Pöbel MC: »Die Resignation und Frustration mündet fast in ein apokalyptisches Grundgefühl« // Interview

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Der gebürtige Rostocker Pöbel MC fühlt sich wohl in seiner Rolle als »Bildungsbürgerproll«. Sein neues Album legt wenig Wert auf höfliche Umgangsformen, sondern bildet unprätentiösen Battlerap ab, der nicht nur auf die Fresse gibt, sondern zum Nachdenken anregt. Um klare politische Ansagen ist der Wahlberliner zu keinem Zeitpunkt verlegen und übt genauso Kritik an Staat und Polizei, wie an neoliberalen Motiven im Deutschrap. Wir haben uns mit Pöbel MC über seine ostdeutsche Sozialisation, Selbstdarstellung in Sozialen Medien und die aktuelle politische Lage unterhalten.

Du thematisierst auf »Patchworkwendekids« deine Jugend in Rostock in der Nachwendezeit. Bist du noch vor der Wende geboren?
Die Jugend habe ich nach der Wende in Rostock verbracht, geboren bin ich vor der Wende. Die Zeit der Teilung habe ich also nicht direkt mitbekommen, aber ich bin natürlich vom Umfeld meiner Familie und meiner Sozialisation geprägt. 

Welche Themen bestimmen diese Sozialisation, die sich vielleicht von anderen Regionen Deutschlands unterscheidet?
Ich hab das vor allem daran mitbekommen, dass ein Teil meiner Familie in Westdeutschland sozialisiert ist und es alleine schon am Werdegang der Individuen spürbar wird. Die Themen betreffen zum Beispiel die allgemeine Lebensplanung: Umgang mit Geld und Investitionen, grundlegende politische Anschauungen, vielleicht auch allgemein das Selbstbewusstsein und die Fragen, mit denen sich die Eltern auseinandergesetzt haben. Bei vielen mit Ost-Sozialisation ging es darum, nach der Wende eine persönliche Freiheit zu haben und zu leben. Zum Beispiel, indem sie Länder besuchen, die sie davor nicht bereisen durften. Es ging auch darum, ein bisschen stärker in das Westdeutsche, kapitalistische Karriere- und Erfolgsdenken reinzukommen. Das gab es in der DDR nicht so stark. Es konnten auch Leute, die aus heutiger Sicht sehr gut ausgebildet sind, nicht großartig viel Geld verdienen oder sich finanziell stark vom Durchschnitt abheben. Und das sind schon Sachen, die durchaus für viele in meiner Elterngeneration dazugekommen sind, beziehungsweise Dinge, die sie aufgrund der ideologischen Prägung durch das DDR-System gar nicht so interessiert haben. Ich kenne viele Leute aus der Generation meiner Eltern, die sich trotz dessen, dass sie Akademiker sind, nicht großartig für ihren beruflichen Werdegang im vodergründlichsten Sinne interessiert haben oder Karriere machen wollten. Fragen, die heute zum Teil schon in der Abiturphase diskutiert werden. Wo Leute später mal arbeiten können und mit welchem Schnitt sie sich worauf bewerben können. Ich glaube, diese Verwertungslogik der Qualifikationen und der Bildung gab es als Themenkomplex weniger stark.

Ist das ein Aspekt, zu dem man stärker zurückkehren sollte? Dass der Anspruch, das eigene Leben möglichst verwertbar zu gestalten, nicht die größte Maxime sein sollte?
Ja, das sehe ich auf jeden Fall so. Wenn man den Parameter Lebensqualität maximieren möchte, dann wird der nicht dadurch maximiert, dass man besonders viel Geld hat oder nach Erfolg in diesem Sinne strebt, sondern eher dadurch, dass man erkennt, was einem selber gut tut und wie man die Zeit für einen selbst und seine Mitmenschen gewinnbringend und positiv gestaltet. Ich glaube, das ist etwas, das im blinden Erfolgsstreben verlorengeht. Ob das jetzt per se in der DDR besser war? Was weiß ich. Ich bin weit davon entfernt, die DDR systematisch zu loben. Aber bestimmte Sachen auf dieser Ebene haben weniger Druck auf die Menschen ausgeübt und ihnen damit ermöglicht, ein wenig unbefangener zu sein.

