Ein 6-Millionen-Euro-Gladiator, gehüllt in feinstes Tuch. Bedrohliche Atmosphäre, die Schattenwelt erhebt sich, eine lüsterne Kleopatra verewigt den Imperator auf ihrer Staffelei. Der neuerdings tiefschwarze Bart flößt zusätzlich Respekt ein, die Bauchmuskeln lassen jeden Sixpack-Träger (vollkommen egal ob Bier- oder Bauchmuskeln) vor Neid erblassen. Selbst die Geheimratsecken zeugen von Männlichkeit. Man soll sich klein fühlen, erschaudern vor der Übermacht des Duce. Der Beat setzt ein, mächtige Hufe wirbeln den Wüstensand auf, Jeeps brettern durch die verlassene Einöde. Der Imperator in einer brustwarzenbetonenden Rüstung, die George Clooneys legendäres Batman-Outfit aussehen lässt wie einen Kartoffelsack. Nero, der jeden überstrahlende Alleskönner, gefangen im Körper von Kollegah.
Textlich bekommt man – wie immer – geliefert, was man erwartet. »Ich hab nicht nur Legionen – nein, Bitch/Ich hab die Visionen wie Nostradamus!« Ihr versteht schon: Die Visionen/Divisionen! Das ist clever. Das ist lustig. Das ist ähnlich unterhaltsam wie die Rubrik »Um die Ecke gedacht« aus der ZEIT. Man schaut und hört gerne zu, man freut sich, wenn man das Rätsel gelöst hat. Dann legt man die Zeitung weg und beschäftigt sich mit Dingen, die man nicht nach wenigen Sekunden wieder vergessen wird. Die einen berühren. Die einem ans Herz gehen. Die uns nachhaltig beschäftigen oder wenigstens wütend machen. Kollegah, unbestrittener Meister im Segment »Technik und Wortwitz« ist an einem Punkt angelangt, an dem die Selbstüberhöhung ins Lächerliche gezogen werden muss, um seine vorherigen Projekte und deren Strahlkraft zu toppen. Das weiß er natürlich selbst und handelt dementsprechend. Bei den Käufern seiner Musik ist man sich da nicht ganz so sicher. Stören scheint es sie zumindest nicht.
»Er dreht Werbefilmchen in Mafia-Ästhetik, in denen arme Schlucker ihre Frauen nicht zum Essen einladen können«
Man hat den Eindruck, der Mann, der sich dank seiner Zuhältertapes einen ewigen Platz im Herzen von Deutschrap gesichert hat, könne sich momentan erlauben, was er möchte. Die Divisionen (die Visionen!) folgen ihm. Wenn er demnächst verfeindete Rapper zum Speerwerfen herausfordern würde oder sich zum Sohn Gottes erklärt, wer wäre wirklich überrascht? Er dreht Werbefilmchen in Mafia-Ästhetik, in denen arme Schlucker ihre Frauen nicht zum Essen einladen können, bis der Boss aushilft; präsentiert sich nach wie vor auf Instagram als eingeölter Fitness-Guru und lebende Statue, rappt von Heroin verkaufenden Gefolgsleuten, packt goldene Geldklammern als Goodies zu seinem Album und postet dramatische Hinweise, in denen es darum geht, dass man jetzt lieber die Box bestellen solle, bevor es zu spät sei. O-Ton: »Achtung! Die folgende Info ist keine Verkaufsstrategie, sondern eine ernstgemeinte Warnung.«
So viel Sorge um die eigenen Fans ist natürlich löblich. Fraglich nur, was diese mit einer goldenen Geldklammer anfangen sollen. Nicht unwahrscheinlich zumindest, dass den meisten ihr Taschengeld in Münzen ausgezahlt wird. Und ob die Muskeln durch reinen Fleiß entstanden oder der Bart gefärbt ist, fragt man lieber erst gar nicht. Wer erinnert sich nicht an Gerhard Schröders Haarfärbeskandal 2003 und die damit einhergehenden Unterlassungsklagen? Aber geschenkt.
