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Es lodert im Berliner Untergrund. So weit, so ein offenes Geheimnis. Doch einer, der den wohl zeitlosesten Sound aller Berliner Newcomer macht, ist auch Anfang 2020 noch nicht in aller Munde und Playlist. Noch nicht. Über Savvy, einen etwas anderen Künstler, der der Schule gekündigt hat, bevor sie ihn feuern konnte, der sich selbst als »Musikmuffel« bezeichnet – und eigentlich auch gar nicht in aller Munde sein will.

Als ihn das Blitzlicht trifft, dreht sich Savvy gerade eine Sportzigarette. Sein Spielfeld ist 10245 Berlin. Friedrichshain. »Ich komme mir immer ein bisschen komisch vor, wenn ich so für Fotos pose. So influencer-mäßig«, sagt der Rapper in Richtung unseres Fotografen Paul. An diesem frühen Februarabend wird klar: Obwohl sich Leon Knauer aka Savvy wohl nirgends so zu Hause fühlt wie hier, in Rufnähe seines Elternhauses, entspricht es eher seinem Naturell, in der Booth oder zumindest hinter der Kamera, anstatt vor der Linse zu stehen. Doch genauso klar ist auch, dass sich der 22-jährige Berliner in Zukunft häufiger in »influencer-mäßigen« Situationen wiederfinden wird. Vorausgesetzt, sein musikalischer Output hält weiterhin annähernd das Niveau, das er im Laufe der zurückliegenden sechs Monate erreichen konnte. Dessen, so scheint es, ist sich aber auch Savvy bewusst. »Ich mag die Rolle als Underdog. Irgendwann werden sie es schon checken«, sagt er etwa, als wir über den anstehenden Festival-Sommer und bis dato ausgebliebene Bookings sprechen. »Und ey, wir sind immer bereit!«

Wir, das sind in diesem Fall eine Handvoll Jungs aus Friedrichshain, die sich teilweise schon seit der Grundschule kennen und im Mai 2019 ihr eigenes Label gründeten: 245 Hoodlove, »das nach und nach aufgebaut wird. Merch war der erste Schritt, im Hintergrund passiert sehr viel.« Seine ersten Songtexte schreibt Savvy derweil schon im Alter von elf Jahren, vor einigen Jahren folgen auf YouTube die ersten vereinzelten Tracks, hinzu kommt eine EP, die inzwischen aber nicht mehr auf SoundCloud verfügbar ist. Auf die Frage, wer eigentlich alles Teil von 245 Hoodlove ist, antwortet Savvy verschmitzt: »Dicka, das sind solche Murmeltiere.« Zunächst wäre da Pablo aka Cuello, der ebenfalls rappt und dessen Gastauftritt auf Savvys »Allein« der erste Part überhaupt war, den er aufgenommen hat. Cuello arbeite inzwischen an ersten Solo-Projekten, sei »aber sehr kritisch mit sich selbst.« Komplettiert wird das 245-Quartett durch die beiden Produzenten Jan aka 24Seven und Ruben aka Jiby, die – mit Unterstützung von Nobodysface – alle Beats für Savvys Debütalbum »245« produziert haben, das im vergangenen September erschien. »Es ist ein bisschen verrückt. Wir sind vier verpeilte Jungs und sind zwar alle nicht komplett auf den Kopf gefallen, müssen dann aber plötzlich mit der GEMA reden oder haben irgendwelche Anwaltstermine, zu denen wir in Jogginghose erscheinen. Im Moment sind wir an einem von sieben Tagen pro Woche Businessmänner. Da passiert es dann schon mal, dass wir im Foyer auf unseren Anwaltstermin warten und erst mal nicht reingelassen werden. Auf verpeilt. Aber ich mag das!«

Fotos: Paul von Heymann

»Ich habe gar keinen Bock auf einen Hype. Hype ist so vergänglich. Ich will mein Ding machen und das vor allem so lange ich kann, weil ich weiß, dass es mich erfüllt. Ich habe keinen Bock, Fast Food zu sein«

