Kings Of HipHop: Little Brother // Feature

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Ab 2001 feilt das Trio nachts an Tracks und Texten, bis sie was taugen, was Anfang 2002 im Debütalbum »The Listening« mündet. Sie nennen sich Little Brother. »Wir sehen uns als die Nachkommen unserer Einflüsse, als die kleinen Geschwis­ter von A Tribe Called Quest, De La Soul und Rawkus. Deshalb der Name«, lautet die etwas verkopfte Erklärung Phontes zur Namenswahl. LB sind eben HipHop-Fans. Ihre Vorliebe für den organischen Sample-Sound des New Yorker Rap der Neunziger, aber auch Old-School-Werte wie Kulturbewusstsein, Ehrlichkeit und Integrität sind die Eckpfeiler ihres Schaffens. Phonte, der humorvolle Punchline-Anführer, Big Pooh, der stilsichere Sidekick mit Sportaffinität, und natürlich 9th Wonders butterweiche Soul-Chops bilden Anfang der Nullerjahre die ultimative Rap-Antithese zum Mainstream-HipHop – vor allem im US-amerikanischen Süden und North Carolina, wo der aktuelle Superstar ein mit Grillz geschmückter Schreihals namens Petey Pablo ist, der auf seinem Charthit dazu auffordert, das T-Shirt auszuziehen und es wie einen Helikopter überm Kopf zu wedeln. Auch wenn Little Brother immer betonen, dass sie die Clubkultur des Südens mögen, sieht die Lebensrealität der Band doch etwas anders aus. Nie machen sie einen Hehl aus ihrer (mittelständischen) Herkunft.

»Little Brother hatten etwas,
das den meisten HipHop-Crews, aber auch anderen schwarzen Musikern fehlt: Humor. Sie sind die The Time des HipHop für mich«
Questlove

Das »The Listening«-Album ist fertig. Doch ohne Deal, ohne Geld, ja sogar ohne lokale Fanbase können Little Brother zu diesem Zeitpunkt damit ungefähr so viel anfangen wie ein Berliner mit Maultaschen. Man ist dennoch ambitioniert und veranstaltet sogar eine öffentliche Listening-Session in Durham, die allerdings nur der Freundes- und Bekanntenkreis unter verhaltenem Feedback besucht. Erst ein gemeinsamer Kumpel spielt einem Typen namens DJ Brainchild, der ein College-Radio in Indiana betreibt, zwei Songs zu – gegen den Willen der Band! Dieser postet »Whatever You Say« und »Speed« auf einer Unterseite des legendären Okayplayer-Forums, das von The-Roots-Drummer Questlove 1999 als Internetplattform für Musiker gegründet wurde. LB sind not amused. Im Jahr 2002, der Geburtsstunde der flächendeckenden Filesharing-Dienste und einer kränkelnden Musikindustrie, fürchtet das Trio vor allem, dass ihnen Geld aus der Tasche gezogen wird. Am nächsten Tag hat der Post aber 300 Replies, was auf die No-Names ziemlich absurd wirkt. Das Internet ist damals nämlich wirklich noch #Neuland und kein Bestandteil des Alltags. Aber: Little Brother haben jetzt Fans.

Unterdessen führt Brainchild diese drei Wunderknaben seinem Cratedigging-Freund Questlove vor, der allerdings erst begreift, was er da vor sich hat, als Phonte und 9th ihm während einer The-Roots-Autogrammstunde in Durham eine Demo-CD aushändigen. Der Vollblut-Nerd Questlove – nie um eine Musikempfehlung verlegen – vergleicht seine Neuentdeckung in einem Okayplayer-Post tags darauf prompt mit Slum Village – und das Forum dreht durch. 9th erzählt später, in den nächsten Tagen unter anderem begeisterte Anrufe von den Beatminerz erhalten zu haben. Langsam braut sich was zusammen. Über einen befreundeten Veranstalter aus Durham gelangt das fertige Album nach Kalifornien zu ABB Records, die zu dieser Zeit Underground-Helden wie Dilated Peoples, Defari und Planet Asia im Roster haben und Little Brother unter Vertrag nehmen – mit einem Vorschuss von 2.000 Dollar. Smells like Taschengeldaufbesserung, aber hey: Es geht los!

Im Februar 2003 erscheint »The Listening« offiziell und bringt den Szene-Flurfunk endgültig zum Rauschen. LB landen in der März-Ausgabe des ikonischen Magazins The Source. Wohl auch deswegen, weil ihr Album schon seit Monaten im Netz kursiert – mit voller Absicht. Mittlerweile hatte man verstanden, dass das Internet nicht gegen, sondern für sie arbeitet. Im JUICE-Interview 2003 erklärt 9th: »Heutzutage ist alles leicht zu haben. Unser Album musst du zunächst suchen. Du musst es jagen.« Es ist ein ironischer Funfact, dass ausgerechnet Little Brother, die Realkeeper-Rettung der Bling-Bling-­­Jahre, damit eine Vorreiterrolle im Internet-Marketing inne haben. Diese Erkenntnis resultierte wohl auch daraus, dass 9th Wonder einen Monat zuvor ein Remix-Album mit NAS-Acapellas produziert hatte, das unter dem Namen »God’s Stepson« als Free-Download vertrieben wurde. Nicht wenige sehen hierin die Mutter der Wohnzimmer-Mashups, die später Mixtape-Klassiker wie »The Grey Album« oder »Brooklyn Soul« hervorbringt. Bei aller Euphorie um die verloren-geglaubte Warmherzigkeit im Rap und den andauernden Vergleichen mit ATCQ oder De La Soul sorgt aber vor allem der Umstand, dass Little Brother eine reine Home-Recording-Band sind, für die eigentliche Sensation. Kein High-End-Studio, nur ein PC mit der damals als Amateurprogramm bekannten Software Fruity Loops. Das ist 2002 noch ziemlich aufregend. Heutige Fruity-Loops-Nutzer wie Boi-1da oder Metro Boomin erklären später, dass sie FL durch 9th kennenlernten. Fortlaufend wird Patrick Douthit als Fruity-Loops-Wunderkind herumge­reicht – ein Segen für Little Brother, der sich noch als Fluch herausstellen wird.

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