Lyrisch ist Kollegah nach wie vor ganz oben anzusiedeln. Da kann man über die Beats meckern, soviel man möchte, oder behaupten, er treffe den Takt nicht. Überflüssig wie ein Wasserhahn. Die Außendarstellung hingegen hat einen Grad erreicht, an dem es fast ausschließlich darum geht, absurd unantastbar zu wirken. Für den normalen Hörer, der keinen Wert auf den Inhalt der Amazon-Box oder den Kontostand des Interpreten legt, wirkt das oft befremdlich. Oder sind wir am Ende einfach nur verklemmte Backpacker, die nicht einsehen wollen, dass das Youtube-Game und die damit einhergehenden, manchmal schamlosen Verkaufsstrategien Teil des Geschäfts geworden sind? Dass man jetzt Bodybuilder sein muss, um ein krasser Rapper zu sein; dass es normal ist, sich über Tage hinweg im Internet darüber zu streiten, ob eine Uhr kaputt war oder nicht?
»Der Erfolg gibt ihm Recht«, mögen da einige einwenden. Und es ist zudem kein Geheimnis, dass auch die Rapmedien um das »Erlaubt ist, was gefällt«-Prinzip wissen und sich immer öfter verleiten lassen, bequeme Wege zu gehen. RapUpdate hat seinen Weg in die Wohnzimmer von Rooz & Co. längst gefunden – auch wenn der eine oder andere Redakteur lieber über vor Realness strotzenden Underground-Rap berichten würde: Die Klickzahlen eines Dat-Adam-Interviews sprechen für sich. Da helfen auch die unzähligen »Wie könnt ihr nur? De-abonniert«-Kommentare nichts. Die Statistik spricht Bände.
So hat eben jeder sein Päckchen zu tragen. Kollegah muss, gerade nach seinem Abgang von Selfmade, beweisen, dass er nach wie vor über allen anderen steht. An sich ein gängiges Prinzip. Der Mann mit der Bossaura schafft es dabei immer wieder, blinde Gefolgschaft seiner Fans einzufordern. Und es funktioniert. Ein angeblicher 6-Millionen-Euro-Deal mit Warner? »Damit ist Kollegah der reichste Rapper Deutschlands«, heißt es in den Foren. Das Nero-Video, ein vor maskuliner Ästhetik triefender Streifen in der Wüste, garniert mit ein paar Autos und Pferden, ist laut dem Großteil der 12.000 Kommentatoren eines der »teuersten und aufwändigsten Videos, die es je gab«. Sein 24 Stunden dauernder Disstrack habe den obligatorischen Gegner Fler »komplett zerstört«. Was der Boss anfasst, wird zu Gold. Abu Midas! Ein Kaiser ist er jetzt also. Zieht man Wikipedia zum Thema »Nero« zu Rate, steht dort als allererstes: »Er sah sich selbst als Künstler und war der letzte Kaiser der julisch-claudischen Dynastie«. Ähnlichkeiten zu aktuell real existierenden Persönlichkeiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Auf gar keinen Fall!
Image-Rap muss sich 2016 die Frage stellen, wo er noch hin will. Das Ende der Dynastie scheint eingeläutet. Wenn die Muskeln noch weiter aufgebläht werden, platzen sie. Über dem Kaiser steht nur Gott. Die Zöglinge dieser allseits verehrten Prototypen haben sich Büffel auf die Schultern gelegt, um zu demonstrieren, dass sie »Stiernacken« sind. Mit Seyed hat man zudem das Abziehbild eines Abziehbildes in Position gebracht, ein ähnlicher Erfolg und damit einhergehende Image-Kampagnen dürften aber ausbleiben. Die Urväter dieser Disziplin erschöpfen sich in den immer gleichen Szenerien und hinterlassen dadurch ein Gefühl der Leere bei ihren Hörern – trotz der unbestrittenen Qualitäten. Sido ahnte es bereits 2010, als er auf dem gleichnamigen Song die Zukunft für den Großteil der aktuellen »Rap-Superstars« voraussagte: »Technik vom Feinsten/ Aussage: Auf keinsten.« Aber offensichtlich reicht das. Die Frage ist nur: Wie lange noch? ◘
Text: Juri Sternburg
Foto: Denis Ignatov/Universal Music
Dieser Text erschien in JUICE #178 (hier versandkostenfrei bestellen).