Savvy

Angesprochen auf sein Debütalbum »245«, das zwar zu den kohärentesten, lyrischsten und insgesamt stärksten deutschen Rapalben 2019 zählte, trotzdem aber komplett unter dem Radar flog und – zumindest auf Streamingzahlen bezogen – auch nur mäßigen Erfolg hatte, wird einmal mehr deutlich, wie bodenständig Savvy ist. Klickzahlen sind ihm ziemlich egal, vielmehr möchte er nachhaltig etwas bewegen. »Wir haben alle große Hoffnungen. Ich habe aber gar keinen Bock auf einen Hype. Hype ist so vergänglich. Ich will mein Ding machen und das vor allem so lange ich kann, weil ich weiß, dass es mich erfüllt. Ich habe also keinen Bock, Fast Food zu sein«, sagt er. »Eigentlich bin ich jetzt schon grundzufrieden. Ich habe meine Leute um mich herum, um Mucke machen zu können. Wenn ich irgendwann von der Musik meine Miete bezahlen kann und noch ein paar hundert Euro übrig habe, um zu essen und ein bisschen Spaß zu haben, dann ist mein Lebenstraum erfüllt. Natürlich beschwere ich mich aber auch nicht, wenn wir irgendwann große Hallen bespielen können.«

Nachdem sich Savvy für den Release seines Erstlings viel Zeit nahm, folgte Anfang Januar direkt das nächste Projekt: das »Kleinwagen Tape«, bestehend aus fünf Tracks, die allesamt von BHZ-Member Max aka MotB produziert wurden. »Max hatte ja auch schon den Beat für das Intro von ‚245‘ produziert. Und danach meinten wir so: ‚Dicka, dieses Oldschool-Ding ist voll nice.‘ Im Endeffekt ist das ‚Kleinwagen Tape‘ dann mies spontan entstanden; in drei Sessions, die jeweils vielleicht vier Stunden gedauert haben. Und dann haben wir es auch direkt rausgeballert.« 

Tatsächlich strotzt die EP soundtechnisch nur so vor Neunzigerjahre West-Coast-Vibes, die Tracks könnten ohne Probleme auf Radio Los Santos laufen. Allen voran »Gin Juice«. Das zugehörige Musikvideo entpuppte sich dann auch tatsächlich als Hommage an die legendäre Videospielreihe Grand Theft Auto. So ist »Gin Juice« ein Zusammenschnitt aus Szenen mit den Atzen in Friedrichshain und Actionszenen aus GTA San Andreas, mit Charakter CJ in der Hauptrolle. »Ich war nie der krasseste Zocker, habe aber immer mal wieder von Freunden eine gebrauchte PS2 bekommen und dann war GTA oft das Einzige, was ich gezockt habe«, erinnert sich Savvy. »GTA V war dann all over the place. Egal, wo du warst, auf jeder Couch, auf jedem Fernseher, war GTA V am Start. Die Idee, Szenen aus GTA einzubauen, kam mir, als ich am Schnitt saß. Bis dahin war es ein Streetvideo und auch alles nice«, so Savvy. »Ich hatte es mir aber noch etwas krasser vorgestellt, irgendwie sind alle immer so schüchtern. Ich dachte, wir machen eine Blockparty, ein paar Leute tanzen und so. Mir war klar, dass noch irgendwas fehlt. Und dann hat mich die Melodie eben sehr an GTA erinnert, also haben wir die Szenen eingebaut und es hat gut gepasst.«

