Rejjie Snow: »Versteckt eure Gefühle nicht, seid ehrlich, seid ihr selbst« // Feature

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Irland ist nicht gerade das, was man gemeinhin ein HipHop-Mekka nennen würde. Die Tracks der wenigen irischen Rapper wie Rob Kelly und Class A’z haben über die Steilklippen ihres Landes hinaus kaum Gehör gefunden. Eine rühmliche Ausnahme hat der Inselstaat jedoch in petto: Rejjie Snow.

Der kam als Sohn eines Nigerianers und einer Halb-Irin/Halb-Jamaikanerin unter dem Namen Alexander Anyaegbunam im Sommer 1993 im Dubliner Stadtteil Drumcondra zur Welt. Seine prägenden Jugendjahre verbrachte er dort weniger auf den Straßen als vielmehr in den Theater- und Sportkursen einer katholischen Schule. Das Theater hat ihn bis heute nicht losgelassen, aber dazu später.

Seine ersten Berührungspunkte mit HipHop hatte Rejjie Snow durch die Soundtracks von »Tony Hawk« und die »GTA«-Radios. 2Pac und Biggie spielten keine große Rolle, viel mehr faszinierte ihn der exzentrische MF DOOM – das beweist auch ein entsprechendes Tattoo auf seinem Bein. Wenn er sich heute auf seine Shows vorbereitet, hört Rejjie Queen, als weitere ­Inspirationsquelle nennt er George Michael und Charles Bukowski. Überraschenderweise ist Rejjie dennoch auf klassischem Weg zum Rappen gekommen: durch Graffiti.

Mit 18 Jahren verschlägt es den talentierten Fußballspieler wegen eines Sport-Stipendiums in die USA, nach dem Abschluss der Highschool studiert er Film und Design – best of both worlds quasi. Um die Fahne für alle Studienabbrecher hochzuhalten: Nach einem Semester beschließt er, sein Studium aufzugeben, nach Irland zurückzuziehen und sich auf Musik zu konzentrieren. Wer bei Rejjie, damals nannte er sich noch Lecs Luther, die Geschichte eines hungrigen Newcomers erwartet, der sein Leben lang nichts anderes wollte, als es von der Europalette im Jugendclub auf die Bühnen der Welt zu schaffen, wird leider enttäuscht. Durch Rejjies Karriere zieht sich ein roter Faden von Unschlüssigkeit, Unsicherheit und Selbstfindung. Dass das nichts Schlechtes sein muss, beweist sein aktuelles Schaffen umso mehr.

Ein weiterer Schlüsselmoment der Zerrissenheit: Mit zwölf Jahren geht der kleine Alexander mit seinen Eltern auf ein Pharrell-Konzert, seine N.E.R.D.-Einflüsse hört man bis heute heraus. In einem Vine-trächtigen Moment (RIP Vine) zerrt Pharrell ihn aus dem Publikum auf die Bühne, um gemeinsam »Rockstar« zu performen. Statt »Live your dream« und »You could be the next, young man« gab er ihm nur einen Tipp mit: Geh lieber weiter zur Schule. Tja, Pharrell is for the children.

Im Sommer 2013, Rejjie hat nur bedingt auf sein Idol gehört, kommt schließlich alles ins Rollen: Rejjie Snow veröffentlicht seine EP »Rejovich«, die in den iTunes-Charts kurzzeitig Kanye West und J. Cole überholt. Es folgen ein Vertrag bei Elton Johns Management, eine Tour mit Madonna und das Signing bei 300 Entertainment, Seite an Seite mit Young Thug und den Migos. Das »The Moon & You«-Mixtape, das von seiner »ersten Liebe« handelt – dem Mond. Diese Schritte, die nach einem soliden Karriereverlauf klingen, sind allerdings von Selbstzweifeln geprägt, die wiederum dafür sorgten, dass das Debüt »Dear Annie« so lange auf sich warten lässt: »Ich habe superhohe Ansprüche an mich selbst. Außerdem musste ich herausfinden, was ich eigentlich will, ob ich überhaupt weiter Musik machen möchte. Ich habe mir viel Zeit für mich selbst genommen, um zu wachsen, damit ich auf dem Album auch über etwas sprechen kann.«

Um die romantische Rapper-Vorstellung weiter zum Bröckeln zu bringen: Rejjie hasst den Prozess des Musikaufnehmens an sich: »Ich mag es nicht, meine Emotionen Leuten gegenüber zu zeigen. Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich eine andere Person, aber wenn ich Musik aufnehme, muss ich in der richtigen emotionalen Verfassung sein.« Emotionen sind das Stichwort, wenn man »Dear Annie« besprechen möchte, handelt es doch vorrangig von einem der stärksten Gefühle überhaupt: der Liebe. Rejjie Snow hat jüngst eine Trennung durchgemacht und sich wieder neu verliebt. Beides versteckt er nicht.

Das war aber nicht immer so, denn gerade als schwarzer Mann wurde er darauf getrimmt, seine Gefühle nicht zu zeigen: »Es fiel mir mein Leben lang schwer, meine Gefühle auszudrücken – jetzt mache ich das durch Musik. Ich ermutige aber alle, ihre Emotionen nicht in sich hineinzufressen. Versteckt eure Gefühle nicht, seid ehrlich, seid ihr selbst. Bei mir klappt das gerade ganz gut.«

Was ihm dabei hilft, Männlichkeitskonzepte über Bord zu werfen und ungeniert Gefühle zu zeigen: Theater. In andere Rollen schlüpfen, um am Ende bei sich selbst zu landen. Ob Musikvideos, Live-Shows oder Album: Rejjies Schaffen ist gespickt mit theatralischen Elementen, seien es Kostüme, Make-up oder sein Album »Dear Annie«, das er nicht nur wie ein Theaterstück in drei Akten veröffentlichte, sondern das auch von dem Waisen-Musical »Annie« inspiriert ist. »Man bekommt beim Hören diesen Theater-Vibe«, findet Rejjie. »Das ganze Album ist wie ein Theaterstück für mich.«

Genre-losgelöster Sound, ausgefeilte Produktionen von Kaytranada, Rahki, Yellow Days, Lewis Of Man und Cam O’bi, ambitionierte Gesangseinlagen, die sich mit soften Rap-Parts abwechseln, die massig Verletzlichkeit zulassen – kein Wunder, dass »Dear Annie« in der letzten JUICE zum Album der Ausgabe gekürt wurde. Rein auditiv kann man das Album aber nicht beschreiben. Passendstes Wort: farbenfroh.

Kritikerliebling-Album und Tour später: Ist sich Rejjie seiner Sache jetzt sicher? Das weiß er nur selbst. Aber eines ist klar: Die Motivation, weiterhin bei der Musik zu bleiben, scheint gefestigt. Sein nächstes Projekt »Uncle Thomas« sei schon in Arbeit: »Es handelt davon, ein schwarzer Mann in einer von weißen Männern dominierten Welt zu sein. Es soll eine Story werden wie ein Kurzfilm. Ich möchte die Musik zum Film machen. Die Ideen sind alle schon da, ich muss nur noch ins Studio.«

Text: Miriam Davoudvandi
Fotos:

Dieses Feature erschien in JUICE #186. Back Issues jetzt versandkostenfrei im Shop bestellen.

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