»Obscuritas Eterna« – Horrocore in Deutschland // Feature

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Staatsanwalt Thomas Schulz-Spirohn hatte sich offenbar dem Kampf gegen gewalttätige Musik verschrieben, was ihm in der Szene den Spitznamen »Van Helsing« einbrachte – wie der Vampirjäger aus »Dracula«. »Der hatte es richtig auf uns abgesehen! Das war ein persönliches Ding: Der wollte seinem Sohn, der großer Hirntot-Fan war, beweisen, dass er am längeren Hebel sitzt«, erinnert sich Distributionz-Gründer Jayo. Trotz der Repressalien durch den Staatsapparat blieb man jedoch am Ball und ließ sich in seiner transgressiven Kunst nicht beirren. Heute kann man fast ungehindert arbeiten, auch wenn Blokk mittlerweile davon absieht, namentlich Politiker zu bedrohen.

distri als Monopol

»In einer Welt, in der jemand sich eine Kamera umschnallt und seinen Amoklauf live im Internet streamt, interessiert sich doch keiner mehr für solche Songtexte. Selbst Majorlabels haben mittlerweile Künstler mit richtig üblen Texten unter Vertrag«, stellt Jayo fest. Seine Vertriebsfirma Distributionz, heute nur noch distri, war damals der einzige Weg für Rapper der härteren Gangart, ihre Musik an den Mann zu bringen. Außer ihm wollte niemand etwas mit den Schmuddelkindern der Szene zu tun haben, und so vertrieb er alles, was in der Szene Rang und Namen hatte – von Basstards Label Horrorkore Entertainment bis zu Hirntot, KMK und 4.9.0 bot Jayo quasi aus dem Kinderzimmer heraus professionelle Strukturen für Nischenkünstler. Auch den ebenso geächteten Pornorap-Flaggschiffen Frauenarzt und King Orgasmus One ermöglichte Distributionz das Veröffentlichen von Tonträgern.

Die Kapazitäten waren natürlich begrenzt, doch die gut vernetzte Szene wusste sich zu helfen: Als Horror-Shootingstar Blokkmonsta Ende der Nullerjahre erste Untergrunderfolge feiern konnte, schossen Nachahmer aus dem Boden, die sich im Internet zusammenschlossen und über mal mehr, mal weniger professionelle Strukturen ihre Musik veröffentlichten. Zwischen allerlei Forumstümpern und Rohrkrepierern zeichneten sich allerdings durchaus auch Geheimtipps ab: Rohdiamanten wie der mittlerweile leider verstorbene Mr. 187 und sein Partner Mike Mendez, ToolBoxMurda, Zer.Fleisch oder F.A.K taten sich zwischen haufenweise Kiddies mit Billo-Masken hervor und konnten selbst kleine, aber treue Fangemeinden generieren.

»In den USA haben sie eine richtige Horrorkultur. Halloween, Masken, Kostüme – In Deutschland gibt es das kaum.«

Crystal F

Heute ist all das deutlich einfacher, die Berührungsängste mit dem Schmuddelkind der HipHop-Branche gehören längst der Vergangenheit an. Richtige Horrorcore-Superstars gibt es in Deutschland trotzdem nicht. Während in den Staaten Genre-Ziehsöhne wie die $uicideboy$, Ghostemane oder Pouya & Fat Nick richtig durchstarten, ist das höchste der Gefühle hierzulande vielleicht »Neuruppin« von K.I.Z und Tareks Cover von Brotha Lynch Hungs »Meat«. Crystal F meint, den Grund dafür zu kennen: »In den USA haben sie eine richtige Horrorkultur. Halloween, Masken, Kostüme – das ist das Kult und gehört zum Lifestyle. In Deutschland gibt es das kaum.«

Horror aus Liebe zum Spiel

Ist die Karriere von deutschen Horror-core-Artists also nach oben hin gedeckelt? Ist irgendwann einfach Schluss? »Ich habe CDs an die JUICE geschickt und nicht verstanden, warum die nicht besprochen wurden, bis mir auffiel, dass wir in den Texten halt Kinder töten – das passt vielleicht einfach nicht zur JUICE. Aber wenn es auf Englisch passiert, ist es ja irgendwie doch wieder okay. Dann finden die Leute genau dasselbe übertrieben cool«, sagt F; eine Ambivalenz, die er schon lange beobachten kann. »Selbst mein Vater hat Eminem und D12 gehört, aber der hat halt die Texte nicht verstanden. Da ging es auch um schlimmes Zeug, gehört hat es trotzdem jeder.«

Blokkmonsta glaubt aber nicht, dass Horrorcore in Deutschland eine Nische bleiben muss. »Wir haben einfach einen längeren Weg als andere. Von Haus aus haben die Leute immer einen schlechten Eindruck von uns. Bei jedem, den ich kennenlerne, muss ich erst mal gegen diesen negativen Ersteindruck ansteuern.« Doch die Beharrlichkeit scheint sich auszuzahlen. Ende letzten Jahres unterzeichnete man für Hirntot einen Vertriebsdeal mit der Universal-Tochter Chapter One. Mittlerweile werden Blokkmonstas blutrünstige Songs sogar regelmäßig in größeren Spotify-Playlisten platziert. Womöglich öffnen sich gerade einige Türen für Raps düsterste Ecke. Wünschenswert wäre es, denn noch immer wird Horrorcore gerne belächelt oder als cringy Faible von ein paar Sonderlingen abgetan. Die Leistungen und Meilensteine der Protagonisten, von denen Rap-Fans noch heute profitieren, wurden nie angemessen gewürdigt. Auch wenn das Schattendasein, das der Horrorcore hierzulande fristet, rein semantisch betrachtet hervorragend passt – verdient hat er es nicht. Doch vielleicht sind da, wo heute Gucci-Taschen und Markennamen sind, schon morgen Blutlachen und lateinische Beschwörungsformeln zu finden.

Text: Skinny
Illustration: Thomas Weierich

Dieses Feature erschien in JUICE 192. Aktuelle und ältere Ausgaben könnt ihr versandkostenfrei im Onlineshop bestellen.

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