»Obscuritas Eterna« – Horrocore in Deutschland // Feature

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Crystal F, der selbst auf viele klassische Horrorcore-Elemente verzichtet, sich aber dennoch klar als Horrorcore-Künstler sieht, stört sich an diesen engstirnigen Betrachtungsweisen: »Für mich steht Horrocore für Hass, Wut und die düstere Seite des Lebens. Aber man kann auch positive Themen bearbeiten und trotzdem Horrorcore sein. Umgekehrt macht nicht jeder Künstler, der mal einen blutrünstigen Song übers Töten von Menschen schreibt, gleich Horrorcore.«

Horrorcore definiert sich weniger über vermeintliche Regeln und Stilistiken, sondern über das Gefühl, das die Musik vermittelt – und das entsteht nicht zuletzt über die Produktionen. Neben dem Memphis-Trademark-Sound sind es dissonante Tonfolgen, schräge Horrorfilm-Samples und Klänge wie die Melodien von Spieluhren, sakrale Chöre und Orgeln oder Violinen-Tremolos, die für entsprechend schaurige Stimmung sorgen. Was Horrorcore textlich abbilden muss, entscheidet schlussendlich jeder für sich. Sicc zum Beispiel macht sich nichts aus stumpfen Schockern: »Je ekelhafter es wurde, umso weniger war es unser Ding. Horror war für uns eine Weltanschauung. Heute wäre es schwierig für mich, noch solche Musik wie früher zu machen. Das war einfach so, wie ich die Welt empfunden habe: Ich habe nur die negativen Sachen wahrgenommen, die Blumen im Leben habe ich damals nicht gesehen.«

Für G-Ko hingegen ist Horrorcore schlichtweg eine noch tabulosere Steigerung von Battlerap. Da dürfe man es auch witzig finden, wenn Kinder in Mikrowellen gesteckt werden, lacht er. Höher, schneller, weiter – Hauptsache schockierend, lautet die Devise vieler Künstler. »Das entwickelt dann so eine Gruppendynamik. Man zeigt einander die Texte und lacht sich tot. Wenn einer richtig überzogen um die Ecke kommt, dann will man ihn halt übertrumpfen und einen noch überzogeneren Part schreiben«, schildert Hirntot-Manager Nils Davis. Kein Wunder also, dass sich gerade im Horrorcore übermäßig viele Crews und Gruppierungen zusammenfinden – das Klischee vom einsamen Wolf kehrt sich ins Gegenteil um. Ob 4.9.0, Hirntot, Ruffic-tion, Nord Nord Muzikk oder die Zombiez – Horrorcore schweißt zusammen.

Haben Tabubrüche Tabus?

»Das ist einfach Entertainment. Wir sitzen beim Abmischen und lachen uns tot. Dieser Film, den wir hier erschaffen, klingt dann hart und böse. Wenn uns diese Sachen echt passieren würden, hätten wir alle Psychosen, aber in diesem Rahmen ist das einfach nur lustig«, fügt Blokkmonsta hinzu. Tabus gibt es dennoch: Alle Befragten sind sich einig, dass Vergewaltigungen und Kindesmissbrauch Themen sind, die man in der Musik zwar mit entsprechendem Fingerspitzengefühl behandeln könne, keinesfalls aber in einem Battle-Kontext. Auch Rassismus hat in Punchlines und Schockertexten nichts verloren, stellt man einstimmig fest. Es gibt zwar durchaus auch Künstler, die die genannten Grenzen überschreiten, diese hocken jedoch denkbar tief im Untergrund. Krijo Stalka etwa gilt als Ausnahmetalent, mit Songs wie »Serienkiller«, in dem er detailliert den Einbruch in ein Einfamilienhaus inklusive Vergewaltigung der Tochter und Ermordung der Familie schildert, stoßen aber auch gestandenen Szenegrößen trotz ihres dicken Fells sauer auf.

Ein verbreitetes Stilmittel ist allerdings Gewalt gegen Frauen. Das klassische Motiv vom Serienkiller, der in seinem Folterkeller junge Frauen abmetzelt, ist tief in der Welt der Popkultur verankert – besonders im Horrorcore. Schwartz stellt das in einigen Videos sogar visuell dar, mit »Der Teenieslasher« widmet er der Thematik 2009 sogar ein ganzes Album, das er nach dem gleichnamigen Horrorfilm-Subgenre benennt. »In diesen Filmen geht es immer um einen männlichen Slasher und ein weibliches Opfer. Das habe ich aufgegriffen, aber noch sehr stark versucht, da ein psychologisches Motiv reinzubringen – quasi aus einer Perspektive, die sagt: ›Die Frauen, die mich früher ausgelacht haben, erleben jetzt die Rache‹«, erklärt er. Ob Filme wie »Der goldene Handschuh« oder reißerische Dokumentationen über Serienmörder, die fast ausschließlich weibliche Opfer auf dem Gewissen haben – Gewalt gegen Frauen ist zwar harter Tobak, aber wird selbst im popkulturellen Mainstream weitgehend toleriert. »Das hat durchaus auch eine sexuelle Komponente«, findet Crystal F. »Echte Serienmörder werden teilweise sogar abgefeiert. Und das ist ja auch irgendwie faszinierend, weil es einen aus seinem normalen, langweiligen Leben rausholt. Heutzutage muss alles extrem sein – das merkt man auch an der Rap-Musik. Vergleich das, was es heute gibt, mal mit dem, was vor zehn Jahren als hart galt.«

»DER STAATSANWALT HATTE ES RICHTIG AUF UNS ABGESEHEN! DAS WAR EIN PERSÖNLICHES DING: DER WOLLTE SEINEM SOHN, DER GROSSER HIRNTOT-FAN WAR, BEWEISEN, DASS ER AM LÄNGEREN HEBEL SITZT.«

Jayo

Die BPjM als Gegenspieler

Ähnlich scheint das auch der natürliche Fressfeind von gewalthaltiger Kunst zu sehen: Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien. Heutzutage wird kaum mehr ein Release indiziert, das war früher anders. Die Liste indizierter Alben ist lang. Nicht nur die Liste A, die in erster Linie dem Jugendschutz dient und auf der sich »Obscuritas Eterna« noch heute befindet, auch die berüchtigte Liste B, die strafrechtlich relevante Inhalte abdeckt, enthält bereits Mitte der Nullerjahre diverse Hirntot-Releases. Songs wie »1. Mai Steinschlag« und musikalische Morddrohungen an die SPD-Abgeordnete Monika Griefahn in »Fick die BPjM« riefen schnell die Behörden auf den Plan und führten neben diversen Hausdurchsuchungen (eine Prozedur, die Basstard schon seit »Rap Dämon« kennt) zu Bewährungsstrafen für Blokkmonsta und Uzi. Von da an hatte man den gesamten Dunstkreis des jungen Labels im Visier: »Das LKA hatte eigentlich gar keine Lust, wegen Musik tätig zu werden, deswegen wurde extra dafür eine Abteilung gegründet. In die wurde ein Staatsanwalt geholt, der vorher Kinderpornoringe ausgehoben hat. Der war wahrscheinlich froh, endlich was anderes sehen zu können«, erinnert sich Blokkmonsta.

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