Die Fantastischen Vier [Feature]

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We Are From The Mittelstand
 
Sachen gibt’s. Irgendjemand aus dem Großraum Stuttgart, den keiner wirklich auf dem Schirm hatte, toppt plötzlich mit poppigem, gutgelauntem Rap alles ­bisher ­Dagewesene und stellt HipHop und dessen Fürsprecher vor die Frage: Ist das ­überhaupt noch HipHop? Finden wir das okay? Und was sollen denn die Leute ­denken? Aber: Easy. Das Problem ist nicht neu. Hier geht es nämlich gar nicht um Cro und ­seinen Erfolg, sondern um eine sehr ähnliche Geschichte aus grauer Vorzeit; eine Vorzeit, in der noch nicht mal wirklich geklärt war, ob Rap auf Deutsch überhaupt geht. Schwer vorstellbar? Anlässlich des 25-jährigen Bandjubiläums der Fantastischen Vier wagt JUICE-Autor Ralf Theil einen tieferen Blick in die Bandgeschichte und auf ­kulturelle Wechselwirkungen.
 
Anfang der Neunziger bewegten sich HipHop-Aktivisten im ­wiedervereinigten Deutschland innerhalb einer überschaubaren Szene. Einer ­Szene, die ihre Strukturen hatte, ihre Treffpunkte und ihre Schlüsselfiguren. Es gab zahlreiche Jams, die sich um die vier Elemente Rap, DJing, B-Boying und Graffiti drehten; es gab wahrnehmbare Botschafter der Kultur, findige Musikjournalisten zeigten erstes Interesse an der Szene. Und es gab von LSD und Rock Da Most auch erste – noch englischsprachige – Veröffentlichungen.
 
Es gab aber auch Kids, die damit wenig zu tun hatten. Als Jugendlicher brauchte man nicht zwingend Kontakte zur HipHop-Szene, um Bock auf Rap zu haben. Kurtis Blow, Run-DMC, die Juice Crew und die Beastie Boys waren schon in den Achtzigern durchaus präsent. In Deutschland stationierte ­Soldaten der U.S. Army prägten einige Regionen auch kulturell – so wie Stuttgart, wo sich ­Michael Schmidt, Andreas Rieke, Thomas Dürr und Michael Beck 1989 als Terminal Team ­zusammenschlossen, aus dem kurze Zeit später Die Fantastischen Vier wurde. Die Truppe fand sich in einer harmlosen Welt aus Computerbastelei, Poppertum, beruflicher Planlosigkeit und Nachtleben im GI-Club, bis sie mit ihrem Demo an Andreas »Bär« Läsker geriet. Der Plattenladenbetreiber und urschwäbische Schaffer verhalf der Band zu einem Deal mit Sony Music, wo 1991 ­zwischen neuem Interesse an deutschem Pop und Dancefloor-Goldgräberstimmung das ­Experiment mit Rap auf Deutsch gewagt wurde. Zwar hatte das erste Album »Jetzt geht’s ab« noch einen eher linkischen Novelty-Charme, dennoch zeigte die Band ­konsequenter und unbekümmerter als jeder andere Act dieser Zeit, wie brauchbar die deutsche Sprache ist, während drumherum das Rappen in Fremd- statt Muttersprache eher die Regel als die Ausnahme war.
 
»Wir machen Rap-­Musik, und wir hören sie auch gern« (1991)
 
