»Ich hätte mich mit ‚KIOX‘ auch blamieren können« // BLVTH im Interview

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BLVTH ist umtriebig dieser Tage. Gerade eben hat er zusammen mit Kummer dessen Solodebüt »Kiox« produziert. Ein Nummer-Eins-Album, das ein großes Ausrufezeichen in die hiesige HipHop-Landschaft 2019 gepflanzt hat. Neben seinen Sporen und Spuren als eigenwilliger Produzent für u.a. Casper, grim104 oder Ahzumjot, macht sich Patrick Kowalewski allerdings auch mit eigenem Output verdient. Nach »Blut« 2018 und »BLVTH Couture S/S 2019 Collection« flog vergangenen Freitag der dritte Release des Berliners mit polnisch-albanischen Wurzeln »I Don’t Know If I’m Happy« in den digitalen Orbit. Abermals mit einer signifikanten Mischung aus Indie-Haltung, unverblühmten Feels und keiner Scheu vor Kitsch, balanciert der Rapper, Sänger und Produzent hier durch samtweiche 80s-Referenzen, sägende Synthie-Riffs und knüppelhartes Trap-Geballer. Ein Gespräch über die Irrelevanz von Musikwissen, splice.com und die Bedeutungslosigkeit von Snaredrums.

Du warst gerade in Los Angeles, was hast du da gemacht?
Ich war im Studio und habe mit diversen Leuten gearbeitet und auch ein paar meiner Tracks fertig gemacht. Ich bin immer sehr gerne dort, auch um meine Sichtweise zu verändern. Wenn ich lange in Berlin bin, fühle ich mich überladen und mein Kopf platzt. Außerdem ist es einfacher dort, mit Leuten zu arbeiten, wenn man international agieren will. Ich habe das Gefühl, je früher man damit anfängt, um so einfacher wird es – man baut sich ein Netzwerk dort auf.

Wie nimmst du Los Angeles wahr? Es heißt, die Szene dort sei sehr affektiert.
In L.A. ist jeder ein Star kurz vorm Durchbruch. Das ist auch anstrengend, weil es so überladen ist. Hier in Berlin ist ja auch jeder Produzent und DJ, aber dort ist das nochmal ein anderes Level – da triffst du an jeder Ecke jemanden, der sagt, er sei das »next big thing«. Du sitzt dann mit denen im Studio und die sagen: »I’m about to blow, bro, my album is going crazy«, in Wahrheit haben die aber nur 100 Plays. Da verkauft sich jeder so, als sei er schon der Allergrößte. Das finde ich einerseits nice, weil du ja auch nie weißt, wer das next big thing ist, andererseits ist es viel Augenwischerei – »I’m gonna work with Kanye« und sowas. In Deutschland ist es gefühlt umgekehrt. Hier sagen die Leute eher: »Joa, ich mache ein bisschen Mucke und läuft ganz gut« und haben dann 10 Millionen Streams. Als ich vor sechs Jahren das erste Mal in Los Angeles war, hat mich das aber noch stärker beeindruckt. Mittlerweile weiß ich, das Meiste davon ist Gequatsche. Ich habe aber auch nicht so Bock drauf, irgendeinem Agenten meine Beats zugeben, auch wenn 1000 Leute zu mir kommen und sagen, der könnte mir Türen öffnen. Das ist mir irgendwie zu shady. Ich schreibe die Leute lieber direkt auf Instagram an. Meistens antworten sie mir auch, da habe ich wohl Glück. Ich denke aber in kleinen Schritten. Aktuell habe ich drüben bei einer Sync Agentur unterschrieben, die meine Musik ins Fernsehen und die Werbung bringt.

Ist es nicht anstrengend sich sowohl in Deutschland, als auch international etablieren zu wollen? Viele deutsche Künstler konzentrieren sich lieber erstmal auf Zuhause.
Ich will nicht nur Musik für Deutschland machen. Wenn ich Musik mache, ist sie safe auf englisch. Warum soll ich denn irgendwem etwas vorenthalten und mich nur auf Deutsch beschränken? Ich habe immer englische Musik gehört, das ist natürlich für mich. Ich sehe ja auch, dass das ankommt. Mir schreiben Leute aus Frankreich, Belgien oder Russland und fragen, wann ich mal nach Moskau komme zum Beispiel. Ich spreche kein perfektes Englisch, ja, aber ich mache einfach das, worauf ich Bock habe. Das macht das Texteschreiben vielleicht manchmal etwas mühsam, aber ich brauche eh immer ewig dafür. Teilweise sitze ich monatelang an Lyrics, das nervt mich auch ein bisschen. Aber das ist ein Lernprozess, der stetig verbessert wird, weil ich ja auch immer mehr schreibe. Heute brauche ich für einen Beat auch nur noch zwei bis drei Stunden, das hat früher auch länger gedauert. Außerdem habe ich mittlerweile Freunde, die mich dahingehend unterstützen können und teilweise auch Native Speaker sind. Ich sehe das eh als Gewinn, wenn man mit mehreren Menschen schreibt, weil man zusammen brainstormt wie im Proberaum. Aktuell versuche ich mir auch alternative Methoden anzueignen. Ich sammel zum Beispiel einfach lose Wörter, die ich dann random zusammenschiebe und schaue, welche Verbindungen ich zwischen ihnen knüpfen kann. Das hat Bob Dylan, glaube ich, auch so gemacht. Es geht um Hilfestellungen letztlich und dass ich es schaffe, meine Schwächen und Stärken auszugleichen.