Hast du später Erfahrungen damit gemacht, dass Leute dich angemacht haben, weil du aus Ostdeutschland kommst?
Klar, sowas gibt’s auch. Und genauso umgekehrt, dass Leute aus dem Osten denken, dass die meisten Wessis nichts können. Damit ist man konfrontiert worden, aber nie in einer Weise, dass ich es ernst genommen hätte oder mich ernsthaft diskriminiert gefühlt hätte. Es gibt aber auch Leute, die einen leichten Minderwertigkeitskomplex mit sich herumtragen, weil sie aus dem überwundenen System kommen und weil Sachen, für die sie eingestanden sind und mit denen sie großgeworden sind, gerade Leute aus dem Arbeiterumfeld, jetzt nichts mehr wert sind. Das ist natürlich ein krasser Einschnitt und die Leute fühlen sich teilweise um ihren Lebensentwurf betrogen, was man an der ein oder anderen Stelle nachvollziehen kann. In meiner Generation gibt es bescheuerte Ossi-Ressentiments, die davon handeln, dass die alle Alkoholiker und Hooligans sind. Man kann da alles Mögliche aufgreifen, aber solange das scherzhaft bleibt, finde ich das nachvollziehbar. Wenn Leute das aber unangenehm finden und sich davon getroffen fühlen, sollte man das ernst nehmen und solche Aussagen kritischer reflektieren.

Ab und zu findet sich auch das Narrativ, dass es quasi nur in Ostdeutschland ein Problem mit Nazis gibt, während im Westen ja vieles gut laufe. Auch, wenn gerade die AfD im Osten tatsächlich sehr stark ist, findet sich da eben ein klassisches »Westdeutschland ist dem Osten überlegen«-Narrativ.
Ich glaube, das ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass es in der DDR weniger multikulturelles Miteinander als in der BRD gab. Gerade in Bezug auf Menschen mit muslimischem Glauben. Und weil es diesen Mangel an Austausch gab, sind die Vorurteile dort noch viel größer, was beschissenen Parteiprogrammen der AfD in die Hände spielt. Ich habe mal eine Recherche über die Hintergründe von AfD-Wählern gesehen und da hat sich gezeigt, dass es vorrangig Leute sind, die sehr wenig Berührungspunkte mit Migranten und Migrantinnen haben und genau aus diesem Erfahrungsmangel und rassistischen Vorurteilen heraus so eine Entscheidung treffen. Viele Leute kommen dann aus Landkreisen, in denen sehr wenige Leute mit Migrationshintergrund leben und man fragt sich, auf welche angeblichen Erfahrungen oder Entfremdungen sich diese Leute berufen wollen. Das ist ein Unterschied zwischen Ost und West, der zu diesem Stereotyp beiträgt. Es gibt ja auch das Ereignis von Rostock-Lichtenhagen, was, wenn man es historisch aufbereitet, auch insofern schwierig ist, weil auf der Seite der staatlichen Strukturen schon relativ lange klar war, dass sich so ein Ereignis anbahnt. Und trotzdem wurden die im Sonnenblumenhaus untergebrachten Vietnamesen und Vietnamesinnen nicht hinreichend geschützt. Das ist auch eine Art von Staatsversagen, denn man hätte vorher intervenieren können. Klar ist aber auch, dass es da so oder so rechtsradikale und rassistische Arschlöcher gibt.

Mit eigenem Rap hast du relativ spät angefangen. Woher kam die Motivation dafür?
Ich habe eigentlich schon immer Rap gehört, immer gerne mitgerappt und ab einem gewissen Alter auch besoffen gefreestylt. Irgendwann, ich glaube so 2015, hat Deutschrap wieder mehr Präsenz entwickelt und wurde interessanter. Davor habe ich vor allem Schlagzeug gespielt,hauptsächlich Metal-Gebolze. Dann habe ich mir eine weitere Möglichkeit gesucht, um mich kreativ auszuleben. Also einen Beat bei YouTube geklaut und einfach drübergerappt. Das war ursprünglich und eigentlich nach wie vor eher ein Spaß für Leute, die mich kennen und das witzig finden.

Nur sind mittlerweile echte Fans daraus geworden und du kannst Touren spielen.
Es war zu dem Zeitpunkt absolut nicht absehbar, dass sich so etwas daraus entwickelt. Es lief eher nach dem Motto: Guck mal, ich kann auch ein bisschen Scheiße auf den Takt reden und find‘ mich dabei witzig. 

