Kings Of HipHop: Little Brother // Feature

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Unterdessen hatte 9th die »Beat Raffles« professionalisiert und verhökert seine Instrumentals nun im Web. Das Spiel mit den Indie-Schmuddelkindern hat allerdings ein Ende, als eines Tages Young Guru, die rechte und linke Hand von Jay-Z, am Telefon fragt, ob 9th Lust hat, Jigga mal Beats vorzuspielen. Hat er natürlich. Die Story, die am Ende »Threat« zu einem der Schlüsseltracks des »Black Album« macht und 9th Wonder in die Producer-Champions-League katapultiert, trägt sich wie folgt zu: 9th fliegt auf Einladung in die fast tausend Kilometer entfernten Baseline Studios in New York, wo ihn Jay-Z mit seiner neuen Freundin Beyoncé begrüßt. Zu diesem Zeitpunkt weiß die Welt noch nichts von dieser Jahrhundertliaison, was 9th heute als Loyalitätstest interpretiert. Angesichts dieser generell surrealen Situation, als Indie-Producer aus der Provinz unbeholfen vor dem größten Rapper der damaligen HipHop-Welt zu stehen, tut er das, was er kann: Er spielt Beats vor – 29 Stück. Über eine Stunde lang hört Jay nur zu. Im Anschluss gibt er 9th eine R.-Kelly-CD in die Hand, aus der dieser binnen zwanzig Minuten ein rohschnittiges Instrumental baut. Eine Stunde später ist »Threat« fertig aufgenommen und dieser skurrile Wahnsinn perfekt gemacht. Andere brauchen schon mal länger für den musikalischen Durchbruch.

Als »Black Album« erscheint, ist 9th Wonder der Producer der Stunde und beliefert in den nächsten Jahren von Destiny’s Child über Mary J. Blige bis Lloyd Banks zahlreiche Big Names, aber eben auch reaktivierte Neunziger-Helden wie Sean Price, Masta Ace und Consequence mit seinem retro-futuristischen Trademarksound aus Watschel-Drums und Sample-Soul. Besonders seine Alben mit Buckshot und Murs erhalten in Szenekreisen hohe Anerkennung, weshalb 9th bis heute gegenüber Backpackern keine Rechtfertigung ablegen muss, warum er auch für Goldzähnchen wie Memphis Bleek produziert.

»Wir sind beide wie James Brown – er ist James Wonder, ich bin James Premier«
DJ Premier über 9th Wonder

Unterdessen hatte Phonte (mal wieder im Okayplayer-Forum) einen niederländischen Producer namens Matthijs Rook kennengelernt, den die Welt heute als Nicolay nennt. Dieser hatte bereits die B-Seite einer LB-Maxi produziert. Zusammen heben er und Phonte das Internetprojekt The Foreign Exchange aus dem Browser, schicken sich Spuren über den großen Teich hin und her. Ihr Debüt »Connected« macht das Duo zum weltweiten Kritikerliebling und hat als einer der wenigen Indie-Rap-Klassiker der Zweitausender auch heute noch Fans. Zwar ­unterscheiden sich die Zutaten im Vergleich zu Little ­Brother nicht sonderlich – auch hier sind die Bezugspunkten in den Rap-Neunzigern –, doch die transatlantische Partnerschaft stellt sich musikalisch breiter auf, lässt noch mehr R’n’B-Einflüsse zu und experimentiert sich auch mal wild durch die Genres. Der Nachfolger »Leave It All Behind« wird 2008 sogar für einen Grammy nominiert – eine Ehre, die Little Brother im Laufe ihrer Karriere verwährt bleibt.

Die neugewonnene Freizeit nutzt auch Big Pooh für Solo-Aktivitäten, allerdings knüpft sein Album »Sleepers« 2005 so nahtlos an die »The Listening«-Formel aus bodenständigem Soul-Approach und Middle-Class-Lyrik an, dass Pitchfork, Source und auch die JUICE es als solide, aber langweilige Imitation seiner eigenen Crew beurteilen. Bis heute erscheinen noch weitere Solo-Releases, die das Rezept nicht groß variieren und folglich auf immer weniger Interesse stoßen. Die Vergleiche mit Tribe kommen eben nicht von ungefähr: Pooh ist bei Little Brother das, was Phife Dawg bei ATCQ war. Oder Denyo bei den Beginnern – außer dem etwas skurrilen Umstand, dass auf der zweiten LP »Delightful Bars« ein gewisser K-Dot als Rap-Gast auftritt, sind die elf Alben kaum voneinander zu unterscheiden. Pooh darf später als einziger Nicht-TDE-Act auf Kennys erste EP. Zwei Kendrick-Features, immerhin.

»Ich hatte eine Weile nichts Vergleichbares gehört und bemerkte auch, dass LBs Inspiration von Musik kam, an der ich in der Vergangenheit beteiligt war. Das hat mich umgehauen«
Pete Rock

Als hätten sie es vergessen, finden Little Brother erst 2005 wieder im Studio zusammen. Außer den zusammengeschusterten Justus-League- und den »Chittlin Circuit«-Mixtapes (inklusive eines Raps des aufstrebenden Jungproduzenten Kanye West, vor (!) »Through The Wire«) ist man mehr mit Emanzipation beschäftigt. ABB kann Little Brother bei Atlantic Records unterbringen, einem Major-Label. Was der damalige Underground normalerweise nicht gerne sah, wird hier wohlwollend abgenickt, denn LB sind real, das Gegenteil von Sellout. Rückblickend wird genau dieser Vertrag zum Grab für Little Brother werden. Doch Anfang 2005 suhlt man sich noch im euphorischen Optimismus. Für das zweite Album möchte 9th sich etwas von seinem Throwback-Image lösen und experimentiert auf seinem schludrigen Sample-Bummtschack mit Mixing-Methoden, Phonte schreibt persönliche Briefe an alle Musiker, die gesamplet werden, und Atlantic schlägt vollmundig Features mit Jay-Z und T.I. vor, die natürlich nicht passieren. Aber Ambition iz da. Das Konzept des Albums ist eine fiktive Fernsehsendung, die afroamerikanische Stereotype aufs Korn nimmt. Schon der Titel nimmt Bezug auf die rassistischen Black­facing-Theater, genannt Minstrel Shows, die Mitte des 19. Jahrhunderts unter der weißen US-Obrigkeit beliebt waren. Das Ziel von LB ist klar: dem vorherrschenden Rap-Zeitgeist der Jiggy-Ära, der sich angeblich nur noch an Rassen- und Unterschichtsklischees bedient, mit Major-Label-Power den Spiegel vorhalten und eine authentische Gegenstimme abbilden. Make Mittelstands-Rap great again!

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