»Obscuritas Eterna« – Horrocore in Deutschland // Feature

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Während man in deutschen Talkshows und Feuilletons jahrelang über den schlechten Einfluss von Straßen- und Battlerap diskutierte, kochten im Untergrund einige ­Typen ein Süppchen, das Jugendschützern und Spießbürgern noch viel saurer auf­stoßen ­dürfte. Horrorcore heißt diese für viele ungenießbare Plörre, deren Texte sich um ­Okkultismus, Blutbäder und menschliche Abgründe drehen. MC Basstard, Tamas, G-Ko und MXP, gemeinsam als Zombiez unterwegs, Blokkmonsta & Schwartz, KDM Shey, damals noch Sheytan, Crystal F und die 4.9.0 Friedhof Chiller heißen die Protagonisten dieses obskuren Genres – und wir haben alle zum Gespräch gebeten. Mit vereinter Kraft wird etwas Licht in die Eigenheiten von HipHops dunkelster Ecke gebracht.

Wenig überraschend führt die Spurensuche nach den Wurzeln des Genres ohne Umwege in die USA – in die Südstaaten der späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, um genau zu sein. Es gibt zwar schon frühere Werke, die in eine ähnliche Kerbe schlagen, das Duo Dr. Jeckyll & Mr. Hyde mit seinem heiteren New Yorker Blockparty-Sound passt bei näherer Betrachtung aber ebenso wenig ins Raster wie Jimmy Spicers Eighties-Storyteller »Adventures Of Super Rhyme«, der von einer Begegnung mit Graf Dracula erzählt. Auch die Freddy-Krueger-Nummern »Are You Ready For Freddy« von den Fat Boys und »A Nightmare On My Street« von DJ Jazzy Jeff & The Fresh Prince (Ja, Will Smith) sind zwar Horrorfilmanleihen, aber keinesfalls Horrorcore-Songs.

Ganksta N-I-P hingegen soll bereits 1983 Horrorcore-artige Performances abgeliefert haben; die sind allerdings kaum dokumentiert. Dennoch lieferte N-I-P mit seinem Debütalbum »The South Park Psycho« bereits einen ersten Entwurf des Genres, der damals – ebenso wie das schaurige »Twelve Strokes Till Midnight« von Insane Poetry und das Geto-Boys-Debüt »Making Trouble« – eher unter Genrebezeichnungen wie Hardcore- oder Psychorap verbucht wurde. Als Ghostwriter des Geto-Boys-Spukspektakels »Chuckie« war er außerdem maßgeblich an der Blaupause von Horrorcore beteiligt: Bushwick Bill trug N-I-Ps Lyrics voller Gewaltausbrüche, Horrorfilmreferenzen und Leichenfledderei auf einem düsteren Orgelbeat vor, der nicht mit den heute noch charakteristischen Elementen wie verzerrten Synthies und der ikonischen 808-Cowbell geizte; eine Formel, die auf großen Teilen des Albums »We Can’t Be Stopped« aufgriffen wurde und die noch heute aktuell ist. Im Grunde war dies die Geburtsstunde von Horrorcore, der 1991 in Houston aus der Taufe gehoben wurde.

Noch im selben Jahr sollte der Begriff Horrorcore, ein offensichtliches Kofferwort aus »Horror« und »Hardcore«, seine erste belegte Verwendung finden: Das Trio Kaotic Minds Corruption verwendete den Begriff als Selbstbezeichnung ihres Albums »Three Men With The Power Of Ten«. Trotz ihrer Pionierarbeit sind KMC längst in der Bedeutungslosigkeit versunken, das Genre allerdings begann von nun an zu florieren: In Memphis entsteht die legendäre Triple 6 Mafia. Die bei ihrer Gründung noch dreiköpfige Crew gilt bis heute als schillerndster Wegbereiter des Horrorcore. Während sie okkulte Symbolik mit Gangbanger-Talk vermengten und den in Texas geborenen Sound konsequent weiterdachten, hatte sich in Detroit bereits die Insane Clown Posse formiert. Das Alleinstellungsmerkmal dieses Duos stellten neben den mittelmäßigen Rap-Skills vor allem die geschminkten Clownsgesichter dar, mit denen Shaggy 2 Dope und Violent Jay für Wiedererkennungswert sorgten. Sie interpretierten Horrorcore eher als Genremix und verschmolzen klassische Samplebeats mit Rock- und Metal-Anleihen. Dieses Rezept, gepaart mit der ausgereiften audiovisuellen Präsentation, brachte dem Duo schnell einige Achtungserfolge sowie eine hartnäckige Fanbase ein, die dem jährlich vom ICP-Label Psychopathic Records veranstalteten Horrorcore-Festival »Gathering Of The -Juggalos« noch heute zweistellige Millionen-umsätze in die Kasse spült.

Horrorkommerz

Von einer derart breiten Akzeptanz können die Protagonisten hierzulande nur träumen – auch szeneintern. »Ich, als ›Kanake‹, muss sagen, dass ich nicht viele Freunde hatte, die Horrorcore gehört haben«, berichtet KDM Shey. »Für die war das nur lächerlich. Mit meinem damaligen Künstlernamen Sheytan habe ich auch da eher Hate bekommen. Diese Satanismusschublade hat mich damals aber nicht gestört.« Der muslimisch geprägte Straßenrap in Deutschland hat erwartbar wenig Liebe für Blutopfer und Baphomet-Darstellungen übrig, die harmlosen Rucksackträger in Hamburg und Stuttgart gehen lieber der Quadratur des Kreises als der des Drudenfußes auf den Grund. Dass Ganksta N-I-Ps Suffix allerdings ein Akronym für »Nation of Islam is Powerful« darstellt, war auch kein Hindernis für den Texaner, das Fundament für all dies zu legen.

Obwohl das Faible fürs Gruselige und Düstere in Deutschland eher Freaks, Goths und Metallern zugeschrieben wird, sind die Horrorcore-Protagonisten der Südstaaten waschechte OGs. »Wenn man Horrorcore macht, schließt das keine Gangster- und Straßensachen aus. In Amerika war das immer gemischt«, erklärt Shey. »In Deutschland hat das weniger mit Gangstarap zu tun, dabei ist das in den USA schon immer eins gewesen – daher auch dieser andere Blick darauf.« Shey muss es wissen: Er hat viele Jahre in New Jersey gelebt. Der kalifornische Horrorcore-Entwurf stammt sogar von einer reinen Ahnenreihe an Crips: Gangmitglieder wie C-Bo, Brotha Lynch Hung, Insane Poetry und G-Macc präsentieren ihre düstere, bedrohliche Version vom eigentlich so sonnigen G-Funk und drücken dem pulsierenden Genre ihren ganz eigenen Stempel auf. Die gegenüberliegende Westküste wird bis in den Mittleren Westen hinein von samplelastigeren Rumpelproduktionen beherrscht, auf denen Kool Keith, der 2007 die Schöpfung dieser Sparte als seine eigene ausgeben sollte, und Gruppen wie D12, Gravediggaz, Bone Thugs-N-Harmony und Non Phixion ihren Fantasien von Drogenmissbrauch, sexueller Gewalt und Folter freien Lauf lassen.

Die Doppelschöpfung

In Memphis pflegen die Horrorcore-Galionsfiguren von der Three 6 Mafia weiterhin ihren markant dröhnenden 808-LoFi-Sound, der noch eine ganze Ära prägen sollte. Kurz darauf gibt Horrorcore auch in Deutschland erste Lebenszeichen von sich – als Doppelschöpfung, wie Basstard zu Protokoll gibt: »Ich kannte gar nichts, was in diese Richtung ging. Ich habe das eher instinktiv gemacht, ohne darüber nachzudenken, wo es textlich oder künstlerisch hingehen soll. Ich habe immer nur den erstbesten Scheiß aufgeschrieben, der mir textlich in den Sinn kam und Spaß gemacht hat. Das ging schon früh in diese düstere Richtung. Anfangs noch mit vielen Battlerap-Einflüssen, aber es wurde immer skurriler und dunkler. Irgendwann hat Frauenarzt mir erzählt, dass es das, was ich mache, auch ganz ähnlich in Amerika gibt.«

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