Während die ersten Sachen alle noch klar BoomBap waren, probierst du dich mittlerweile unironisch an modernen Elementen. Stört das deine Fans und gibt es konkrete Gründe für die Weiterentwicklung?
Angefangen habe ich vor allem deshalb so, weil es produktionstechnisch das simpelste ist. Beat an und drüberappen. Das war von meinen Hörgewohnheiten geprägt, die bei 90 BPM angesiedelt sind, weshalb BoomBap intuitiv die erste Orientierung war. Mit der Zeit kam dann die Lust, mehr Dinge auszuprobieren. Ich bin da überhaupt nicht ideologisch, wenn Dinge interessant sind und Spaß machen. Natürlich verstehe ich auch, dass Leute es langweilig finden, wenn alles aus Autotune-Geballer besteht und das der Musik die Individualität nimmt, weil in der Summe ein sehr langweiliges Soundbild entsteht. Aber dabei geht es ja nicht um den Effekt, sondern um das, was man mit diesem Effekt macht und in welcher Art und Weise er redundant benutzt wird. Insofern verstehe ich den Groll, den manche haben, andere sind aber einfach dogmatische, reaktionäre Musiktrottel. Ich glaube in meinem Hörer*innen-Spektrum feiern die Leutemeist beides und es gibt dazu ein paar, die den BoomBap-Charakter meinerMukke bevorzugen und dann manchmal meckern. Das ist auch völlig ok. Aber heutzutage sagt jeder irgendwas im Internet und man kann es nicht allen recht machen. Das ist auch überhaupt nicht das Ziel.

Wie auf deinen vorigen Projekten übst du wieder viel Kritik an der Deutschrapszene und ihren neoliberalen Motiven. Welche Sachen hörst du dir an, um dir von der Szene ein Bild zu machen?
Da muss man nicht tiefgreifend recherchieren, um ein Bild zu bekommen. Was ich aber mache, ist mir YouTube-Videos anzuschauen. Ich bin weniger der Spotify-Nutzer, sondern setze mich vor den Laptop und klicke mich durch die neuesten Videos durch. Ein dabei oft bedientes Motiv ist irgendwie materialistische Glorifizierung und „reich sein“. In den allermeisten Ausprägungen ist das schlicht langweilig, da muss jemand schon sehr viel Wortkunst haben, um dieses Thema in einer interessanten Weise zu präsentieren. Außerdem zeichnet es ein Bild von Idealen, die ich größtenteils uninteressant finde. Nachvollziehbar ist es schon, dass man keine finanziellen Sorgen haben möchte, insbesondere wenn man aus einem Umfeld kommt, in dem das nicht selbstverständlich ist. Das ist total greifbar. Aber mit den eigentlichen Problemen, die zu diesen Sorgen führen, hat das nichts zu tun. Es hat auch wenig mit den Lebensumständen der allermeisten Menschen zu tun, die Rap konsumieren, und das finde ich einen komischen Widerspruch. 

Haben deine Texte etwas mit der Lebensrealität der meisten Leute zu tun?
Zumindest glaube ich,dass die Kritik der neoliberalen Ideale, egal wie sie nun artikuliert wird, schon eine Empfindung ist, die mehr Menschen teilen, als das Gefühl, in einem großen Mercedes Benz mit einer Rolex rumzucruisen.

Auf »Lowleveldrip« spielst du mit dieser Dialektik und zeichnest sozusagen den Hedonismus des Pöbels. Man gönnt sich gerne etwas Schönes, nur liegt der Preis dafür nicht im Millionenbereich, sondern im Rahmen des Monatsgehalts.
Es gibt schon Widersprüche, wenn man sich vom krassen Materialismus freimachen will, aber gleichzeitig nicht abstreiten kann, dass es sich gut anfühlt, irgendwas geiles zu essen oder Klamotten zu haben, in denen man sich selbst gefällt. Man kann sich als Figur, die bestimmte wirtschaftliche Perspektiven kritisiert, trotzdem nicht davon freimachen, in einer Realität verortet zu sein, die genau mit diesen Dingen arbeitet. Die Kritik am Kapitalismus ist dann auch nicht »Geile Güter sind schlecht«, sondern eine Kritik ihrer Verteilung, der Überhebung dieser Güter als einziges Motivationsziel und der starken Diskrepanzen von Gruppen, die sich darin ausdrücken. Qualitativ hochwertige Dinge sind schon gut, die Frage ist nur, wie man den Zugang dazu entwickelt und welchen Mehrwert sie im Vergleich zu anderen Gütern haben. 

