2016
RAF Camroa & Bonez MC – Palmen aus Plastik
(AUF!KEINEN!FALL! / Indipendenza / Chapter ONE / Universal)

»Palmen aus Plastik« als DAS (kommerziell) wichtigste Album der letzten fünf Jahre zu bezeichnen, ist fast noch untertrieben. Der Einfluss dieser Platte auf die Szene ist vergleichbar mit dem Impact von Aggro Berlin oder Caspers »XOXO«. Hier wurde ein Paradigmenwechsel eingeläutet, der bis heute Bestand hat und Deutschrap nachhaltig verändern sollte. Klar, das vieldiskutierte Subgenre Afro Trap wurde eigentlich vom Franzosen MHD etabliert, und speziell die Hitsingle »Ohne Mein Team« erinnert stark an dessen »Afro Trap Pt. 5«. Wer Bonez MC und RAF Camora deshalb aber als bloße Kopien abstempelt, hat sich nicht ausreichend mit ihrem gemeinsamen Werk beschäftigt. Denn der Klang von »PAP« geht weit über den sommerlichen Sound hinaus, dessen Auswüchse und Copycats in den kommenden Jahren die Modus Mio Playlist und somit auch die Charts bestimmen sollten. Viel eher stand hier ein Genre im Vordergrund, das auf Deutsch bisher ein Nischendasein führte: Reggae/Dancehall. Auch die beiden Rapper konnten mit der deutschen Interpretation wenig anfangen, sondern schielten auf die jamaikanischen Originale, deren Einfluss immer wieder auf ihren Releases zu hören war. Die Vorliebe für den karibischen Sound brachte die beiden Künstler schließlich auch auf dem vorherigen RAF-Soloalbum »Ghøst« zusammen. Ihr gemeinsamer Song »Geschichte« war ein absolutes Highlight der Platte, was ein furioser RAF Camora Gig mit Bonez Gastauftritt auf dem splash! 2016 noch mal unterstrich. Beflügelt von ihrer Synergie wurde aus der eigentlich angedachten EP ein ganzes Album, das nur knapp fünf Monate nach »Ghøst« erschien. RAFs hervorragende Produktion, gepaart mit Bonez’ Gespür für eingängig gesungene Melodien und besonderen Stimmeneinsatz sowie dem unüberhörbaren Hunger beider Protagonisten zogen das ganze Land in seinen Bann und traten eine unvergleichliche Erfolgswelle los. Nach Jahren des Hustles und der Suche nach dem perfekten Sound hatten die Künstler endlich die Formel für ihren maßgeschneiderten Style gefunden, der ihnen auf ewig einen Platz in den Deutschrap-Geschichtsbüchern sichert. Ein Platz, der ihnen auch deshalb zusteht, weil sie den Erfolg brüderlich mit Freunden und Reggae-Veteranen teilten und so unter anderem auch einem gewissen Trettmann zu seinem späten Durchbruch verhalfen.
Text: Julius Stabenow
2016
Skepta – Konnichiwa
(Boy Better Know)

Dass in diesem Jahrzehnt über Grime als eine wichtige musikalische Strömung geredet wird, ist zu einem bedeutenden Teil Skepta und seinem Album »Konnichiwa« zu verdanken. Das vierte Studioalbum des Nordlondoners ist stark von der ersten Grime-Welle der 2000er geprägt, entwickelt den Sound dieser Ära aber weiter, macht ihn kraftvoller, ernsthafter und konsequenter. »I remember when Wiley told me to jump on mic«, rappt Skepta auf »Detox« und würdigt damit einen jener Vorreiter, der die Szene maßgeblich geprägt hat und bei der Gründung des Independent-Labels »Boy Better Know«, das Skepta zusammen mit seinem Bruder Jme betreibt, involviert war. Neben ihm war es vor allem Dizzee Rascal, der elektronische Klänge mit Wurzeln im britischen Garage und von Dancehall beeinflusste Rhythmen zu einem eigenen, neuen Sound zusammenführte, der aufregend, schnell und überdreht war. Eine Mischung, die Dizzee Rascal 2003 den Mercury Prize für sein Debütalbum »Boy In Da Corner« einbrachte, mit der man 2016, als Trap längst ein elektronischeres Soundbild im Rap etabliert hatte, aber niemanden mehr geschockt hätte. »Konnichiwa« gelang dieses Kunststück, weil es durchschlagende Bässe, aggressive Drums und Skeptas durchgängig angespannte, geladene Stimme zu einem Album voll geballter Energie vereinte. Seine mächtige Stimme schildert die Zustände in den Londoner Blocks, berichtet von Kriminalität, dem Versuch, sich gegen Maßnahmen der Polizei zu wehren, der loyalen Gang und begehrenswerten Ladys. Obwohl das Album voller Banger ist, fehlt ihm niemals das unbeschwerte und teilweise billig wirkende melodische Arrangement, das die Grundlage aus Drums und Bass im Loop veredelt. Von weichen Synthieverläufen, über Klingeltonästhetik bis zu einem gesampelten Gitarrenriff von Queens Of The Stone Age zeigen die Produktionen, welch vielfältige Einflüsse Grime in sich vereinen kann. »Konnichiwa« verhalf dem Genre zu seinem zweiten Frühling, der durch Skeppys gute Beziehungen zu US-Artists wie Kanye West, Drake, Pharrell Williams und A$AP Nast auch in den Staaten Welle macht. Grime war in dieser Dekade wieder eines der wichtigsten Aushängeschilder für britische Musikkultur, und Skepta erhielt für sein Album, dreizehn Jahre nach Dizzee Rascal, zu Recht den Mercury Prize. London is shutdown!
Text: David Regner

