Curse: »Es gibt Dinge im Leben, die alles verändern – eines davon war HipHop« // Interview

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Curse
Foto: Robert Eikelpoth

»Sie schauen in die Sonne, sind geblendet vom Licht/Hab keine Angst vor dem, was du bist.« Ein melancholischer Piano-Loop, bauchige BoomBap-Drums und haufenweise Lebensratgeber-Lines – drei Jahre nach seinem umstrittenen Album »Uns« kehrte Curse Anfang Dezember mit seiner Single »Was du bist« auf eine Weise zurück, die selbst gutgläubigste Alt-Fans nicht mehr für möglich gehalten hätten: auf altbekanntes Terrain. Kein Zufall, wie der 39-Jährige im Gespräch betont, schließlich sei sein kommendes Album »Die Farbe von Wasser« fast komplett in seiner Geburtsstadt Minden entstanden. Ausgerechnet im Keller jenes Jugendzentrums, wo Michael Kurth vor 18 Jahren auf seiner Tour zum Debütalbum»Feuerwasser« schon rappte: »It’s all good though, long as it stays in my hood, yo.« eine Heimkehr.

Dein Buch »Stell dir vor, du wachst auf« ist kürzlich erschienen, worin du schreibst, dass du schon als Kind aus der gleichen Motivation heraus Rapper oder Psychologe werden wolltest. Welche Motivation war das?
Es gibt Dinge im Leben, die alles verändern, und eines davon war HipHop. Das fing im Kindergarten an, als die Breakdance-Welle nach Deutschland kam – das hat mich aus dem Stand mehr begeistert als Fußball oder so. Als ich in der fünften Klasse angefangen habe, bewusst Rap zu hören, war das die größte Identifikationsfläche für mich präpubertierenden Dude. Die Psychologie kam fast parallel dazu: Ich hatte keine Kindheit, in der es finanzielle Probleme gab. Aber es war aus anderen, zwischenmenschlichen Gründen manchmal nicht einfach. In der Grundschule haben mich meine Eltern zu einem Psychologen geschleppt, der mir bestimmte Sichtweisen und Tools vermittelt hat – das hat mein Leben nachhaltig verändert. Also sah ich es so: Wenn es der Job eines Psychologen ist, dass es Menschen besser geht, dann will ich das werden. Die Kernfragen lauteten im Prinzip immer: »Wer bin ich?« und »Wer bin ich in Kontakt mit anderen Menschen?« Die Motivation bei Rap war ähnlich.

»Wir befinden uns, was die Auseinandersetzungen mit Spiritualität angeht, sozusagen gerade noch in der »Yo, yo«-Phase.«

Du machst seit einem Jahr den Podcast »Meditation, Coaching & Life« und gibst auch Workshops zum Thema. Nun bist du auch noch Autor, Rapper ja sowieso. Was antwortest du auf die Frage, welchen Beruf du ausübst?
(lacht) Mittlerweile sage ich immer: Ich bin Rapper. Das war eine Zeit lang auch mal anders. Selbst als ich fast ausschließlich Rapmusik gemacht habe. Wenn du als Rapper zum Beispiel bei den Eltern deiner Freundin vorstellig wirst und dann erklärst, du bist Rapper, geht oft ein riesiges Gespräch los. Daher habe ich immer gesagt »Ich bin in der Musikbranche«. (Gelächter) Manchmal sage ich auch, dass ich systemischer Coach bin oder – wenn ich das Gespräch vermeiden will: Ich bin Privatier. (lacht)

Ich habe einen Artikel gelesen, der systemisches Coaching als »Management-Esoterik« beschrieben hat. Dein Beruf arbeite nur mit »Luxusproblemen«. Wie begegnest du diesen Vorwürfen?
Ich finde, wir leben in einer Zeit, wo diese Dinge erst langsam in der Gesellschaftsmitte ankommen. Schau dir doch mal an, wie vor zwanzig Jahren über Yoga gesprochen wurde und wie es heute gesehen wird. Oder, vielleicht etwas kompatibler für JUICE-Leser, wie vor zwanzig Jahren Rapmusik von der Gesellschaftsmitte gesehen wurde. Da haben auch alle erstmal »Yo, yo« gerufen – ein einziges Klischee. Wer hat damals rasiert? Die Fanta 4, weil sie diesen Klischees entsprachen. Buddhismus wird im Westen erst seit fünfzig Jahren praktiziert. Glaubst du, Buddha hat sich vor 3.000 Jahren gedacht: »Wie köder ich die gestressten Manager?« Es geistern viele Vorurteile herum. Wir befinden uns, was die Auseinandersetzungen mit Spiritualität angeht, sozusagen gerade noch in der »Yo, yo«-Phase. Es liegt die Vermutung nahe, dass deine Coaching- und Podcast-Tätigkeit das Songwriting beeinflusst hat. Es ist ja immer so, dass die Dinge aus deinem Leben sich in deiner Kunst niederschlagen. Aber nur weil ich jetzt einen Zettel habe, der besagt, dass ich ausgebildeter Coach bin, habe ich mir nicht vorgenommen, jetzt ein »Coaching«-Album zu machen. Die Themen waren immer da, hör doch mal »Entwicklungshilfe«. Ich schreibe meine Songs auch so, indem ich mich selbst Zeile für Zeile aufnehme – ich benutze nur noch selten Zettel und Stift. Manchmal entsteht das, wovon der Song handelt, erst während ich schreibe – bei »Paralleluniversen« und »Methadon« war das zum Beispiel so.