Was ebenfalls in diese Selbstverwertungslogik reinspielt, ist die Selbstdarstellung auf Social Media, die du auf dem Album thematisierst. Als professioneller Rapper kommst du da selbst nicht drumherum und präsentierst deinen Follower*innen in letzter Zeit oft deine muskulösen Waden, die anscheinend darstellungswürdig sind.
Da ist eine Sache, die mir nie groß aufgefallen ist, sondern auf die ich angesprochen wurde, weil es anscheinend eine unverhältnismäßige Ausprägung der Muskulatur gibt. Wenn die Leute einem schon solche Vorlagen geben, die man selber amüsant findet, dann kann man ein bisschen damit spielen. Ich sehe gerade Instagram als HalliGalli-Scheiß mit Chatfunktion.

Also gibt dir das keine Dopamin-Kicks?
Doch, das schon. Das ist ein auch Problem für mich selbst, weil ich das Gefühl habe, dass ich darüber viel prokrastiniere und meine Konzentrationsspanne damit einschränke. Es ist sehr einfach, gerade wenn man etwas wirklich anstrengendes durchdenken will, sich damit rauszuholen, abzulenken und zu bespaßen, indem man dort rumklickt und einfache Erfolgserlebnisse generiert. Zum Beispiel, wenn man sich sagen lässt »Ich finde deine Waden toll«. Dann hat man irgendein anderes Problem, das viel wichtiger ist, aber so eine Nachricht entspannt und bringt einen Dopaminrausch. Deshalb möchte ich mir einen anderen Umgang damit antrainieren. 

Nimmst du dir manchmal Auszeiten, wenn als Pöbel MC gerade weniger ansteht. 
Ich benutze Social Media sowohl privat als auch für die Promoaktivitäten, deswegen gibt es keine längeren Pausen. Allerdings poste ich manchmal nichts und merke, dass es mir gut tut. Denn wenn man etwas postet, setzt man sich damit auseinander und schaut, was damit passiert und wie die Leute darauf reagieren. So quantifiziert man seinen Output und macht sich davon abhängig, was dort passiert. Davon kann ich mich nicht wirklich lossagen. Insbesondere als Künstler ist es aber auch toll, dass man sich unabhängig von medialen Strukturen eine eigene Blase schaffen kann.

Ein zentrales Thema des Albums sind politische Ansagen. Du übst Kritik an Nazis, rechten Strukturen, am Staat, am Kapitalismus und der Polizei, die geschützt wird und sich für Handlungen nicht rechtfertigen muss. Bist du mit all den Dingen, die in den letzten Wochen und Tagen geschehen sind, vom Anschlag in Hanau bis zu Flüchtlingen, die sich gerade vor der griechischen Grenze befinden, irgendwie klargekommen oder hat dich diese Lage überfordert? Oder geht es damit nur so weiter wie bereits die letzten Jahre?
Es überfordert mich auf jeden Fall. Das Leid und die Enttäuschung, die im Umgang mit diesen ganzen Dingen in mir hochkommt, führt dazu, dass ich gar keinen Ausdruck mehr finden kann. Ich habe nicht das Gefühl, jetzt ein 20-Track-Polit-Rap-Album zu machen wollen, was dann keinen mehr interessiert, aber wo ich wenigstens das Gefühl habe, mich zu allen Dingen geäußert zu haben. Aber es ist nicht der Fall, dass es mich überrascht. Oft schauen einige auf kritische linke Strukturen herab und sagen, dass die Kritik an staatlichen Strukturen zu einseitig oder überzogen sei usw. Das stimmt vielleicht an manchen Stellen, aber den eklatanten gesellschaftlichen Rassismus, die Organisiertheit von Nazistrukturen und die menschenfeindliche Abschottungspolitik der EU kann heutzutage schwerlich jemand leugnen. Wenn das vor zehn Jahren vielleicht noch ein AJZ-Thema war, auf das die Leute herablassend geblickt haben, kommen genau die Diskussionen, die in solchen Strukturen geführt wurden, jetzt in der Gegenwart an. Weil sie erkennen, dass es bewaffnete Neonazis gibt, die Menschen aus rassistischen Motiven umbringen und zwar im Jahr 2020. Und im Zweifelsfall heißt es halt: »Ach, ihr seid keine türkischen Staatsbürger? Ihr seid keine EU-Staatsbürger? Dann können wir euch nicht helfen. Ihr müsst mir euren Kindern jetzt hier hungern und werdet mit Tränengas beballert.« Das ist letztendlich die Realität. Die überrascht mich in dem Sinne nicht, aber sie betrifft mich, macht mich wütend, traurig und mittlerweile auch stumpf. Ich sehe das und denke mir, dass das alles scheiße ist, aber das wusste ich auch schon vorher. Ich versuche mich damit zu beschäftigen, habe aber keine Ahnung, wie ich meine Zukunft angesichts der allgemein bestehenden globalen Tendenzen bestreiten soll. Ich vertraue nicht darauf, dass das Gesellschaftssystem, in dem ich gerade meine Zukunft plane, die nächsten zwanzig Jahre noch besteht. Diese Art von Resignation und Frustration mündet fast in ein apokalyptisches Grundgefühl. Es ist schon ein Verdruss, der aus Tracks wie zum Beispiel »Dopamindealer« oder »Kalkül« spricht. Ich würde schon gerne etwas sinnvolles zu diesen Themen beitragen, aber ich habe das Gefühl, ich kann mich nur noch in Spott flüchten, weil es auf mehreren Ebenen so bedrückend ist, dass man es als Einzelperson gar nicht mehr greifen kann.

