Kanye West – Der Kurator

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Deutlich über zwanzig Millionen verkaufte Alben, 21 Grammys, ein geschätztes Jahreseinkommen von zuletzt dreißig Millionen Dollar – Kanye West könnte sich zu seinem 38. Geburtstag entspannt der künstlerischen Besitzstandswahrung widmen: hin und wieder ein routiniertes Album veröffentlichen, Dinge wie Sportteams und Firmen kaufen und ansonsten mit Trophäenfrau und -kind im Inselresort abhängen, während das Geld sich vermehrt. Doch im Gegensatz zu vielen seiner älteren Kollegen will Kanye immer noch nicht weniger als die Welt verändern, mit seinem anstehenden siebten Album, mit seiner Modelinie, mit seiner Kreativagentur – mit allem, was er tut. Wieso ist Kanye elf Jahre nach »The College Dropout« ein größerer Stachel im Fleisch des Kulturbetriebs als je zuvor? Ein Erklärungsversuch.

Als Kanye West kurz nach seiner Hochzeit im letzten Sommer von der Lifestyle-Postille GQ auf Jay Z angesprochen wurde, erklärte er den Unter­schied zwischen sich und seinem Freund Sean wie folgt: »Er ist das Paradebeispiel fürs Siegen. Ich war irgendwie das Paradebeispiel für Kämpfen und Siegen, aber man sah immer den Kampf, und bei Jay sah man immer den Sieg.« Darin steckt viel Wahres. Auch wenn sich das Mitleid für den Struggle der Nummer sechs auf der Forbes-Liste der HipHop-Großverdiener im Rahmen halten dürfte, ist nämlich genau dieser Kampf ein Leitmotiv dessen, was Kanye West will, was er tut und so letztendlich auch der Urteile, die die Öffentlichkeit über ihn fällt. Kanye ist – im direkten Vergleich mit Jay ist das unübersehbar – kein Künstler, dem alles leicht von der Hand geht. Ständig eckt er an, und wenn man nur will, findet man beinahe im Wochentakt einen Grund, sich über ihn zu amüsieren, so häufig begibt Kanye sich in Wort und Tat auf dünnes Eis. Diese Memefizierung ist längst Teil des Problems geworden. Lassen wir also lieber für ein paar Zeilen die Facepalms beiseite und nehmen Kanye West ernst. Das hat er nämlich verdient.

Schon der Weg zu Kanyes Debütalbum war ein Kampf; der Kampf des Produzenten, der endlich als Rapper ernstgenommen werden wollte. (Einfach mal wieder alle zwölf Minuten von »Last Call« hören.) Und schon diesen Move wollte er nur zu seinen Bedingungen machen, als Typ im Designer-Pastellpolo mit Rucksack und Glücksbär, als Antagonist zum Gangstarap-Konsens, der die Ära dominierte. Die gleiche Beharrlichkeit war es letztendlich auch, die den oft erratisch wirkenden Kanye West der letzten Jahre antrieb, und »Yeezus«, dieser nachhaltig unbequeme Klotz von einem Album, ist ebenso ein Resultat davon wie der cholerische Sway-Rant (»You ain’t got the answers!«) oder ein Interview mit Zane Lowe, das Kanye über weite Strecken schreiend bestritt. All das fand 2013 statt – Sy­mptome für eine ganz akute Frustration über den Status Quo. Zwar hatte er zweieinhalb Jahre zuvor einen nahezu vollkommenen Blockbuster abgeliefert, auf den sich nun wirklich jeder einigen konnte, aber an anderer Stelle fehlte die Anerkennung: Die Modewelt hatte keine Lust auf Kanye und tat ihn als nervigen Promi ohne Fashionkompetenz ab; seine Geschäftsbeziehung zu Nike bröckelte; der Konzeptkurzfilm stand etwas verloren da. Also kämpfte Kanye, schlug um sich, statt sich anzubiedern. »Yeezus« war Protestmusik, die Abkehr von Pop und Glamour. »Ich weiß, wie man etwas Perfektes macht,« sagte Kanye, »aber ich bin hier, damit die Straße Risse bekommt.« Da war »I Am A God« als Ansage nur konsequent. Fortan war das die erste Regel. (Nicht ganz zu Unrecht stellt Ye fest, es hätte weniger Gegenwind geben, hätte er sich einfach als Gangster oder Pimp bezeichnet.)

Sprung in den Mai 2015. Das Art Institute of Chicago verleiht dem Studienabbrecher Kanye West ehrenhalber den Titel »Doctor of Fine Arts«. Dieser zeigt sich in einer kurzen Dankesrede auf unerwartete Weise selbstreferenziell: »Ein einfaches ‚I’m sorry’«, sagt er, »ermöglicht dir, deine Meinung zu sagen, dich zu entschuldigen und wieder deine Meinung zu sagen.« Dazu passt, dass er sich inzwischen mit Taylor Swift ausspricht, Beck um Entschuldigung für seine neuerliche Grammy-Attacke bittet und sogar zugibt, das Beck-Album, dessen Grammy er so gern bei Beyoncé gesehen hätte, noch gar nicht gehört zu haben. Überhaupt fällt Kanye in jüngster Vergangenheit immer wieder aus der Rolle als niemandes Liebling und gibt sich recht bodennah für einen Gott. In der New Yorker Radiosendung »The Breakfast Club« nennt er seine spontanen Grammy-Eingriffe »total heuchlerisch«, spricht über seinen fragwürdigen Umgang mit Wut und gesteht ein: »I ain’t got the answers.« Nicht, dass Kanye aufgehört hätte, sich für den größten Rockstar seiner Zeit zu halten. Aber er spielt den Sofortklassiker »All Day« eben nicht nur mit furchteinflößendem Flammenwerfer-Goon-Mob bei den Brit Awards, sondern auch solo auf dem Spielfeld der Chicago Bulls oder als Überraschungsgast bei einer winzigen Open-Mic-Nacht an der University of Chicago. Dort sieht man den »demütigen Diener«, wie er sich zuletzt selbst nannte, auf der Bühne der holzgetäfelten Aula, grinsend vor Freude über all das Gekreische. All day, all day.

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