Haze: »Aber ich bin kein Veganer, gell.« // Feature

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Haze

Karlsruhe. Hektisches Biedermeiergewusel in den Straßen um den Bundesgerichtshof. Ansonsten: quasi-provinzielle Ruhe – denn als Provinz geht die Stadt mit ihren 300.000 Einwohnern weiß Gott nicht mehr durch. An der einen oder anderen Straßenecke, da duftet es daher ganz großstädtisch süß nach Verbotenem, da wird der Sound of the city bestimmt von peitschenden Snares und minimalistischer Sample-Genialität à la New York. Das ist sie: die Karlsruher Schule. Ihr Rektor und Reporter ist Haze, der mit seinem badischen Dialekt all das ausspricht, was seiner Meinung nach verschwiegen wird: Repression durch die Polizei, Armut, Gewalt und der immer wieder kreisende Hase. Nach kontinuierlicher Arbeit unter dem Radar wünscht Haze HipHop nun auf Albumlänge einen guten Abend und beginnt danach, mit Beobachtungen aus seiner Welt so lange auf einen einzudreschen, bis am Abendbrottisch nur noch lange Gesichter zurückbleiben.

Rap bedeutet eben mal nicht nur gute Laune mit Partyhütchen à la Cro, für dessen Happy-HipHop-Entwurf Baden – Württemberg zuletzt vorwiegend bekannt war. Haze, der im Interview stilecht die Sportzigarette in der Hand hält, sieht es als seine Aufgabe, die dunklen Seiten von Karlsruhe, Freiburg und Stuttgart an die Öffentlichkeit zu tragen, so sagt er. Die Seiten, die man drüben bei den Wohlbehüteten in der Doppelhaushälfte höchstens dann mitbekommt, wenn das Füllmaterial fürs Longpaper mal wieder ausgegangen ist. Doch die Haze-Realität war nie nur badische Gemächlichkeit. »Die Blocks sind aktiv/Alles kocht, wie man sieht«, rappt Haze, dessen Eltern vor Beginn des blutigen Krieges mit Serbien aus Kroatien flohen, um in Deutschland ein neues Leben zu beginnen. Geboren wird Haze kurz darauf in Villingen-Schwenningen, zieht in jungen Jahren mit seiner Familie nach Karlsruhe, und verliert sich in DJ Premiers Beats und Erzählungen von Mobb Deep. »Dr. Dre und Eminem waren die Ersten, die mich dazu animiert haben, selber Musik zu machen«, erinnert er sich. Das Auge behält er daher stets auf der Straße, während die MPC Rabatz macht.

 

Dementsprechend ist auch das Debütalbum »Guten Abend, HipHop …« ausgefallen. Die Adaption des großen Bruders, der New Yorker Schule, könnte man Haze anlasten, wenn man ihm Böses wollte. Der sagt dazu unbeeindruckt, dass Kunst nie etwas komplett Neues ist, sondern die Reproduktion von gesammelten Eindrücken; von den Künstlern, mit deren Musik man sich wohlfühlt. Und diese musikalischen Wohlfühloasen reichen weiter als bis nach New York. Denn neben der typischen HipHop-Sozialisation ist der größte Einfluss für Haze kroatische und jugoslawische Rockmusik. Die sollte damals als Gegengewicht zur Gitarren-Bohème aus Amerika funktionieren. Es herrschte das Selbstbewusstsein, etwas Eigenes zu schaffen, ohne sich vor den großen Rocklegenden verstecken zu müssen. Das geschah natürlich viel anarchischer und unpoppiger als in den USA. Eindruck konnten die Bands trotzdem schinden. »Diese Musik hat viel mit HipHop zu tun, weil mit kleinen Mitteln Großes geschaffen wurde«, sagt Haze.

Und irgendwie lässt sich diese Außenseiterattitüde der Balkan-Rockbands im Kleinen auch auf ihn selbst übertragen. Denn schob in der badischen Beschaulichkeit jemals jemand so offensichtlich Welle, ohne sich an aktuellen Trends entlangzuhangeln? »Ich sehe mich als absoluten Vorreiter in dieser Stadt, weil ich es geschafft habe, Musik außerhalb der Region zu platzieren. Gleichzeitig möchte ich für ganz Baden-Württemberg sprechen«, sagt er in seiner ruhigen, aber bestimmten Art über die Lage in seiner Heimatstadt Karlsruhe, die er mittlerweile gen Freiburg verlassen hat. Tatsächlich ist er der einzige nennenswerte Straßenrapper aus der Region – neben Nimo, der ebenfalls erst vor Kurzem auf der Bildfläche erschienen ist. Die Entwicklung verlief langsam, aber stetig. Während das erste Free-Release »Blues ausm Block« noch ausnahmslos in lokalen Zirkeln herumgereicht wurde, nahm man »Karlsruher Schule« und die »Wie der Hase läuft«-EP schon über die badische Grenze hinaus wahr. Und plötzlich ging alles ganz schnell: Konzerte mit der 187 Strassenbande, Labelgeschäfte mit Manager Hadi El-Dor, der die anfänglichen Erfolge von Vega mitbesorgte, zwischenzeitlich auch MoTrip betreute und sich um die personifizierte Schlaflosigkeit namens Sierra Kidd kümmert. Außerdem wurde prompt das Label Alte Schule eröffnet, um »die Jungs aus der Gegend zu unterstützen«, wie Haze sagt.

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