»Den eklatanten gesellschaftlichen Rassismus, die Organisiertheit von Nazistrukturen und die menschenfeindliche Abschottungspolitik der EU kann heutzutage schwerlich jemand leugnen. Wenn das vor zehn Jahren vielleicht noch ein AJZ-Thema war, auf das die Leute herablassend geblickt haben, kommen genau die Diskussionen, die in solchen Strukturen geführt wurden, jetzt in der Gegenwart an.« – Pöbel MC

Ich hatte ein ähnliches Gefühl und fand es viel leichter, sich auf ein irrelevantes Fußballthema zu stürzen, bei dem es um Beleidigungen gegen Milliardäre geht, als etwas wirklich sinnvolles zu Hanau beizutragen, weil diese Situation so bedrückend war und immer noch ist. Trotzdem ist es kein schönes Gefühl, dass man so abgestumpft ist, dass man sich nicht zu helfen weiß, obwohl man sich natürlich positionieren muss und möchte. 
Es gibt dann zum Großteil wieder den gleichen Sprech. »Einzeltäterdasein«, »Wir bedauern das«, »Das ist natürlich schlimm, dass so etwas in Hanau passieren konnte.« Gibt es jetzt beim Verfassungsschutz oder dem Umgang mit der AfD irgendwelche krassen Konsequenzen? Gibt es eine daraus resultierende stärkere Aufarbeitung von Neonazi-Strukturen? Von den NSU-Geschehnissen? Von gesamtgesellschaftlichem Rassismus? Nein, oder nur unzureichend. Es ist ein kurz aufkommendes, mediales Empörungsthema, auf das Leute, die sowieso schon mit der Problematik zu tun haben, noch stärker hinweisen wollen. Letztendlich geht es ohne tiefsinnige Aufarbeitung der eigentlichen Probleme weiter.

Und was du mit der Hopp-Geschichte angesprochen hast, ist natürlich ein einfacherer Rahmen für einen Medienrant als die Erschießung von Menschen in Hanau. Aber es rekurriert auf ein ähnliches Thema. Denn wenn so ein Typ im Stadion beleidigt wird, reagiert man dort strukturell und veranstaltet zum Ende eines Spiels zehn Minuten Geplänkel, während andere Menschen eine ungleich krassere Herabwürdigung erfahren, weil sie mit Affenlauten und sonstigen rassistischen Beschimpfungen auf dem Platz konfrontiert sind. Die kriegen dann am Ende die gelb-rote Karte. Es ist eine Bezugnahme auf rassistische Themen, natürlich in einem ganz anderen Rahmen, auf das kaum reagiert wird. Das erzeugt in mir sehr viel Resignation.

Was man auf deinem Album aber auch raushört, quasi eine der klassischen Möglichkeiten, um auf eine überfordernde Situation zu reagieren, ist der Rückzug in die Kneipe zum Saufen. Quasi eine Art Biedermeier, nur mit mehr Eskalation.
Partymeier. Das machen ja auch die allermeisten Menschen. Die meisten Leute müssen, um ihren Alltag überhaupt zu bewältigen, die Lage schon ausblenden und sind dann immer noch abgefuckt. »Jetzt will ich einfach nur laute, geile Musik hören, tanzen und trinken. Mein größtes Problem wird morgen mein Schädel sein.« Diese Ausflucht betreiben viele und es ist sicherlich in vielerlei Hinsicht falsch, weil man damit Möglichkeiten auslässt, positiv auf die Verhältnisse einzuwirken, selbst wenn es nur im Kleinen passiert. Es ist trotzdem ein naheliegender Flucht- und Schutzmechanismus. Wenn man sich permanent mit diesen Dingen auseinandersetzt, würde man an einer kontinuierlichen Überforderung leiden und die ist mittelfristig sehr ungesund für die Psyche.

Fotos: David Henselder

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