Gewissermaßen steht »Gin Juice« – oder gerade die Geschichte hinter dem Video – sinnbildlich für das bisherige künstlerische Schaffen von Savvy. Die Schule bricht er nach dem MSA ab – in seinen eigenen Worten: »Ich kündige, bevor ihr mich feuert!« Anschließend absolviert er eine Ausbildung zum Film- und Videoeditor. Die Entscheidung, auch alle visuellen Projekte wortwörtlich in Eigenregie umzusetzen, ergibt sich für ihn also von selbst. »Es hat natürlich seine Vor- und Nachteile, das alles selbst zu machen. Gerade der Schnitt ist aber eine Leidenschaft. Es gab zwar eine Phase, in der es mich nur noch abgefuckt hat, weil ich viele Werbejobs gemacht habe. An sich macht das aber voll Spaß. Und dadurch, dass ich die Ausbildung gemacht und gemerkt habe, dass ich das kann, war für mich klar, dass ich meine Videos selbst mache. Ich habe auch mal versucht, das aufzusplitten, aber das hat nicht funktioniert. Ich ficke mir lieber selber den Kopf, anstatt jemanden die Arbeit machen zu lassen und dann zu sagen: ‚Nee, also das gefällt mir jetzt nicht.’«

Für BHZ hinter der Kamera, mit BHZ auf Tour

Die ersten Musikvideos dreht Savvy dann allerdings nicht für sich selbst, sondern für Ion Miles und den Rest von BHZ. So gehen unter anderem die Fan-Favorites »Hoodparadies« oder »Vertrauen« aufs Konto des Friedrichshainers, vor allem aber auch einige der allerersten BHZ-Clips überhaupt. »Schon bevor BHZ als Crew bestand, habe ich Videos mit und für Ion Miles gedreht. Das war gerade genau zu der Zeit, als ich meine erste eigene Kamera hatte und angefangen habe, Videos zu machen. Vorher war ich auch noch nie so wirklich im westlichen Teil Berlins. Wir haben uns getroffen und direkt gut verstanden. Seitdem sind wir Family. Und von da an habe ich immer wieder Videos für die Jungs gemacht und nebenbei eben meine eigene Mucke.« Quasi im Gegenzug nimmt BHZ die 245-Jungs auf ihren ersten beiden Touren als Support mit. Dieses Jahr wolle man sich aber noch weiter emanzipieren, so Savvy, und den nächsten Schritt machen: Im September 2020 steht die erste Solo-Tour an. Zuvor ist für den Mai eine weitere EP und für den Herbst, die Tour begleitend, das zweite Studioalbum geplant.

Für die vielleicht überraschendste Antwort sorgt Savvy, als ich nach seinen musikalischen Einflüssen und Inspirationen frage. Bis heute habe er kein Spotify, überhaupt höre er hauptsächlich nur Mucke von Freunden oder seine eigene, um zu checken, wie zufrieden er ist und an welchen Stellen noch justiert werden muss. Dabei geht er sogar so weit, sich als »Musikmuffel« zu bezeichnen, zugegeben etwas scherzhaft. Aber wie sagte schon J. Cole? All good jokes contain true shit. »Jedenfalls bin ich echt kein Musiknerd. Wenn ich länger unterwegs bin, schreibe ich Texte. Von 365 Tagen im Jahr habe ich maximal an zehn Tagen Kopfhörer dabei – und dann auch nur, um Beats in der Dropbox zu hören. Ich habe nicht mal eigene Kopfhörer.« Was im ersten Moment sehr erstaunlich klingt, ist auf den zweiten Blick für den eigenen Schaffensprozess wahrscheinlich gar nicht so ungesund. »Natürlich ist es gut, immer mal nach links und rechts zu schauen. Ich will mir aber nicht zu viel Einfluss von außen holen«, findet so auch Savvy. 

