Die 20 wichtigsten Rap-Alben der Dekade // Reviews

-

2011
Casper – XOXO
(Four Music)

»Das ist es. Das wird das Album sein, das in Jahren noch oben mit dabei sein wird. Casper macht Kunst mit einer Wahrhaftigkeit und Vehemenz, dass es einfach seinesgleichen sucht«, sagte Thees Uhlmann im Frühjahr 2011 im Rahmen der dreiteiligen Mini-Doku-Reihe, die JUICE damals mit Casper drehte. Gute acht Jahre später ist klar: So sehr Thees Uhlmann mit seiner Prognose in den Krabbe-Studios in Kreuzberg auch recht behalten hat, so wenig konnte sie damals schon greifen, was »XOXO« rückblickend für deutschen HipHop bedeuten sollte. Wie auch? Hat Marteria mit »Zum Glück in die Zukunft« nach Jahren der Lethargie die Tür zum Mainstream geöffnet, hat Casper sie mit diesen 48 Minuten ein für alle Mal wie ein Panzer niedergerollt. Denn »XOXO« ist das Album, das mit all seinen Wave- und Post-Rock-Einflüssen die Frage »Was darf Rap?« zu einem kleinen Politikum machte und damit für eine hitzige Diskussion sorgte, von der Deutschrap unterm Strich ausschließlich profitierte, da immer mehr Künstler sich an unkonventionelle Sound- und Inhaltskonzepte wagten und dem hiesigen Game in der Folge zu einer nie zuvor dagewesenen Diversität verhelfen konnten. Denn: »XOXO« ist der moderne Urvater des einen Vibes, der sich durch ein Album zieht. Die Platte funktioniert natürlich über ihre Inhalte, die die Oberthemen Depression und Rebellion gleichermaßen massentauglich wie textlich extrem detailverliebt aufarbeitet. Sie explodierte aber vor allem, weil es bis zu ihrem Erscheinen kaum ein Werk gab, das eine Grundstimmung, eine Energie und eine mutige Vision so kompromisslos und gekonnt zwischen die Zeilen und Noten einpflanzte wie dieses. »XOXO« wurde dank der Aufbruchsstimmung, Antihaltung und abgeschminkten Ehrlichkeit zum Sound einer Bewegung, einer Jugend, die in diesem Röhrenjeans tragenden, als Rap-Anti-Christ verschrienen Schönling ihr so perfekt unperfektes Symbol und Idol fand, die sich in ihrer nicht zu stoppenden Masse gegen die Wände der kleinen Clubs lehnte, bis die in sich zusammenfielen und auch die lange verschlossenen Pforten der Stadien kein Hindernis mehr für diese bittersüße Melancholie darstellten. Gamechanger, Meilenstein, Klassiker auf ewig – whatever you wanna call it. Ein einziges Album konnte kaum einflussreicher für ein Genre sein, als es »XOXO« war.

Text: Louis Richter

2011
Drake – Take Care
(Universal)

Das gefühlte Debütalbum des 6 God ist streng genommen gar kein Rap- Klassiker, vielleicht nicht mal das beste Werk seiner Karriere. Und doch ist »Take Care« eine der wichtigsten Pop-Platten der 2010er, die mehr noch als über den ohnehin schon freizügigen Protagonisten über unser Zeitalter aussagt. Hierauf richtet sich Aubrey Graham seine Kerzenschein- Komfortzone ein, die er bis heute nicht verlassen hat. Nach dem überstürzten Major-Blockbuster »Thank Me Later« nahm sich der junge Werther die Zeit, erschloss Toronto als neue R’n’B-Region und perfektionierte den OVO-Sound mit einem kanadischen Allstar-Line-Up: Partner 40, Boi-1da, T-Minus und The Weeknd bildeten die Supergroup, die James Blake und Aaliyah zusammendachte und die Drake-Dekade einläutete. Ein aus 808s, gebrochenen Herzen und angetrunkener Passiv- Aggressivität erdachtes Imperium, das den neoliberalen Zeitgeist in weichem Antlitz zeigt und in epische Unterwasser-Slow-Jams verpackt. Schon der Roll-Out war bombastisch: »Marvin’s Room« war ein Blog- Vorbote des Streaming-Zeitalters, Internet-Hymnen wie »Club Paradise« und »Trust Issues« und »Dreams Money Can’t Buy« landeten erst gar nicht auf dem Album, mit »Headlines« gelang ihm Real Rap fürs Stadion. Dass Drake, in der Tradition von Kanye und Cudi, mit der hypermaskulinen Rapper-Persona brach und die Rollenbilder der Culture auf den Kopf stellte, ging bei all dem eifersüchtigen Slick Talk fast unter. Und auch, dass neben der weinerlichen Fassade des Pusha-T-Stan und Little-Brother-Fanboy alle paar Bars der hungrigste Rapper und smarteste A&R seiner Generation aufblitzt. »Take Care« funktioniert wie eine »Entourage«-Folge für die Generation Y: Der Underdog wird zum Influencer. Vom Fame verführt, zum Erfolg verdammt. Wobei Drakes Mainstream-Appeal und große Projektionsfläche auch immer damit zu tun hatte, dass eben nicht »from the bottom«, sondern gemütlich aus der Mittelschicht gestartet wurde – und hinter dem tadellosen Raop-Hybrid eben doch ein stinknormaler Dude mit Minderwertigkeitskomplexen steckt. Wenn dann noch Lil Wayne als Executive Producer auf dem Thron Platz macht, Rick Ross einen der wichtigsten Parts seiner Karriere abdrückt, André 3000 einen raren 16er flext und Stevie Wonder die Mundharmonika zückt, kann man halt schon über Klassikerstatus diskutieren.

