»Ich hätte mich mit ‚KIOX‘ auch blamieren können« // BLVTH im Interview

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Du verwendest Motive und Sounds, die schon oft gehört wurden, setzt sie aber in neue Kontexte. Zum Beispiel befindet sich auf »I Don’t Know If I’m Happy« diese populäre Trap-Snare, die auch auf »Codeine Crazy« von Future zum Beispiel vorkommt. Wie gehst du mit solchen Klischees um?
Ich verstehe, worauf du hinaus willst. Ich mache nie etwas, nur um anders zu klingen. Das ist für mich zu affektiert und zu sehr darüber nachgedacht, wie die Musik gehört werden soll. Ich habe ein ganz großes Problem damit, wenn Leute Musik machen, die absichtlich unkonsumierbar ist. Da ist der letzte Akkord einer Progression beispielsweise extra eklig manipuliert und der komplette Song ist zwar damit ruiniert, aber Hauptsache anders. Digger, was machst du denn da? Ich verstehe ja, dass du nicht komplett vorhersehbar sein willst, aber wenn es dem Song gut tut, warum sabotierst du das so? Wenn ich eine Hihat habe, die auf jedem zweiten Track aktuell ist, aber mein Lied abrundet, drauf-geschissen, dann nehme ich die. Es geht um das Endergebnis. Ich habe keine Lust mit einem Producer im Studio zu sein, der sich stundenlang durch Snare-Sounds klickt und all meine kreative Energie verschwindet. Perfektionismus kann auch hinderlich sein.

Welche Rolle spielte Performance anfangs, wenn du über das Remixen in dieses Feld gerutscht bist?
Ich habe früher auch in einer Band gespielt. Das war ganz geil, weil du die Musik, die du gemacht hast, auch direkt physisch rüberbringen konntest und anderen Leuten zugänglich machst. Als ich mit den Remixes angefangen habe, war das aber erstmal eine Findungsphase, weil ich ja auch kein DJ oder so war. Ich wusste nicht, wie man das macht und was für Equipment ich brauche.

Was hat sich seitdem verändert?
Ich beschäftige ich mich allmählich erst mit Equipment, ich versuche meinen Horizont ja auch zu erweitern. Aber ganz ehrlich, ich habe seit fünf Monaten einen Prophet XL, der nicht mal angeschlossen ist (lacht). Ich sitze lieber vor dem laufenden Fernseher und zocke im Abelton rum und obwohl neben meiner Couch eine Gitarre steht, schließe ich nicht mal die an, sondern suche mir einen Sound im Computer, der einer E-Gitarre ähnlich ist. Ich bin einfach faul. Beim Kummer-Album haben wir aber tatsächlich meine zwei alten Akustikgitarren benutzt. Aber die sind auch auf dumm mit iPhone aufgenommen.

Was stört dich denn an einer professionellen Studioumgebung?
Gar nichts, ich glaube, es überfordert mich nur einfach. Ich bin sehr anfällig für Stress und kann mich oft schlecht konzentrieren. Im Studio funktioniert dann irgendwas nicht oder ein Kabel fehlt und ich weiß schon, bevor ich das Problem suche, dass ich es nicht lösen kann, weil mir das Knowhow fehlt. Das geht mir bei Plugins im Laptop aber auch so. Das stresst mich dann einfach. So ähnlich wie splice.com – alle in L.A. benutzen das. Das rufst du auf und hast dann 50 Millionen Snares per Mausklick zur Auswahl, viel zu viel. Am Ende habe ich drauf geschissen, aber mein Abo läuft noch, weil du sonst die Credits verlierst. Ich habe locker 3000 Credits. Letzte Woche habe ich mir da dann mal wieder eine Hihat runtergezogen und da waren es noch 2999 Credits. Ich dachte mir nur so: »Bro, lohnt sich das wirklich?« (lacht) Außerdem finde ich es auch geil, seinen eigenen Weg zu gehen und nicht so ein Baukastensystem zu fahren. Wenn junge Produzenten anfangen, wissen sie oft nicht, wie Sachen richtig funktionieren und mikrofonieren ihre Gitarre zum Beispiel falsch. Oder spielen einen Bass, wie ein Bassist ihn niemals spielen würde. Aber genau das kann total den Charme ausmachen und etwas Eigenes kreieren. Das finde ich viel geiler.

