Die 20 wichtigsten Rap-Alben der Dekade // Reviews

Die Redaktion hat für jedes Jahr der Dekade das jeweils beste deutsche und internationale Album gekürt und in einer Re-Review besprochen.

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2018
Capital Bra – Berlin lebt
(Team KuKu / Sony Music)

Ausgehend vom Grundgedanken, der HipHop von Kool DJ Herc bis Migos immer ausgemacht hat, ist Capital Bra ziemlich real: das Beste aus seinen eigenen Möglichkeiten machen. Oder auch das, was 40 Jahre Deutschrap, 13 Jahre soziale Medien und ein Mikrofon im Kinderzimmer halt so verursachen. Und ein Handy. Doch Capital Bra ist kein Rap-Streber wie OG Keemo, kein Straßenrap-Prophet wie Fler und auch kein Dada-Junkie wie Ufo. Capital Bra ist, und diese Floskel ist hier Absicht, ein Junge von der Straße wie du und ich. Dues bezahlt hatte Capi bei den »Rap am Mittwoch«-Battles bereits 2014, und noch bevor Bushido ihn mit EGJ- Vorschuss vom Indie-Dasein ins echte Musikgeschäft lockte, trugen die Schulhöfe schon »Nur noch Gucci«. Ja, Capi hatte die Streets unlock. Auch ohne schwachsinnige Chart-Rekorde, die ihn später »größer als die Beatles« machen sollten. Als 2018 das vierte Album »Berlin Lebt« erscheint, ist der Bratan schon vier Mal auf Platz eins der deutschen Singlecharts gewesen und beherrscht alles Rechnerische, was in der Streaming-Ära Relevanz hat: Instagram, Spotify, YouTube. It’s simple mathematics, you gotta love him. Doch Capi auf die numerischen Aspekte seiner Karriere zu reduzieren, ist zu kurz gegriffen. »Berlin Lebt« ist ein Beispiel für das Zeitalter der Playlist, denn es ist gar nicht als »Album« gedacht. Auch weil Capital Bra dafür zu vielseitig ist. Dunkelbunte Trap- Hymnen wie »Giselle Bündchen« oder »Darby« übersetzten den klirrend- kalten Asphalt-Rap der Aggro-Ära in die eingängige Epoche des Moodboard-Raps. Charmante Pop-Grooves oder Dancehall-Chunes wie »Neymar« und »One Night Stand« bedienen den Turn Up auf der Teenie- Feier an der Bushaltestelle genauso wie die Ü-30-Party. Namedrops von Fußballspielern, Markennamen oder Adlib-Absurditäten summieren zudem alles, was ab 2015 einen Rap-Hit in der BRD auszumachen scheint. Es geht um Catchyness, Diggi. 808-Arrangements der Murda-Beatz-Schule und subtile Pop-Sexyness im Autotune-Pelz stehen nebeneinander in einer jugendlichen Leichtsinnigkeit, die Money Boy zwar erfunden hat, die aber von Capi konsequent weitergedacht wurde. Ohne Zwang, ohne Zynismus, nur mit Swag. Wohlgemerkt auf »Type Beats« von The Cartez, die Capi sich im Internet gekauft hat. Vermutlich per Handy. Rap für die Digital Natives.

Text: Fionn Birr

2018
Cardi B – Invasion Of Privacy
(Atlantic / Warner)

Die Geschichte von Cardi B ist ein wahrgewordenes Stripclub-Märchen im Millenial-Zeitalter. Kein Drehbuchautor hätte diese Story besser schreiben können: Es ist das Jahr 2017, als »Bodak Yellow« Cardi endgültig von der Poledance-Stange gen Raphimmel katapultiert. Der Brocken Attitüde von den Straßen New Yorks, den sie dem Patriarchat dabei vor die Füße warf, ist für viele Rap-Chauvinisten noch heute schwer zu ertragen. Schon zwei Jahre zuvor mischte Belcalis aber mit ihren Dramen »Love & HipHop« auf: Als durchgeknallte Stripperin mit losem Mundwerk und überlangen Nails datete sie sich durch New York und erzählte dabei vom Struggle weiblicher MCs. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Cardi bereits einen Namen auf Instagram gemacht. Was sie den meisten Frauen dort voraushatte? Ihre schonungslose Ehrlichkeit. Mal zeigt sich mal makellos, mal unperfekt. Der Mut ohne Kompromisse sie selbst zu sein, legte letztlich den Grundstein für die außergewöhnliche Karriere der mittlerweile 27-jährigen als rekordbrechender Rapsuperstar, Schauspielerin, Unternehmerin und Mommy von Baby Kulture. Gleichzeitig rief das aber eine überdurchschnittlich große Meute Hater auf den Plan und ging nicht immer zu Gunsten Cardis aus. Als einst bekennendes Mitglied der Bloods oder als sie Anfang des Jahres in einem Video erzählt, wie sie als Stripperin ihre männlichen Kunden unter Drogen setzte und ausraubte, kam sie um die lautstarken Kritikerstimmen kaum rum. Letztlich sind es aber auch diese Geschichten vom Kampf ums Überleben in der Bronx und dem Hussle bis zum 8-Figure-Einkommen, die Cardi als Rapperin maximal authentisch machen. Bevor mit »Invasion Of Privacy« 2018 ihr erstes Album erschien, hatte Cardi bereits über 10 Millionen Follower auf Instagram. Mit »Okurrs«, »Blats« und »Eeoowws« memesierte sie sich förmlich selbst und wurde in die Timeline von Millionen Menschen weltweit gespült – ob sie wollten oder nicht. Spätestens seit der Beziehung mit Offset von den Migos, hatte auch die Klatschpresse was davon und stilisierte die beiden zum absoluten Trap- (Alb)Traumpaar – genug Cheatinggerüchte, Stories von Stühlen, die über die Köpfe von Bardamen gezogen wurden und cringy Versöhnungen inklusive gestürmter Bühnen, gab es ja zu genüge.Bei all dem Trubel um ihre Persönlichkeit, schafft Cardi es trotzdem mit ihrer Musik zu glänzen. Für einige ist sie vielleicht nicht die stärkste Wortakrobatin, dennoch bekommt »Invasion Of Privacy« als erstes Album einer Solo-Rapperin den Grammy, mehrfach Platin und Gold und Platz Eins der US-Charts. Singles wie »I Like It«, auf dem sie ihre dominikanischen Roots channelt oder das herzzerreißende »Be careful« mutieren zu regelrechten Rotationslieblingen internationaler Radiostationen. Auch außerhalb der HipHop-Szene ist ihr Erfolg ungebrochen, womit sie dem Großteil ihrer männlichen Mitspieler mittlerweile weit voraus ist. Aber vor allem hat Cardi in den letzten fünf Jahren einen beachtlichen Beitrag dazu geleistet, dass Frauen im HipHop gehört werden und dabei ganz selbstverständlich sie selbst sein können.

Text: Kathrin Melchior