Du nennst deine Musik Future Grunge. Wie oft meldet sich die HipHop-Polizei bei dir?
Ich glaube, ich habe sehr faire Hörer. Vielleicht, weil ich sie auch so ein bisschen educated habe. Ich sage ja auch nicht, dass ich aus dem HipHop komme. Das stimmt ja gar nicht. Ich komme aus dem Punk und Rock. Aber es gibt genug Leute in dieser so genannten HipHop-Szene, die mir Hak geben und mich auch ernst nehmen. Ich fühle mich damit sauwohl. Es gab noch keinen, der meinte, ich könne nicht rappen – was vermutlich auch daran liegt, dass ich mich selbst gar nicht als Rapper bezeichne. Ich habe ja auch gar keine Referenzen aus Rap, ich bin nicht mit Biggie aufgewachsen. Klar, ich habe das gehört, aber meine Einflüsse kommen woanders her. Ich finde es aber auch gut, was mit HipHop passiert ist in den letzten Jahren. Die Hardcore-HipHop-Fraktion hat anfangs ja noch gestöhnt: »Cloud Rap ist der größte Dreck!« Schau dir doch mal an, wohin sich das entwickelt hat. Jetzt kommen die ganzen Realkeeper und relativieren, »das finde ich gut, ich fand damals ja nur den und den kacke.« Ach, halt’s Maul! Aber manche Menschen brauchen eben auch länger.

Ist das nicht eine normale Verhaltensweise? Viele Leute sagen ja zum Beispiel auch, Burial wäre ein sehr spannender Künstler. Ich persönlich habe bis heute keinen Berührungspunkt mit seiner Musik gefunden.
Ja, das geht mir ähnlich. Also, das ist schon nice, aber alleine wie Pitchfork den auf ein Podest heben, ist absurd. Ich finde nicht, dass er jetzt der einflussreichste Künstler aller Zeiten ist. Was ist das überhaupt? Drum’n’Bass, Dubstep? Bro, es gibt genug andere, die mindestens ebenbürtige Musik machen und die gleiche Aufmerksamkeit verdient haben. Aber gerade bei solchen Hypes habe ich oft das Gefühl, es ist Lobbyarbeit. Da sitzen zwei, drei Leute mit vermeintlichem Einfluss und großem Musikwissen, die einfach festlegen, dass Burial dope ist und posaunen das raus. Aber Wissen ist total irrelevant. Ich gehe ja auch nicht zu Leuten und frage, was für Musik ich hören kann. Ich suche mir das selbst, ich brauche keinen Meinungsbildner. Ich finde es schade, dass manche einen Legitimationsgrund brauchen, um etwas wertzuschätzen. Die brauchen immer erst jemand anderen, der ihnen eine Meinung bildet. Das ist bei Radiosendern ja zum Beispiel auch so. Du schickst denen deine Musik und die sagen: »Boah, das ist voll spannend, aber das können wir noch nicht spielen, es ist nicht ready genug!« Ey, entweder du magst es oder nicht, Bro!? Aber ich spreche auch gar nicht von mir jetzt. Das Phänomen kommt ja immer wieder auf. Du brauchst doch gar keinen, der die Wege zeigt, versuche doch mal auf dein eigenes Gefühl zu hören.

Da geht es ja auch oft um Eitelkeiten.
Das meine ich damit: Wissen ist irrelevant. Ich war früher auch so: »Ey, das neue Thom-Yorke-Album musst du hören! Wenn du das nicht fühlst, zeigt es nur, was für ein unwissender Banause du bist!« Das ist totaler Quatsch, lass ihn doch! Nur weil du irgendwas fühlst, was ich nicht fühle, bist du doch kein Vollarsch. Diese Extreme sind schwierig, finde ich. Ey, ich höre mir alte Sachen von den Backstreet Boys an und denke mir, dass ist richtige dumme Massenabfertigungsmusik, kommerziell abgeschmackt. Gleichzeitig finde ich das supergeil und interessant, warum es trotzdem funktioniert. Warum ist die Hook so geil, was machen die da? Wenn da keine Seele drinsteckt, ist es natürlich irgendwie uncool, aber auf der anderen Seite: Wenn meine Mutter das hört und es etwas in ihr auslöst oder es ihren Tag besser gemacht hat, dann ist doch alles erreicht, was man mit Musik erreichen kann.

»Ich habe ein Problem damit, wenn Leute Musik machen, die absichtlich unkonsumierbar ist.«

Musik zu entdecken, spielt für deine eigene Musik auch eine bedeutende Rolle. Du hast mit Remixes angefangen.
Ich fand viele Songs einfach immer geil, aber es hat mir was gefehlt. Die Vocals waren dann krass, aber die Produktion war mir beispielsweise zu happy. Ich habe mich irgendwann selbst daran ausprobiert und mir ist aufgefallen, dass mir das sehr leicht von der Hand geht und ich den Track viel geiler finde hinterher. Dann habe ich das hochgeladen und gutes Feedback darauf bekommen. Weil ich aber auch selbst singe oder rappe, kam recht bald der Entschluss, einfach meine eigenen Sachen zu machen. Ich bin aber gar kein Digger, auch wenn ich viel French House gehört habe, wo ja auch mit Samples gearbeitet wird. Das ist aber eher eine Inspirationsquelle für mich. Die ersten SebastiAn– oder J.U.S.T.I.C.E-Alben fand ich interessant. Aber ich verwehre mich dem nicht, bei »Pusher« habe ich auch viel gesampelt.

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