Afeni Shakur: »Tupac wusste, dass er jung stirbt« // Interview (1998)

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Seit unserem 20. Jubiläum im vergangenen Herbst veröffentlichen wir unter dem Hashtag #20JahreJUICE in unregelmäßigen Abständen alte Features und Interviews aus zwei Dekaden JUICE erstmals digital. Heute lest ihr anlässlich des 47. Geburtstags von Lesane Parrish Crooks alias Tupac »2Pac« Amaru Shakur ein Interview mit seiner Mutter Afeni Shakur aus JUICE 2Pac Special Issue (September 2006). Das Interview wurde 1998 geführt, zwei Jahre nach 2Pacs Ableben. Afeni Shakur, die als Alice Faye Williams zur Welt kam, starb 2016 im Alter von 69 Jahren an einem Herzinfarkt.

Wäre alles glatt gelaufen, würden die HipHop-Industry und die weltweite Rap-Journaille den Namen Afeni Shakur nur alle Jubeljahre aufrufen. Ja, sie ist Tupacs Mutter, ja, sie war Black-Pather-Aktivistin, ja, sie war crackabhängig. Doch sie wäre im Hintergrund geblieben und es wäre ihr vermutlich nicht unrecht gewesen. Aber die Ereignisse des 13. September 1996 machten aus Afeni Shakur die ultimative Instanz der postmortalen Tupac-Mania. Zeit zum Trauern hatte sie kaum. Die Welt erwartete von ihr, die Arbeit ihres Sohnes weiterzuführen. Darauf vorbereitet war sie in keinster Weise. Aber sie hatte keine andere Wahl. Ein Interview aus dem Jahre 1998.

Wie kann es sein, dass jemand, der sich mit so viel Macht gegen das Gesetz auflehnte wie Tupac Shakur, Eingang findet in den literarischen Kanon? Es ist tatsächlich eine merkwürdige Beziehung, die sich da zwischen der Hochkultur, der Forschung und dem ewigen Rap-Rebellen entwickelt hat. Trotzdem aber verkündete die University of California in Berkeley bereits kurz nach Pacs Tod stolz die Einführung eines neuen Kurses: »Poetry and History of Tupac Shakur». Der Kurs, an dem jedes Jahr etwa 50 Studenten teilnehmen, analysiert die soziodynamischen Aspekte von Songs wie »Wonda Why They Call You Bitch« oder »Dear Mama». Doch warum sollte sich eine geschundene Gesellschaft der Musik ei-nes toten Rappers bedienen, um die uralten Wunden der Sklaverei und Rassentrennung zu heilen? Vielleicht weil Tupac Shakur – mit viel mehr Emotion, als Hip-Hop es zuvor gesehen hatte – es vermochte, die brennenden Fragen der männlichschwarzen Identitätskrise der neunziger Jahre zu artikulieren. Alben wie »All Eyez On Me», »Makaveli The Don Killuminati: The 7 Day Theory« oder »R U Still Down?« sind das Barometer, anhand dessen der Rap seinen kreativen, aber oft auch korrupten Idealismus misst. Auch und gerade deswegen ist Tupac nach wie vor so präsent wie er eben ist.

Und was ist eigentlich mit Afeni Shakur? Die schüchterne dünne Frau musste mitansehen, wie die Karriere ihres Sohnes erst in Richtung Himmel schoss, um schließlich auch dort zu enden. Als frühere Black Panther-Aktivistin beschränkte sich ihre Businesskompetenz einst auf kleinere Arbeiten im Management ihres Sohnes bei 2Pacalypse Entertainment. Seit einiger Zeit aber ist sie nun allein für den Nachlass ihres Sohnes verantwortlich. Welche Fehler wird Afeni Shakur machen müssen, um zu lernen?