So eine Platte auf einem Majorlabel; von ­Leuten, die man nicht ständig auf Jams traf, die mehr über Freizeit und Frauen als über HipHop zu sagen hatten – die Szene nahm »Jetzt geht’s ab« zwar nicht ­überschwänglich auf, attestierte aber durchaus eine gute Umsetzung und blieb interessiert. Die Vier spielten ­ungeachtet aller Coolness jeden nur denkbaren Gig, aber eben auch auf der Loreley vor Ice-T und De La Soul, auf der Frankfurter »Euro-Jam« und als Tour-Support für die Jungs von Run-DMC. Sie unterhielten lose, kollegiale Beziehungen zu Aktivisten wie Torch, Scope, Defcon und Akim Walta (MZEE). Man kannte sich, und die Band, ­deren erste Veröffentlichung (»Golf GTI«) auf dem Soundtrack des unsäglichen »Manta«-Films platziert wurde, war auch Teil der Szene-Rundschau »Krauts With Attitude«. Die Stuttgarter wurden zwar eher als leicht uncoole Cousins denn als ­Szenebrüder ­gesehen, insgesamt aber war das ­Miteinander respektvoll und friedlich. Wenige Monate später änderte sich das schlagartig.
 
17.000 verkaufte Einheiten von »Jetzt geht’s ab« hatten den Ehrgeiz geweckt, daraus beim nächsten Album noch mehr zu machen. ­Wieso nicht eine Single versuchen, die auch im Radio laufen kann? Wieso nicht von möglichst vielen Menschen ­wahrgenommen werden? Das Ergebnis war zunächst nicht viel mehr als ein gespielter Witz, eine ­einfache Melodie, Rap und Singsang. Daraus wurde die bis dato wichtigste Zäsur und die größte Herausforderung, die für HipHop in ­Deutschland vorstellbar war: »Die da« wurde ein Hit, Smudo, Thomas, Michi und Andy wurden über Nacht – oder zumindest innerhalb von zwei, drei Monaten – zu Popstars. Die Tour zum Album »Vier gewinnt« wuchs im ­Oktober 1992 unvermittelt allen über den Kopf. Kaum eine Ausgabe von Bravo und Popcorn kam ohne sie aus, Thomas Gottschalk und Dieter ­Thomas Heck zerrten die aufgedrehten Jungs ins ­Fernsehen und ein hastig ­nachgeschobenes Video ­rotierte europaweit auf MTV. »Die da« war überall. Und »Die da« war deutscher Rap: ein so riesiges Phänomen, dass es jeden Blick auf HipHop als Kultur verstellte. Der Mainstream-Super-GAU.
 

 
Aber die Geschichte muss auch hier aus zwei Perspektiven erzählt werden. Denn die Fantas sahen sich bei allem Respekt vor HipHop als Kultur primär als Rap-Band bestehend aus Rap-Fans, statt sich dem Jam-Purismus zu unterwerfen. Das ­unbeschwert Naive und Poppige der ersten beiden Alben, genau das waren Die Fantastischen Vier aus dem ­Jugendzimmer, die aus ihren bürgerlichen Verhältnissen heraus gerne Erfolg haben wollten mit der Musik, die ihnen am ­meisten Spaß machte – anstatt eine ­kaufmännische Ausbildung zu machen. In ihrem ­schwäbischen Machertum gab es nie einen Grund, daraus einen Hehl zu machen. Ein Auftritt auf einer HipHop-Jam war nie mehr oder weniger wert als ein Auftritt in der fränkischen Dorfdisco.
 
»…und nicht ’ne falsche Maske, die ich aufhabe« (1992)
 
Der Song »Hip Hop Musik« reflektiert 1992 das Verhältnis zur Kultur: Jede Aneignung von HipHop außerhalb des ­ursprünglichen Kontexts kann nur eine Übersetzung sein, die den neuen sozialen, lokalen und ­kulturellen Gegebenheiten verpflichtet ist, statt für sich in Anspruch zu nehmen, die einzig legitime ­Repräsentation des ­Originals zu sein. Im ­ersten Schritt bedeutet das: Auch die als »real« anerkannte Jam-Kultur im ­deutschsprachigen Raum mit ihren Codes und Ritualen kann prinzipbedingt nur eine Adaption dessen sein, was in den ­marginalisierten Schichten und Stadtteilen des postindustriellen New York entstanden war. Die Regeln, nach denen diese Adaption stattfindet, sind informell und oft willkürlich. Im zweiten Schritt bedeutet das: Jeder muss für sich herausfinden dürfen, was die für ihn angemessenste Ausdrucksform ist. Dass der Sohn türkischer Einwanderer in ­Kreuzberg ­dabei zu einem ganz anderen Ergebnis ­kommen kann als ein Sprössling aus dem schwäbischen Mittelstand, entspricht also dem Grundgedanken von HipHop. So darf man wohl die Ansichten der Vier ­zusammenfassen.
 