Foto: Paul von Heymann

Vor allem habe er den Anspruch, in seiner Musik über seine Gefühle zu reden. »Das ist mir wichtig, weil zu wenige Leute darüber sprechen.« Er erzählt von der Trennung seiner Eltern – damals war er 13 oder 14 Jahre alt – und von seiner jüngeren Schwester, für die er immer die wichtigste Bezugsperson gewesen sei. »Ich habe keine große Ghetto-Story hinter mir, aber Leiden ist ja eh immer relativ. Es gibt Leute, die aus den schwierigsten Verhältnissen kommen und trotzdem nie ihr Lächeln verlieren. Es gibt aber auch Leute, die in Wohlstand und einem behüteten Elternhaus aufwachsen und als Heroinjunkies auf der Straße landen«, sagt Savvy. »Jeder Mensch hat Schmerzen in sich, zu 100 Prozent. Wenn also auch nur ein paar Leute meine Musik fühlen können und ich ihnen dadurch etwas geben kann, ist mir das sehr viel wert. Musik muss immer Emotionen auslösen. Egal, ob es ein Banger ist oder ein Track, den man hört, wenn es einem scheiße geht.«

Ein besonders emotionales, weil sehr persönliches Stück gelingt ihm mit »Sucht«, einem Track, in dem er eine vergangene Liebe und den damit einhergehenden Liebeskummer verarbeitet. Noch nie sei es ihm so schwergefallen, einen Track aufzunehmen. Immerhin spielt in dem Video auch genau das Mädchen mit, in das er verliebt war und von dem der Songtext handelt. »In einer Zeit, in der wir gar keinen Kontakt mehr hatten – sie war gerade für ein Jahr in Israel – ist ‚Sucht‘ gerade fertig geworden. Ich wollte ein Video dazu drehen, das emotional sein sollte, weil dieser Song von Herzen kam. Ich wollte das Video also nicht mit irgendeinem Model drehen«, erzählt Savvy. »Also habe ich sie angeschrieben und meinte: ‚Ich weiß, dass das jetzt komisch ist, das kommt aber wirklich ohne Hintergedanken: Wärst du dabei?‘ Und sie war direkt am Start. Am Ende standen wir uns Face-to-Face gegenüber, ich habe ihr in die Augen geguckt und den Song vorgesungen. Huiuiui. Das war ein Herzensprojekt.«

Gegen Ende unserer Unterhaltung kommen wir auf ein nicht weniger emotionales Thema zu sprechen: den verachtenswerten, rassistischen Anschlag von Hanau. Ich gebe offen zu, dass ich mich dieser Tage oft genug regelrecht dafür schäme, weiß zu sein, stelle gleichzeitig aber auch meine Bedenken in den Raum, was Reaktionen auf Social Media angeht – genauer gesagt, was eine gewisse Erwartungshaltung hinsichtlich Reaktionen einzelner Berühmtheiten oder Influencer*innen betrifft. Wann kann man was von wem erwarten? Nimmt nicht (hoffentlich) jeder auf seine Art und Weise Anteil? Ich frage Savvy, der berichtet, als Sohn einer kubanischen Mutter und eines deutschen Vaters in seinem Leben selbst schon häufig von Rassismus betroffen gewesen zu sein. »Wenn man sich zu so etwas äußert, sollte das aus eigenem Antrieb kommen und nicht, weil jemand anders mit dem Finger auf einen gezeigt hat und meinte: ‚Du musst das jetzt machen!‘ Sonst ist es nämlich nicht ehrlich«, findet er, und appelliert im selben Atemzug an den gesunden Menschenverstand jedes Einzelnen: »Du kannst jeden Tag etwas tun, wenn jemand im Alltag belästigt wird, aufgrund seines Aussehens oder seiner Herkunft fertig gemacht wird. Da sollte jeder den Mund aufmachen und aktiv sein. Social Media ist aber nicht die Plattform dafür. Die AfD sitzt in jedem Landtag, leider auch weiterhin in Hamburg. Das zeigt doch einfach nur, dass Deutschland gerade ein massives Problem hat. Genau so fing das schließlich auch in den Dreißigern an. Jeder sollte in seinem Umfeld, in seinem Alltag mehr tun – gerade gegen Nazis. Diesen Kampf muss man tagtäglich führen. Ich ficke auf Politik, ich bin für Menschlichkeit!«

Text: Anton Fahl
Fotos: Paul von Heymann

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