Vor drei Jahren hast du »Uns« veröffent­licht, das die Szene gemischt aufgenommen hat. Wie nimmst du die LP heute wahr?
Wenn ich es mir heute anhöre, feier ich es immer noch von der ersten bis zur letzten Sekunde. »Uns« ist genau das Album, das ich zu dem Zeitpunkt machen wollte. Es gibt andere Alben, wo ich mir denke, dass ich ein bisschen zu viel auf einmal versucht habe oder sogar mit Ansage Songs »wie der oder der« machen wollte – ich verrate dir aber jetzt nicht, welche das sind. (grinst) Das Lustige daran ist ja, dass gerade bei »Uns«, das für mich ein absoluter Volltreffer ist, die Leute sagen, ich hätte etwas kopieren wollen oder mich zu sehr an bestimmten Leuten orientiert. Als zum Beispiel »Ascheregen« von Casper rauskam, hatten wir schon anderthalb Jahre an der Musik gearbeitet – hätte ich da alles hinwerfen sollen? Casper feierte damals einfach die gleiche Musik wie ich. Außerdem weiß ich auch, dass sein erstes Rapkonzert auf der »Feuerwasser«-Tour war.

Du hast vor Release der ersten Single »Was du bist« gesagt, das Album erfülle ein paar Wünsche. Welche Wünsche hattest du selbst, als ihr begonnen habt?
Bei »Uns« hatte ich alles schon am Reißbrett entworfen, dieses Mal habe ich einfach losgelegt. Im Groben war mir klar, dass ich zurück auf meinen Rap-Film will. Ich wollte aber auf keinen Fall ein Album »wie früher« machen, keine Retro-Platte. »Die Farbe von Wasser« sollte die gleichen großen Momente haben wie »Uns«, nur eben in den Lyrics und nicht in der Musik. Die Aufgabe war: Wie kann man die großen Arrangements von »Uns« in einer klassischen Rap-Umgebung umsetzen?

Wie geschah dann der Schritt, »Die Farbe von Wasser« so stark auf deine frühe Schaffensphase zu beziehen?
Angefangen hat alles, als wir »Feuerwasser 15« gemacht und die alten Beats von Lord Scan und Busy digitalisiert haben. Da sind krasse Sachen aufgetaucht. Als ich später mit Tua im Studio war, erzählte er mir, dass »Flashpunks« [Album von Curse‘ befreundeter Crew Der Klan; Anm. d. Verf.] für ihn eines der besten Deutschrap-Alben ever ist. Ich dann so: »Ich habe hier ein echtes Schmankerl für dich«, und ich habe ihm die unbenutzten Lord-Scan-Beats von damals vorgespielt. Tua ist ausgerastet: »Alter, für mich als Fan sind das die ultimativen Curse-Beats!« Wir haben diese Beats dann als Inspiration genommen. Auch, wenn jetzt bis auf eine Drumspur davon nichts auf »Die Farbe von Wasser« gelandet ist, war das der Startschuss.

Was ist eigentlich die Farbe von Wasser?
Einfach gesagt, ist es so: Wenn du Wasser in eine weiße Tasse füllst, wird das Wasser weiß sein. Wenn du das Wasser im Meer anguckst, ist es, abhängig von der Himmelsfarbe oder dem Untergrund, meistens blau. Wasser hat also immer die Farbe von dem, was es reflektiert. Außerdem bezieht sich der Titel auf das Buch von James McBride, der das Kind einer weißen Mutter und eines schwarzen Vaters ist. Darin geht es viel um seine Jugend und den Umgang der Gesellschaft mit ethisch-gemischten Familien. Irgendwann fragt er seine Mutter im Buch: »Welche Farbe hat eigentlich Gott?« Die Mutter sagt: »Gott hat die Farbe von Wasser.« Ich fand, dass es eine perfekte Parabel auf Musik ist – ob dich Musik berührt oder nicht, liegt nicht an ihr selbst, sondern daran, wie du sie wahrnimmst.