»Tupac wusste, dass er jung sterben würde – das hat er mir mehrfach gesagt. Ich denke, seine Gedichte reflektieren seine Rastlosigkeit. «

In einem Alter, in dem die meisten Menschen über ihre Rente und ihre Enkelkinder nachdenken, findet sich Afeni Shakur in einem Dickicht aus Ablagen und juristischen Prozessen wieder. Erst nach Pacs Tod war sein tatsächlicher Reichtum bekannt geworden: Die sich über Jahre hinziehenden Gerichtsverfahren und die damit verbundenen Kosten für Staranwälte hatten kaum noch schwarze Zahlen hinterlassen; der immens erfolgreiche Tupac Shakur starb genauso arm, wie er geboren wurde. Genau so wie Tausende schwarzer Jazz-und Blueskünstler vor ihm. Mit dieser Tatsache hat Afeni nun zu kämpfen – als wäre es nicht des Kampfes genug für eine Frau, über die endlose Trauer um ihren geliebten Sohn hinwegzukommen, nebenbei falsche von wahren Freun-den, Parasiten von Helfern zu unterscheiden, und sich als Frau in der größten Machowelt zurecht zu finden, die man sich nur vorstellen kann: Rap.

HipHop hatte nie viel Respekt für Frauen übrig. Die Nadel des Messgeräts schwang schon immer zwischen den Extremen hin und her, zwischen der heiligen Asexualität einer Sistah Souljah und der Schmuddelheftästhetik einer Lil‘ Kim. Afeni Shakur selbst würde das nie so offen aussprechen, doch ihre Black Panther-Ideale lassen ihr de facto keine andere Wahl, als diese Sicht der Dinge grundsätzlich zu verurteilen. Irgendwie ironisch, verwendete ihr Sohn doch eine Menge Energie darauf, Frauen wegen ihrer angeblichen Unfähigkeit, sich zu disziplinieren, wüst zu beschimpfen… Tupac Shakur, der größte Macho seiner Zeit, wird durch die Hand einer Frau wieder zum Leben erweckt. Sein Vermächtnis, ideell wie materiell, liegt in den Händen eines Menschen, der nie Teil irgendeines Systems sein wollte (des HipHop-Systems schon gar nicht) und sich nun langsam an diese neue Rolle gewöhnen muss.

Afeni, Anfang des Jahres 1971 waren Sie im Frauengefängnis von Greenwhich Village eingesperrt. Auf Sie wartete eine Anklage wegen terroristischer Aktivitäten. Sie waren mit Tupac schwanger und hatten Angst, dass die Behörden Ihnen Ihr Kind wegnehmen würden. Hätten Sie damals geglaubt, dass Ihnen das Leben irgendwann noch einmal so etwas antun würde?
Nein, überhaupt nicht. Denn ich bin von Natur aus ein recht positiver Mensch – ich hatte ja keine andere Wahl…. Ich erinnere mich jedenfalls, dass ich mir Sorgen machte, dass Tupac es nicht einmal auf die Welt schaffen oder dass man mir ihn weg-nehmen würde. In den Sechzigern hatten wir ja nicht annähernd die Rechte, die wir heute haben. Um uns herum fiel Amerika in sich zusammen, die Behörden attackierten Bewegungen wie das Black Panther Movement und der Vietnam-Krieg sorgte immer noch für einen gewaltigen Aufruhr im Land. Doch was in den letzten 16 Monaten auf mich eingewirkt hat, das konnte ich mir damals trotz all dem in keiner Weise vorstellen. Ich glaube, keine Mutter kann das.

»Die Panthers gehörten zu den am stärksten verfolgten Menschen in den Staaten. Die Regierung ließ sich durch nichts aufhalten, wenn es darum ging, uns zu zerstören. Einige von uns sind somit völlig desillusioniert zurückgeblieben.«

Sie haben die Panthers angesprochen: Welche politischen Ziele und Ideologien faszinierten Sie an dieser Bewegung? Einer Bewegung übrigens, die von den meisten Frauen mittlerweile als sexistisch, selbstherrlich und diktatorisch dämonisiert wird… Eine von vielen Parallelen zum HipHop der neunziger Jahre, oder?
Ich würde dieser Behauptung zu einem gewissen Grad zustimmen. Die Partei hatte eine sehr konservative Umgangsweise mit ihren weiblichen Mitgliedern, und diese Umgangsweise schränkte unsere Möglichkeiten innerhalb der Bewegung ein. Aber wir wussten alle, dass einige Opfer nötig sein würden, wenn wir unser Ziel erreichen wollten. Es ist ironisch, dass die Frauen an der Seite der Männer für die Gleichberechtigung innerhalb der Gesellschaft kämpften, während sie selbst innerhalb der Bewegung dieses Privileg nicht zugestanden bekamen. HipHop ist diesem Phänomen in vielen Punkten sehr ähnlich. Frauen fungieren in den meisten Videos nur als Eye Candy. Aber das liegt daran, dass die Frauen die Männer und die Stereotypen, die sie in ihren Videos und Songs verwenden, nicht herausfordern. Und wenn sie es dann doch tun, dann klingen sie wie eine Kopie dessen, was die Männer tun.