Wenn du so stressanfällig bist, was für eine Funktion hat Musikmachen in diesem Kontext?
Gerade habe ich sehr viel Stress durch die Musik, weil viel passiert. Heute war einer stressigsten Tage seit Langem. Ich habe seit Stunden ein Pfeifen auf dem Ohr. Auf der Bühne zu stehen, beruhigt mich aber schon, auch wenn die Minuten vor Show der absolute Horror sind. Spätestens nach dem ersten Song bin ich aber voll in the zone. Das kann man irgendwo wohl Therapie nennen. Sobald es aber stressig wird, ich einen Text nicht fertig bekomme zum Beispiel oder einen Vers aufnehmen muss, weil die Abgabe naht, ist es eine Belastung. Ich habe ADHS und eine gewisse Grundnervosität [während des Interviews läuft »Family Guy« auf Zimmerlautstärke; Anmerk. d. Verf]. Musik zu machen, ist Beruhigung für mich. Es gibt ja auch dieses Phänomen, dass Leute, die stottern, fehlerfrei singen können. So ähnlich ist das bei mir auch, wenn ich Musik mache.

»Ich wusste nicht, ob ich bei ‚KIOX‘ machen soll, ich hätte mich ja auch blamieren können.«

Das Release heißt »I Don’t Know If I’m Happy«. Hat dir schon mal jemand das Thema Achtsamkeit nahegelegt?
Ich sollte mich mehr damit beschäftigen, schätze ich. Ich bin meinen Gefühlen schon sehr ausgeliefert. Musik ist für mich aber so ähnlich wie Meditieren, wenn man so will. Es beruhigt mich. Meine Freundin meditiert zum Beispiel jeden Tag 30 Minuten, das kann ich gar nicht. Mein Kopf ist immer auf voller Lautstärke.

Das hat ja auch viel damit zu tun, ob man bereit ist, Kontrolle abzugeben.
Ich habe extreme Bindungsängste. Zum Beispiel, was Verträge angeht. Es hat auch eine Weile gedauert, bis ich mir eingestanden habe, dass ein Management zu haben, für mich entlastend sein kann. Ich arbeite nur mit Leuten zusammen, die ich etwas besser kenne und die mich auch lesen können. Manchmal habe ich Schwierigkeiten, Sachen zu erklären und da ist es einfacher, jemanden zur Seite zu haben, der einen versteht. Meine Ziele sind auch extrem hoch, sodass ich leicht an meine Grenzen stoße.

Du hast mit Casper, Ahzumjot und Kummer zusammengearbeitet. Das sind ja erstmal keine Menschen aus in deinem direkten Freundeskreis.
Felix ist ein sehr entspannter Mensch, der auch Leuten eine Chance gibt, die vielleicht noch nicht so viel gemacht haben. Ich hatte vorher noch nie ein Album produziert, aber er wollte mich als Executive für »KIOX« haben. Da habe ich auch erstmal viel hin- und herüberlegt, ob ich das mache. Ich hatte ja auch kein Studio zum Beispiel. Dann soll ich auch Mixing und Mastering machen, wo soll das alles stattfinden? Kann ich das überhaupt? Was ist, wenn ich mich total blamiere? Er hat mir aber volles Vertrauen gegeben und war immer positiv gestimmt. Vielleicht war das Glück. Vielleicht aber auch, weil er so geduldig mit mir umgegangen ist. Okay, das klingt so, als wäre ich voll anstrengend, das ist ja auch wieder nicht wahr. (lacht) Ich hatte einfach nie das Gefühl während der Produktion von »KIOX«, nicht Herr der Lage zu sein und bin immer noch super zufrieden damit.

Warum weißt du denn dann nicht, ob du glücklich bist, wie es der Titel »I Don’t Know If I’m Happy« suggeriert?
Musik macht mich in erster Linie sehr glücklich, das erfüllt mich. Andererseits weiß ich nicht, ob ich am Ende des Tages wirklich glücklich bin mit dem, was ich erschaffen habe. Ich schaue gerne auf das zurück, was ich bisher erreicht habe und empfinde dann auch einen gewissen Stolz. Gleichzeitig denke ich beim Schlafengehen aber trotzdem darüber nach, ob das jetzt alles gewesen ist und da nicht noch mehr passiert – »Warum habe ich den Text nicht zu Ende bekommen? Ist der Beat so gut genug?« Am nächsten Morgen höre ich mir aber meine Sachen nochmal an und bin mega happy damit. So geht das jeden Tag, hin und her.

Man hört diese schwermütigen Neigungen auch in deiner Musik. Welche Bedenken hast du, dich so zu offenbaren?
Ich habe noch nie Sachen zurückgehalten. Es ist mir egal, ob ich mich damit angreifbar mache. Ich finde es nicht schlimm über Gefühle zu sprechen, ich werde mich sicher sogar noch mehr öffnen. Ich werde dir den Text aber nicht erklären. Es ist letztlich ja deine Deutung. Okay, ich spreche aus einer Ich-Perspektive in vielen Liedern, aber du weißt ja nicht: Ist es ein Problem von mir, das eines Freundes oder etwas, das ich auf der Straße beobachtet habe? Ich vermische das in den Songs. Warum soll ich auch über Sachen sprechen, zu denen ich gar keinen Bezug habe? Das macht wenig Sinn für mich.

Foto: Roberto Brundo

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