Auf »Manuskript« featurest du Samy Deluxe und Kool Savas. Diese Kollabo wurde schon vor 15 Jahren gefordert. Hast du hier versucht, der HipHop-Kultur Tribut zu zollen?
Nein, das war nicht so gedacht: »Okay, ich zementiere hier mein Standing.« Viele Leute denken, dass ich so etwas aus so einer Motivation heraus machen würde, aber das war einfach nur aus der Perspektive eines Rapfans gedacht. Ich war für eine Songwriting-Session bei Samy, und als wir abends Musik gehört haben, lief dieser Beat. Samy wollte sofort darauf rappen, ich bin dann eingestiegen und so ist der Song entstanden. Als ich wieder zu Hause war, dachte ich mir: »Alder, wie geil wäre es, wenn wir den anderen Kollegen auch noch mit draufpacken?!« Lustigerweise hatten Samy und Savas gerade »Wahre Liebe« [Single vom Kool-Savas-Album »Essahdamus«; Anm. d. Verf.] gemacht. So hat sich das Puzzle zusammengefügt.

»Stell dir mal die Frage: Ist jemand, der etwas geklaut hat, durch und durch ein Dieb? Oder ist das Dieb-Sein nur ein Teil von ihm?«

Du hast zwei Mal Muso auf dem Album, der aus Heidelberg stammt und sehr von deinen einstigen Mentoren, den Stieber Twins, unterstützt wurde. Was siehst du in Muso?
Als ich das erste Mal »Stracciatella Now« gehört habe, hat mich das umgehauen. Krasser Typ. Wie der Erzählstränge aufgreift, sie dann wieder fallenlässt, das ist superkomplex: Muso ist der David Lynch des Rap. »Amarena« war dann auch so, in erster Linie habe ich ihn also als Fan kennengelernt. Bei den Treffen mit Fab, der auf »Die Farbe von Wasser« auch viel gemacht hat, kam raus, dass er und Muso sich kennen. Da war es nur logisch, dass wir uns einmal treffen müssen.

Deine Producer, die Hitnapperz, haben in erster Linie Untergrundrapper wie Blokkmonsta oder Bass Sultan Hengzt produziert – jetzt dich. Die Kombination überrascht.
Die Hitnapperz sind Brüder, und der Ältere, Big Toni, war früher Teil unserer Mindener Clique. Toni war Breaker, der auch mal das Battle Of The Year gewonnen hat. Da ist er auch immer noch in der Jury. Es gibt sogar Moves, die nach ihm benannt sind – der ist wirklich fame. Irgendwann hat er mit seinem kleinen Bro Rico angefangen, Musik zu machen. B-Tight hatte mir dann zufälligerweise erzählt, dass er in Minden war. Als Reno und Germany dann auch aus Spaß bei denen etwas aufgenommen haben, packte ich die Gelegenheit beim Schopf, um mich auch mal mit ihnen zu treffen. So hat es angefangen. Die Hitnapperz haben aber schnell gesagt, dass sie mit mir etwas anderes machen wollen als Straßenrap-Sound. Es ging darum, den alten Curse-Minden-Spirit ins Jetzt zu übertragen. Witzigerweise befindet sich deren Studio genau in dem Keller des Jugendzentrums, wo wir unsere ersten HipHop-Jams veranstaltet haben und ich zum Beispiel auch auf der »Feuerwasser«-Tour war. Lord Scan hat eine Zeit lang auch im Anbau dieses Hauses gewohnt. Das alles war ein bisschen ein »Nach Hause kommen«.

Du wirkst auf dem Album ausgeglichener als auf deinen bisherigen Platten. Aus heutiger Sicht hast du auf »Feuerwasser« zum Beispiel sehr manisch-depressive Züge. Was würdest du dem »Feuerwasser«-Curse als systemischer Coach raten?
»Hab keine Angst vor dem, was du bist.« (Gelächter) Ich würde ihm sagen, dass alles gut wird, auch wenn viele Dinge, die vor ihm liegen, anstrengend und richtig kacke werden. Bei »Feuerwasser« weiß ich aber genau, was los war. Das ist schon okay. Wenn ich mir manche Songs auf »Von Innen nach Außen« anhören, erschrecke ich mich mehr – bei »Verantwortung« zum Beispiel. Ich arbeite ja immer noch mit denselben Issues, nur aus einer anderen Perspektive. Früher hatte ich wochenlang Phasen, die komplett dunkel waren. Diese Phasen sind immer noch da und auch nicht weniger stark. Allerdings identifiziere ich mich nicht mehr so extrem damit. Ich akzeptiere, dass das ein Teil von mir ist. Sobald ich sagen würde: »Nein, so will ich nicht sein!«, gehe ich ja in einen Konflikt mit mir selbst. Stell dir mal die Frage: Ist jemand, der etwas geklaut hat, durch und durch ein Dieb? Oder ist das Dieb-Sein nur ein Teil von ihm? So eine Differenzierung hilft sehr.

Was würde der »Feuerwasser«-Curse denn zu dir sagen?
»Wie? Du bist immer noch kein ­Millionär?!« (lacht)

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