Sie hatten den Kampf zwischenzeitlich aufgegeben und wurden in den Jahren nach ihrem Austritt bei den Panthers sogar crackabhängig…
Einige von uns hatten einfach keine Chance! Die Panthers gehörten zu den am stärksten verfolgten Menschen in den Staaten. Die Regierung ließ sich durch nichts aufhalten, wenn es darum ging, uns zu zerstören. Einige von uns sind somit völlig desillusioniert zurückgeblieben. Ich wollte nicht im Knast enden und zusehen müssen, wie mein Sohn von Fremden großgezogen wird. Allerdings war es natürlich schwierig, als ehemaliges Mitglied der Partei einen Job zu bekommen. denn die Leute wussten alle, wer die Panthers waren. Also musste ich am Ende alles tun, um am Leben zu bleiben. Ich musste hustlen. Und wenn man sich einmal in diesem engmaschigen Netz des Überlebenskampfes befindest, sind Drogen eben nicht weit.

Sie haben insgesamt 150 Tracks Ihres Sohnes vorgefunden, die im Laufe seiner Karriere entstanden sind. Einige davon featuren Madonna oder Alanis Morissette. Werden diese Songs alle veröffentlicht?
Ja, schon in naher Zukunft werden alle Songs erhältlich sein. Die angesprochenen Songs mit Alanis Morissette und Madonna werden vermutlich im Rahmen eines Kollabo-Albums erscheinen. Tupac hat uns auch Tracks mit Old-School-Rappern wie Meile Mel hinterlassen. Wir haben jedenfalls genug Material für zehn weitere Alben. Nur wissen wir noch nicht, wie wir diese Alben herausbringen werden – vielleicht gibt es irgendwann sogar eine CD-Box mit allen Tupac-Songs. Der Konsument hat ja immer den Eindruck, dass sich Rapper zwischen zwei Alben auf die faule Haut legen. Aber mein Sohn war anders. Tupac nahm Songs auf, wann immer er konnte. Selbst als er im Gefängnis war, hatte er Hunderte von Songideen. Es schien, als würde ihn alles inspirieren, was einzigartig ist, wenn die meisten in seiner Position scheinbar nur von Autos, Frauen und allem anderen inspririert zu sein Tabor scheinen, was der Erfolg mit sich bringt.

Neben seinen Songs existieren auch Gedichte von Tupac Shakur. Es scheint, als habe er von seiner genauen Kenntnis über Widerstandsliteratur und seiner klassischen Kunstausbildung profitiert. Allerdings würde man ihn wohl nicht als klassischen Dichter bezeichnen, oder? Seine Gedichte unterscheiden sich sehr von den Texten, die er auf seinen Songs rappt. Die meisten Leute vergessen ja, dass Tupac eine Ausbildung in bildenden Künsten hatte. Er hat sogar Ballett getanzt. Seine Gedichte klingen verletzlich, persönlich und sehr eloquent. Wenn ich sie mir jetzt anhöre, höre ich, dass mein Sohn tiefen Schmerz empfand. Sie sind beinahe ein Schrei nach Hilfe. Tupac wusste, dass er jung sterben würde – das hat er mir mehrfach gesagt. Ich denke, seine Gedichte reflektieren diese Rastlosigkeit. Für mich ist es ein reinigendes Erlebnis, diese Gedichte zu hören. Tupac hat in diesen Texten seine intimsten Gefühle zu Papier gebracht. Dinge, über die er mit niemandem gesprochen hätte, da er zu Lebzeiten immer nur als Rapper wahrgenommen wurde.

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