Rejjie Snow – Dear Annie // Album der Ausgabe

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(300 Entertainment / BMG Rights)

Wertung: Fünf Kronen

Was assoziiert man mit Rap aus Irland? Wenn man nicht gerade in einem Dubliner Pub auf einen motivierten HipHop-Head gestoßen ist, der einen mit seinen Lieblingsrappern, die bestimmt bald auch in den USA Stars werden, zulallt – vermutlich nichts. Und hätte ein gewisser Alexander Anyaegbunam alias Rejjie Snow nicht sein Film- und Designstudium samt Sportstipendium an den Nagel gehängt, um im Sommer 2013 die bahnbrechende EP »Rejovich« zu veröffentlichen, wäre es vermutlich dabei geblieben. Seitdem ist Rejjie das Aushängeschild für Rap aus Dublin und ganz Irland. Spätestens nach seinem 300-Entertainment-Signing und dem 2017 erschienenen Mixtape »The Moon & You« warten alle sehnlichst auf Rejjies Debüt, das nun über einen Major erscheint. Und obwohl es sein großer Moment ist, geht es vordergründig nicht einmal um ihn selbst. Snow, der selbst Theater spielte, widmet das Album Annie.

Auf den ersten Blick vermutet man darunter eine Angebetete, auf den zweiten aber wird klar, dass es (auch) von »der kleinen Waisen« handelt, deren Geschichte 1977 im Musical »Annie« verarbeitet wurde. Offensichtlich wird das am Cover, auf dem ein rothaariges Mädchen mit großer Ähnlichkeit zu besagter Protagonistin abgebildet ist. »Dear Annie« ist ein reines Referenzen-Massaker und gespickt mit strukturellen Anlehnungen; selbst die Art der Albumveröffentlichung fand auf eine unorthodoxe, an das Musical angelehnte Weise statt. So wie auch das Stück aus zwei Akten besteht, erschienen die EPs »Dear Annie, Pt. 1 & 2« mit Songs aus dem Album im Voraus. Zwischen den Akten soll normalerweise eine Verschnaufpause entstehen, die man für das Album aber gar nicht braucht. Auch wenn es (wie das Musical) zwanzig Songs lang ist, lässt es sich dank seiner Leichtigkeit, die ohne musikalische Experimente auskommt, an einem Stück durchhören, was zum Problem werden kann.

Der Grat zwischen nonchalantem Soul-Rap und belangloser Kaffeehausmusik ist schmal. Doch die Thematik, die Features, die Rejjies Defizite in der Gesangsstimme aufwiegen, der abwechslungsreiche Wechsel zwischen Bars und Melodien und vor allem seine eigene Person, der man nach einer Stunde vermeintlich nahe kommt, machen »Dear Annie« zu einem kompromisslos ehrlichen Werk. Auch rhetorisch gleicht »Dear Annie« einem Tagebucheintrag, Rejjie verirrt sich nicht in dramatisierenden Metaphern, verschont uns dafür aber auch mit Millennial-Floskeln und peinlicher Tumblr-Romantik. Obwohl musikalisch alles passiert, von smoothem Jazz und Soul mit Piano-Parts (»23«, »Egyptian Luvr«, »Room 27«), tanzbarem Pop (»LMFAo«) bis hin zu Chansons auf Französisch (»Désolé«, »Mon Amour«), bleibt die Sprache rough bis plump, aber immer authentisch, keltisch-gelassen: Zeilen wie »She said:’Bonsoir, I like eggs.’/I like FIFA and sex« sind vielleicht nicht romantisch, aber entsprechen der Wahrheit.

Beeindruckend: Die Simplizität seiner Lingo stößt Rejjie nicht vom Thron, wenn es darum geht, Stimmungen einzufangen. Mit dem Charme eines Tyler, The Creator, dem Funk von N.E.R.D. und der Naivität eines Mac Demarco rappt sich Snow in die Herzen. Wer auch immer dieses Mädchen aus L.A. mit den langen Haaren und der North-Face-Jacke ist, man kann gar nicht anders, als sich in sie zu verlieben – aber sie auch zu hassen, um sich am Ende doch wieder zu verlieben und seinen Liebeskummer in Guinness zu ertränken. »Dear Annie« klingt wie die perfekte Mischung aus Lieblingsliedern, die man der Liebsten auf CD brennt und mit stumpfen Edding-Herzen bekritzelt. Vergesst mal Paris, Dublin ist die neue Stadt der Liebe.

Text: Miriam Davoudvandi

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