2012
Celo & Abdi – Hinterhofjargon
(Azzlackz)

Deutschrap verändert die Alltagssprache in Deutschland, Celo & Abdi verändern die Alltagssprache im Deutschrap. Neben »Azzlack Stereotyp« von Haftbefehl ist ihr Debüt »Hinterhofjargon« eines der Alben, das die Ausdrucksweise nachkommender Rap-Generationen in den letzten Jahren am meisten beeinflusst hat. Dabei geht es gar nicht so sehr darum, was sie sagen, sondern wie sie es sagen. »Ich erkläre Jargon auf Deutsch, für Franz und Hans«, rappt Abdi auf dem Titeltrack und bringt auf den Punkt, was »Hinterhofjargon« so einzigartig macht. Celo & Abdi bedienen sich an den Sprachen, die in ihrem Frankfurter Halbwelt-Umfeld rund um den Hauptbahnhof die Kommunikationsgrundlage zwischen Dealer und Kunden und Prostituierter und Bullen sind. Arabisch, Französisch, Russisch, Englisch, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und so weiter. In ihren Texten vermischen sie die Sprachen mit Deutsch, vermengen sie mit hessischen Slang und kreieren so eine neue Hybridsprache, die besser abbildet, wie junge Menschen in Deutschland sprechen, als das affektierte Hochdeutsch von Franz und Hans. Nach der Veröffentlichung von »Hinterhofjargon« wollte ohnehin plötzlich jeder Franz und Hans sprechen wie Celo & Abdi. Das liegt auch daran, dass »Hinterhofjargon« zwar ein hartes Rapalbum ist, Celo & Abdi sich aber offensichtlich nicht von dem ganzen Gossen-Erleben haben zerfressen lassen. Sie nehmen’s mit Humor, bleibt ja nichts anderes übrig. Beide sind charismatisch und beide haben ihre Rolle innerhalb des Duos gefunden. Der aufgekratzte, immer ein bisschen drüber rappende Abdi. Der in sich ruhende Celo mit der Ausstrahlung eines Mafiapaten. Spannend ist, dass beide die Rollen tauschen können, Abdi plötzlich ernst, Celo albern wird. Egal, in welcher Rolle sich wer befindet, die Erzählungen sind immer stark, immer on point, mit Celo & Abdi ist man nah dran. An der Mutter, die ihren Sohn im Gefängnis besuchen muss, zu wenig Zeit hat, um Nähe zu spüren (»Besuchstag«). Oder am hektischen Treiben im Bahnhofsviertel, das sich in Gewalt entladen kann oder in Exzess oder in beidem (»Hektiks«). Die Sprache, die Beobachtungsgabe von Celo & Abdi und diese unprätentiösen, passiv- aggressiven Beats von M3 & Noyd im Hintergrund machen »Hinterhofjargon« zu einem der wichtigsten deutschen Straßenrap-Alben.
Text: Johann Voigt
2012
Kendrick Lamar – Good kid, m.A.A.d City
(Top Dawg Entertainment)

»You got the torch, better run with that«. Es war der 19. August 2011, als eine neue Ära begann. Nur etwa einen Monat vorher hatte Kendrick Lamar sein Vollzeitdebüt »Section. 80« veröffentlicht und mit Hymnen wie »HiiiPoWeR« erst die Westcoast, dann das Internet und schließlich die gesamte HipHop-Welt übernommen. Doch als Snoop Dogg diese Fackelübergabe im Kreise von Dr. Dre, The Game und etlichen Big Names im Music Box Theatre in Hollywood damals aussprach, lagen plötzlich ganz offiziell 30 Jahre Rap-Geschichte auf den Schultern eines 1,68 m großen Twenty-Something. Gänsehaut. Schon damals kursieren Gerüchte um ein Album, das unter der Leitung von Dr. Dre realisiert wurde. Als »Good kid, m.A.A.d City« endlich erscheint, wird es 2012 in dieser Prä- Spotify-Welt zum Instant-Classic. Es ist nicht nur die logische Transformation von einem talentierter Mixtaperapper zum Vollblutkünstler. Kenny wird hier zur – so trivial wie wahr – Stimme seiner Generation. Dabei liest sich die nichtlineare Story dieses Konzeptalbums wie ein durchschnittlicher Coming-Of-Age-Film: Ein Jugendlicher aus South Central fährt mit der Karre seiner Mom zu seinem Schwarm wegen der Aussicht auf Liebe, Sex und Zärtlichkeit; dazwischen ereignen sich Dramen um Freundschaft, zerrüttete Familien, Alkoholismus, Religion und die Umstände der Geburt im falschen Bezirk. Kendricks mehrdimensionales, introspektives Songwriting trifft aber ein Gefühl, das zu dieser Zeit höchstens Indie-Bands wie Beach House verbalisieren, aber kein Rapper. Nennt es Dream-Hop. Bei allem Sozialbewusstsein geht es hier auch um Reimketten, E-40, Gras, den eigenen Eiffelturm-Pimmel, Voicemail-Skits und »GTA: San Andreas«. Sprich: alles, was einen Rapschädel zwischen 15 und 25 beschäftigt. Es war das Design zweier Dekaden, die Summe der Vergangenheit und die der Zukunft. Top- Producer wie Pharrell, Hit-Boy oder Just Blaze zimmerten Klangkulissen aus 70er-Samples, 80er-Synthies und 90er-Referenzen, die Rap- Strebertum, Gangster Muzik und Emo-Trap in einer unerhört genialen Dichte fusionierten. Jede Zeile eine Punchline, jeder Beat ein Meisterwerk, skippen ist verboten. Bitch, don’t kill my vibe. Die 90s-Heads hatten »Illmatic«, unsere großen Geschwister »The Blueprint«, wir haben Kendrick bekommen. »Good kid, m.A.A.d City« für immer, ya bish.
Text: Fionn Birr