Der Untergrund sah das anders. Er fühlte sich betrogen, sah seine Werte ­verraten und war nicht im Geringsten damit ­einverstanden, dass leichte Kost wie »Die da« das ­Anschauungsstück war, anhand dessen über HipHop in Pop-Deutschland ­gesprochen, geschrieben und gewitzelt wurde. Die ­Aufmerksamkeit lag bei einer Crew, die diese Aufmerksamkeit nicht verdient hatte; eine Crew, die Rap als Medium mit zu banalen Inhalten füllte und die die Kultur in ihrer ­Gesamtheit nicht ausreichend thematisierte. »Die da« war »Ice Ice Baby« war Sellout. In der Autobiografie der Band erzählt Smudo, wie er Torch kurz nach Veröffentlichung der Single zum Geburtstag gratulieren wollte und sich am Telefon eine Abfuhr sowie Torchs Bitte einholte, künftig aus Telefonbuch und Dankeslisten gestrichen zu werden. In Zeiten rechter Gewalt in Rostock und ­Hoyerswerda wurde sogar darüber diskutiert, ob die durchgängige Deutschsprachigkeit der Fantas und ihre Rolle als Vorzeige-Deutschrapper nicht gar eine suspekte Deutschtümelei mit nationalistischen Anklängen sei.
 
Die Vier übten sich darin, ein Netzwerk ­aufzubauen, bildeten mit den Coolen Säuen, Fresh Familee, den Reimbanditen und ­Maximale Lautstärke (mit dem jungen Olli Banjo) das Benefizprojekt Die Deutsche Reimachse, und Smudo führte auf dem Jazzkantine-Stück »Respekt« seine HipHop-Weltsicht weiter aus. Zeitgleich manifestierten sich mit dem MZEE-Sampler »Alte Schule«, der VIVA-Sendung »Freestyle« und »Fremd im eigenen Land« von Advanced Chemistry tief in der Szene verwurzelte Instanzen, die die reine HipHop-Lehre hochhielten. Die Lager waren klar definiert, kommuniziert wurde nicht mehr, höchstens geschossen – mit fast ­reaktionärer Plakativität wurde »alles, was nicht hardcore ist«, gedisst, Toys »terminiert« und gegen »Pop-Rapper und das ganze Pack« gewettert. Rückblickend war der Tumult um »Die da« eine Zeit der Katharsis für die HipHop-Szene. Durch die schlagartige Aufmerksamkeit geriet der Untergrund unter Zugzwang und hatte ­dringend etwas ­klarzustellen. Die akute Angst, ­missverstanden und falsch ­repräsentiert zu werden, war größer als die Hoffnung, dass einige unter zigtausenden Teenies »Vier gewinnt« als ersten seichten Schritt in tiefere HipHop-Gefilde nutzen könnten. Insofern wirkte »Die da« ungewollt als ­identitätsstiftende Maßnahme innerhalb der Szene, die plötzlich vor allem auf ihre ­Außenwirkung und die Legitimation ihrer kulturellen Deutungshoheit bedacht war.
 