Text: Carlos Steurer

29 Kommentare

  1. Juice was da los?? Mit raop hat cro den heutigen sound so verändert. Das ist mit abstand das wichtigste/einflussreichste Album der letzten 10 jahre. Nach diesem album hat jeder irgendwelche gesgangshooks gehabt.

  2. Schwache Liste, was für ein Witz.

    Und was geht mit der TPAB review, wo spekuliert wird warum wohl Kendrick diesen künstlerischen Weg nach GKMC eingeschlagen hat – „die Antwort bleibt unklar“. Nein, die Antwort ist literally im Album und eine konzeptionelle Essenz von TPAB.
    Ums kurz zusagen, too long didn’t listen: Er will nicht gepimped werden von der Musikindustrie.
    Hat sich der Autor überhaupt mit dem Album beschäftigt?

  3. Cardie B passt meiner Meinung nach nicht wirklich rein:/ Sie hat sich im Bereich Entertainment einiges erabeitet aber das wars auch. Das Cro allerdings nicht dabei ist finde ich komplett verständlich. Keins seiner Alben war wirklich prägend…

  4. PNL mit QLF oder dans la légende? Diese Alben haben den Rap verändert und spätestens mit deux fréres sollte das auch in Deutschland angekommen sein!

  5. Jeder der sich auch nur ansatzweise mit Rap auseinandersetzt wird diese Liste ( wie nahezu jeden Scheiss! den ihr so auskackt ) mindestens auslachen!!! Kann mich Hans-Wurst nur anschließen bezogen auf die Printausgabe. Ihr pusht eh nur diejenigen die euch am besten entlohnen.

  6. Kein clipping., kein Death Grips, kein lil Peep, kein Prezident, kein Ho99o9, kein Degenhardt, wo ist Rotten Monkey ach und Dope D.o.d.?
    Ich kann die Liste tatsächlich ewig weiter führen.
    Und 20 Alben sind für dieses Jahrzehnt wirklich zu wenig. Allein der englischsprachige Bereich hat eine 100er Liste zu gebrauchen.
    Im deutschen könnte man das wiederum etwas runterbrechen, dank immer ewig gleichbleibend klingenden Künstlern die über immer das selbe Sprechen. Schablonenrap. Lel. Aber ja. Selbst ich muss sagen, ein Cro fehlt hier eindeutig. Selbst Alligatoah hat mit Triebwerke wichtiges abgeliefert.

  7. Das Album von Cardi B sozusagen als bestes Female rap album des Jahrzehnts zu bezeichnen finde ich unmöglich. Wenn man Delivery, Flow und Wordplay mit Nicki Minaj in The Pinkprint, Pink Friday oder in Queen vergleicht, ist diese Entscheidung nicht nachzuvollziehen. Rap-technisch ist Nicki einfach um Welten stärker. Außerdem war sie es die Femalerap wieder Mainstream gemacht hat, nachdem es seit Lil Kim keine erfolgreichen Females mehr gab.

  8. King von Kollegah?? Ich weiß ja dass die Juice ihn boykottiert, aber ohne wenn und aber war King eines der Alben die Deutschrap geprägt haben in den letzten 10 Jahren.

  9. Wird die JUICE nach der Einstellung des Printmagazines jetzt nur noch von Praktikant/innen betrieben? Was für eine in jeder Hinsicht beschränkte Auswahl…

  10. MHD gehört mit seinem ersten Album definitiv dazu. Von wegen RAF Camora & Bonez MC mit Palmen aus Plastik – Scheiß. Wer von den Beiden war zuerst mit dem Style am Start?

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein