Die 20 wichtigsten Rap-Alben der Dekade // Reviews

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2015
Audio88 & Yassin – Normaler Samt
(Heart Working Class)

»Normal ist nur der, der normale Dinge tut.« Im Video zum Intro des Albums »Normaler Samt« wurde die Veröffentlichung »in einer schwachen Chartwoche 2015« angekündigt und ließ bereits vermuten, dass die hiesige HipHop-Szene nicht mit allzu viel Liebe von Audio88 & Yassin rechnen durfte. Diese Vermutung bewahrheitete sich, und schmutzige Rapper jeglicher Generation und Ausrichtung wurden auf der Suche nach der besten Beleidigung in den Fokus genommen. Dem Duo gelang aber weit mehr, als nur Zeilen gegen die Whackness der Kollegen zu schreiben. Stattdessen ist das Album mit Verweisen auf Deutschraps Geschichte gespickt, die von Szenekennern erkannt werden können und denen eine wichtige Bedeutung zugesprochen wird. Im gleichen Atemzug stellen Audio88 & Yassin die Frage nach der Relevanz dieser Bezüge, formulieren sie um und machen sie tauglich für Rap im Jahr 2015. Dazu geht der gesellschaftskritische Blick über die Szene hinaus und nimmt den durchschnittlichen Deutschen, der mit Luxusproblemen zu kämpfen hat und im Urlaub gerne nach Thailand fliegt, genauso unter Beschuss wie die politische Situation in der Pegida-Stadt Dresden mit ihrem Nahostkonflikt, der bis heute in den Politikressorts der Tageszeitungen ausdiskutiert wird. Dabei wird bei allem, was die beiden ernsthaft und aus guten Gründen hassen, niemals der Fehler begangen, sich als Moralapostel mit erhobenen Zeigefingern zu inszenieren, sondern das Desaster, das diese Welt darstellt, mit selbstironischem und zynischem Humor betrachtet. Deswegen stehen einschneidende Erfahrungen, die von angreifenden Nazis berichten, gleichberechtigt neben einem Posse-Track mit 13 Featuregästen, unzähligen Punchlines und mehreren Beatwechseln. Nicht ohne Grund gehören zu »Team Normal« auch die Produzenten Torky Tork und Breaque, die dem Album ein eigenständiges Soundbild verpasst haben, das sich weder neumodischen Trends angepasst hat, noch in ausgedienten Mustern hängengeblieben ist. Ein weiterer Grund, weshalb es »Normaler Samt« zu Recht über den Status eines Untergrundklassikers hinausgeschafft und letztendlich den Weg dafür geebnet hat, dass »Normale Musik« heute ein eigenständiges Label ist. In dein Mund drin, du Schmutz!

Text: David Regner

2015
Kendrick Lamar – To Pimp A Butterfly
(Top Dawg Entertainment)

Täuschen wir hier keinen Contest vor: Wenn wir über diese Dekade reden, dann hat zwischen Gespür für eingängige Songs und deren Zerlegung, sozialem Kommentar in gebotener Komplexität, Indie- Release und Marvel-Soundtrack niemand so dominiert wie Kendrick Lamar. Und zwar in einem Maß, dass es einem irgendwann auch auf die Nerven gehen konnte, aber das steht auf einem anderen Blatt, und wer daran zweifelt, der findet die bedingungslose Überzeugung auf »To Pimp A Butterfly«, das schon 2015 niemand so recht einfangen kann und das gerade deswegen zur unverhofften Konsensplatte weit über Rap hinaus wächst. Die 16 Tracks bilden ein überwältigendes, verschachteltes, aber nicht hermetisches Werk, das Schlupflöcher in verschiedenste Richtungen bietet – ermöglicht auch durch den Sound, der an eine legere Jazz-Session erinnert, zugleich aber kaum Regeln aufstellt, woraufhin die Songs in Monologe oder Instrumental-Show- Offs fransen und damit auch mal fordern. Kendrick hätte es sich ebenso gut einfach machen und voll im Zeitgeist aufgehen können, der auf »Good Kid, M.A.A.D. City« den Berichten aus der Hood bei allem Anspruch eine gewisse Erdung verlieh. Seinen Klassiker hatte er mit dieser Platte ja sowieso geliefert, wieso also nicht einfach in Hits sonnen? Wieso unter dem Eindruck rassistischer Polizeigewalt in die US-Geschichte steigen, nicht nur lyrisch, sondern auch stilistisch, wieso mit Kamasi Washington eine Zukunft für Jazz gestalten, wieso den Funk wieder in G-Funk packen? Die Antwort bleibt unklar, vielleicht weil einer es machen muss und Kendrick die Chance wittert, sich ein Denkmal zu bauen – wichtiger ist aber ohnehin, dass es ihm gelungen ist, ohne sich allein ins Zentrum zu stellen, obwohl der Post- Breakout- Blues, das alte Klischee erfolgreicher Rapper, hier durchaus Platz findet. Doch »To Pimp A Butterfly« gelingt etwas, das in der Tat nur Musik schaffen kann: Über verschiedene Ebenen wie Lyrics, Vortrag, Beat oder Bild Themen emotionale Misere, gesellschaftliche Dimension, historische Tiefe und Reflektion der eigenen Aufgabe zu verbinden, ohne daran zu zerbrechen.

Text: Sebastian Berlich

29 Kommentare

  1. Juice was da los?? Mit raop hat cro den heutigen sound so verändert. Das ist mit abstand das wichtigste/einflussreichste Album der letzten 10 jahre. Nach diesem album hat jeder irgendwelche gesgangshooks gehabt.

  2. Schwache Liste, was für ein Witz.

    Und was geht mit der TPAB review, wo spekuliert wird warum wohl Kendrick diesen künstlerischen Weg nach GKMC eingeschlagen hat – „die Antwort bleibt unklar“. Nein, die Antwort ist literally im Album und eine konzeptionelle Essenz von TPAB.
    Ums kurz zusagen, too long didn’t listen: Er will nicht gepimped werden von der Musikindustrie.
    Hat sich der Autor überhaupt mit dem Album beschäftigt?

  3. Cardie B passt meiner Meinung nach nicht wirklich rein:/ Sie hat sich im Bereich Entertainment einiges erabeitet aber das wars auch. Das Cro allerdings nicht dabei ist finde ich komplett verständlich. Keins seiner Alben war wirklich prägend…

  4. PNL mit QLF oder dans la légende? Diese Alben haben den Rap verändert und spätestens mit deux fréres sollte das auch in Deutschland angekommen sein!

  5. Jeder der sich auch nur ansatzweise mit Rap auseinandersetzt wird diese Liste ( wie nahezu jeden Scheiss! den ihr so auskackt ) mindestens auslachen!!! Kann mich Hans-Wurst nur anschließen bezogen auf die Printausgabe. Ihr pusht eh nur diejenigen die euch am besten entlohnen.

  6. Kein clipping., kein Death Grips, kein lil Peep, kein Prezident, kein Ho99o9, kein Degenhardt, wo ist Rotten Monkey ach und Dope D.o.d.?
    Ich kann die Liste tatsächlich ewig weiter führen.
    Und 20 Alben sind für dieses Jahrzehnt wirklich zu wenig. Allein der englischsprachige Bereich hat eine 100er Liste zu gebrauchen.
    Im deutschen könnte man das wiederum etwas runterbrechen, dank immer ewig gleichbleibend klingenden Künstlern die über immer das selbe Sprechen. Schablonenrap. Lel. Aber ja. Selbst ich muss sagen, ein Cro fehlt hier eindeutig. Selbst Alligatoah hat mit Triebwerke wichtiges abgeliefert.

  7. Das Album von Cardi B sozusagen als bestes Female rap album des Jahrzehnts zu bezeichnen finde ich unmöglich. Wenn man Delivery, Flow und Wordplay mit Nicki Minaj in The Pinkprint, Pink Friday oder in Queen vergleicht, ist diese Entscheidung nicht nachzuvollziehen. Rap-technisch ist Nicki einfach um Welten stärker. Außerdem war sie es die Femalerap wieder Mainstream gemacht hat, nachdem es seit Lil Kim keine erfolgreichen Females mehr gab.

  8. King von Kollegah?? Ich weiß ja dass die Juice ihn boykottiert, aber ohne wenn und aber war King eines der Alben die Deutschrap geprägt haben in den letzten 10 Jahren.

  9. Wird die JUICE nach der Einstellung des Printmagazines jetzt nur noch von Praktikant/innen betrieben? Was für eine in jeder Hinsicht beschränkte Auswahl…

  10. MHD gehört mit seinem ersten Album definitiv dazu. Von wegen RAF Camora & Bonez MC mit Palmen aus Plastik – Scheiß. Wer von den Beiden war zuerst mit dem Style am Start?

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