»Obscuritas Eterna« – Horrocore in Deutschland // Feature

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Schlafwandler vom Osnabrücker Trio 4.9.0 Friedhof Chiller kann die eigenen Fans selbst nicht so recht einordnen: »Das ist total querbeet. Es gibt keine spezielle Fan-Merkmale.« Crewkollege Jayson ergänzt: »Auf Konzerten von anderen Künstlern siehst du schon krasse Menschen: Leute, die mit komplett zerschnitten Beinen rumlaufen oder von oben bis unten volltätowiert sind. Solche Fans haben wir nicht, haben aber auch schon krasse Fan-Erfahrungen gemacht. Bei uns sind das Leute, die die Musik verstanden haben! Ohne Kollegen zu nahe treten zu wollen, aber man muss halt auch schauen, was man der Jugend mitgibt. Wir kriegen oft Nachrichten von Leuten, denen das Kraft gibt. Unser Song ›Im Sommer‹ wurde auf der Beerdigung von einem Mädchen gespielt, das keine zwanzig geworden ist. Das war ihr Lieblingslied. So was ist krass!«

Mordende Fans

Der Fanatismus, dem das Wort »Fan« entspringt, kann allerdings auch hässliche Züge annehmen. In seiner langjährigen Karriere musste Basstard so einiges erleben – Anfang der Nullerjahre etwa: »Damals bekam ich viel Fanpost von einem Mädchen in meinem Alter. Die wollte sich gerne mit mir treffen und hat mir ihre Nummer geschickt. Irgendwann haben wir uns bei ihr zu Hause getroffen. Die hat mich plötzlich mit einer Waffe bedroht und stundenlang dort festgehalten. Sie war irgendwie der Meinung, dass ich meine Musik nur für sie machen würde.« Die Geschichte ging zwar letztlich gut aus für das Berlin-Crime-Mitglied, hinterließ aber einen tiefen Eindruck – doch das war nicht das einzige Ereignis: »Nach einem Konzert kam mal ein Typ auf mich zu und sagte mir, er wollte gar nicht groß nerven und sei auch kein Fan, aber ich sollte wissen, dass ich schuld am Selbstmord seines Bruders sei. Ich war total schockiert und wusste gar nicht, was ich antworten sollte. Der ist dann einfach gegangen. Als ich mich gesammelt hatte, bin ich los, um ihn zu suchen. Ich wollte natürlich wissen, was los war, ich wusste ja gar nicht, worum es ging. Leider habe ich ihn nicht mehr gefunden.«

»Unser Song ‚Im Sommer‘ wurde auf der Beerdigung von einem Mädchen gespielt, das keine zwanzig geworden ist. Das war ihr Lieblingslied. So was ist krass!«

Jayson

Durch derlei Erlebnisse realisierte Basstard überhaupt erst, dass Menschen seine Texte teilweise ernst nehmen. Er beschreibt diese Erkenntnis als schwierige Situation: »Du willst natürlich deine künstlerische Freiheit behalten und erzählen, worauf du Lust hast und was du für wichtig hältst; weißt aber, dass du nicht alles rappen kannst, weil Leute das ernst nehmen und vielleicht Scheiße bauen, weil sie sich von dir dazu inspiriert fühlen.« Genau dazu kam es auch. 2012 ermordete der 25-jährige Siegfried G. Vater und Stiefmutter in einer geplanten Tat. Der vorbestrafte Gewalttäter soll großer Fan von Horrorcore-Musik gewesen, laut einer renommierten Boulevardzeitung habe ihn auch das indizierte Album »Omen« von Basstard und Kaisa zu seiner Tat motiviert. »Das hat mich richtig mitgenommen«, erzählt Basstard.

»Ich habe das dann gepostet und wusste überhaupt nicht, wie ich damit umgehen soll. Dann hat sich ein Freund des Täters bei mir gemeldet und mich beruhigt. Der hat mir erklärt, dass das, was die Presse geschrieben hat, Bullshit war. Der Junge wurde als Kind von seinem Vater misshandelt und war schon immer ein Psycho. Meine Musik hatte da wohl gar keinen Einfluss drauf, aber für die Presse wird eine Story durch so was natürlich viel spannender. Mir ist aber natürlich trotzdem klar, dass psychisch labile Leute solche Musik durchaus für bare Münze nehmen können. Die Verantwortung dafür kann aber nicht beim Künstler liegen. Ich bin inzwischen der Meinung, dass ein Künstler sich die Freiheit nehmen muss, das zu tun, was er für richtig hält. Niemand ist jemals Amok gelaufen, weil er Marilyn Manson gehört hat! Die Musik sorgt nicht dafür, dass du eine Tat begehst. Sie sorgt nur dafür, dass du dich nicht ganz so alleine fühlst und merkst, dass es andere gibt, die deine Probleme und Schmerzen teilen. Das hilft Leuten eher dabei, nicht durchzudrehen.«

Die Musik als Rettungsanker – das würde die unbedingte Treue der Fans schlüssig erklären. Crystal F bestätigt diese Perspektive. »Mich hat diese Musik damals gerettet! Als junger Mann wusste ich überhaupt nicht, wohin mit mir. Für mich war das ein Ventil, das mir Halt gegeben und mir gezeigt hat, dass ich mit meiner Wut nicht alleine bin; dass ich nicht der einzige bin, der nach der Schule nach Hause kommt, den ganzen Tag Scheiße gefressen hat und nicht weiß, wo er das abladen soll. Die Musik hat mich zumindest ein bisschen entspannt. Manchmal ist geteiltes Leid eben halbes Leid.«

Was ist eigentlich Horrorcore?

Negative Musik mit positivem Effekt also. Die Inhalte sind dennoch nichts für schwache Nerven. Klassischer Horrorcore definiert sich typischerweise über die Verwendung satanischer, okkulter und übersinnlicher Symbole: Dämonen, Geister und so Zeug. Da ist das Genre aber längst rausgewachsen. Blokkmonsta schreibt seiner Musik einfach die Bezeichnung »Psychocore« zu und schafft seinem weniger auf Grusel als auf brachialer Gewalt fußenden Stil damit seine eigene Schublade. Ebenso der New Yorker Necro, der seine Version von Horrorcore »Death Rap« tauft. Die Three 6 Mafia hat sich, wie viele andere auch, nie selbst diesem Sektor zugeordnet. Tyler The Creator wehrt sich sogar erbittert gegen die Bezeichnung Horrorcore, die in Wahrheit ohnehin nur ein erfundener Kunstbegriff ist.

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