»Du hast von mir ­gehört und du hast von mir gelesen« (1993)
 
Ende 1993 meldeten sich die Vier mit »Die 4. Dimension« zu Wort, einem in weiten Teilen introvertierten und psychedelischen Album, auf dem das Thema Szeneakzeptanz kaum eine Rolle spielte. Die Abrüstung fand später statt. Zuerst erschien 1994 das ungemein gefährliche Rödelheim Hartreim Projekt auf der Bildfläche und disste in kalkuliert provokanter Prolligkeit gleichermaßen die Fantas und ­Advanced Chemistry. Von ­Hamburg aus kamen Fettes Brot und Der Tobi & Das Bo auf den Radar und ernteten mit ihrer humorigen Art zwar hier und da noch grobes ­Unverständnis, aber keinen offenen Hass mehr. Und mit der Compilation »Klasse von 95« begann eine neue, entspanntere Zeitrechnung; eine, in der zwar respektvoll mit der »Alten ­Schule« und ihren Werten ­umgegangen, aber auch mit Nachdruck ­Freiheit für neue Wege ­eingefordert wurde.
 

 
Den Fantas gelang 1995 mit »Lauschgift« das Kunststück eines vielseitigen Albums ­zwischen der Nummer-1-Single »Sie ist weg« (»Die da« erreichte nur Platz 2), ­meditativer Philosophie, jungshaftem Bohème-Kiffer-­Unsinn und ­großspuriger Selbstironie wie »Was geht«. In der ­»Geschichte des O« teilt Smudo ungewohnt deutlich aus: »Sag mir dann, was du denkst, was du da machst/Wenn du in der Glotze laberst von dem Ding, von dem du glaubst, dass du’s bewachst (…) Lästiger Querulant, lächerlicher ­Repräsentant/Denn die Gestik, die Sprüche, Attitüde, die ihr glaubt/Die ist geklaut (…) echt typisch deutsch, dass du so ­ordentlich bist/Und ­versuchst, korrekt und sauber ­nachzumachen, was von drüben ist/Deine Ghettoromantik braucht da drüben keiner«. In seiner Gesamtheit konnte das niemand mehr überzeugend haten. Die Vier hatten im besten aller möglichen Sinne ihren »Check Your Head«-Moment. Und nach drei Jahren kalten Krieges fühlte sich HipHop in Deutschland allmählich wie friedliche Koexistenz an. Es war zumindest okay, nicht immer einer Meinung zu sein.
 

 
Ein Jahr nach »Lauschgift« folgte mit der Gründung von Four Music eine neue ­Demonstration der HipHop-Verbundenheit, das Label nahm zunächst Freundeskreis, Afrob und Blumentopf für ihre Debütalben unter Vertrag. Als dann 1998 inmitten des ersten wirklich großen HipHop-Booms, Smudo und Michi Beck mit Dendemann, den Stiebers und Fischmob »Susanne zur ­Freiheit« flogen, war irgendwie alles – Pop und Untergrund und weiß der Teufel was – nur noch schön egal. Wenige Jahre vorher wäre das völlig undenkbar gewesen.
 
»Mein Ei ist nicht weich genug« (1995)
 
Auch wenn die Wurzeln der Fantas eher in Jugendzimmern als auf Jams lagen, spielten sie als ­Sparringspartner für die Gralshüter des Untergrundes eine ­wichtige Rolle auf dem Weg zu einem neuen ­Selbstbewusstsein der HipHop-Kultur in Deutschland. Dass sich vor 20 Jahren der Mainstream erstmals für HipHop aus Deutschland öffnete, ist ihnen ­zuzuschreiben. HipHop hat ­seinerseits etwas länger gebraucht, sich für den Mainstream zu öffnen. Sogar heute, inmitten einer nie ­dagewesenen Offenheit und Vielfalt, werden alte Grabenkämpfe zwischen HipHop und Pop immer aufs Neue ­aufgewärmt, während die Fantastischen Vier längst im ­erwachsenen Kanon der Popmusik ­aufgegangen sind. Ihnen gebührt ­jedenfalls unser Respekt – auch für eine der ­großen musikalischen Erfolgsgeschichten ­Deutschlands, die mit pubertären Reimen und Beats aus der selbstgelöteten »Bronx Box« angefangen hat. Alles Gute zum Fünfundzwanzigsten.
 
Text: Ralf Theil
Foto: Alexander Gnädinger
 

 
Dieser Artikel ist erschienen in JUICE #160 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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