Evidence: »Für JAY-Z ist die Jugend noch nicht bereit« // Interview

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Eine Schlechtwetterfront zieht wieder über Venice Beach auf. Als Solokünstler berappt Evidence seit zehn Jahren die dunkle Seite der Stadt der Engel; dort, wo die Sonne nicht scheint und sich die menschlichen Abgründe der Traumfabrik auftun. Im September erscheint, nach sechs Jahren Pause, das dritte Soloalbum des Rap-Meteorologen und Dilated-Peoples-Drittels. Es werden wieder Niederschläge erwartet.

Was ich anhand der ersten Single »Throw It All Away« feststellen konnte: Die Wetterreferenzen sind dir noch nicht ausgegangen.
Definitiv nicht. (grinst) Das Album wird sogar »Weather Or Not« heißen. Den Titel trage ich schon lange mit mir rum. Ich hatte damals schon auf »Guaranteed«, einem frühen Dilated-Peoples-Track, die Zeile: »Some think I’m clever, others think I’m the one who makes too many references to weather/whether or not …« Das ist jetzt aber das Ende meiner Wetter-Saga. Danach wird es keine Projekte mehr mit Wetterwortspielen geben. Das ist der letzte Teil meiner persönlichen »Der Pate«-Trilogie. Das nächste Mal drehe ich einen neuen Film.

Deine letzten beide Alben waren keine Solo-Projekte, du hast mit Alchemist als Step Brothers »Lord Steppington« und mit Dilated Peoples »Directors Of Photography« veröffentlicht. Wie hat es sich nun angefühlt, wieder alleine im Studio zu sein?
Das war schon weird. Es war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Unser erstes Dilated-Album erschien 2000. Davor kamen ab 1997 einige Indie-Veröffentlichungen auf Vinyl heraus. Wir hatten uns also schon neun Jahre den Arsch abgearbeitet, bevor ich zum Solokünstler wurde. Als wir dann Step Brothers ins Leben riefen und am neuen Dilated-Album arbeiteten, ging ich davon aus, dass viele mich als Evidence auf dem Schirm hätten. Mir war nicht klar, dass das nicht immer der Fall ist. Die Leute fragten mich, wo ich gewesen sei, und ich entgegnete: »Was meint ihr, ich hab gerade zwei Alben rausgebracht?« Die Leute gehen nicht unbedingt immer den Weg mit, den man einschlägt. Wenn ich jetzt wieder mit einem Soloalbum komme, weiß ich gar nicht, was mich erwartet. Werden die Leute es wertschätzen? Als ich jetzt auf Europatour war und die meisten Venues ausverkauft waren, war das eine riesige Entschädigung für mich. Ich wusste am Anfang nicht ganz, wohin ich mit dem Soloalbum gehen wollte. Es hat einige Zeit gedauert, das herauszufinden.

Auf mich wirkte es, als hättest du ­damals mit deinem ersten Soloalbum erst deine Identität als Rapper gefunden. War »The Weatherman« für dich ein Wendepunkt?
Wir wussten immer, dass wir Soloalben machen würden, hatten schon immer darüber gesprochen. Als meine Mutter starb, schrieb ich den Song »I Still Love U« für »20/20« [Dilated-Peoples-Album, das 2006 erschien; Anm. d. Verf.] – das fühlte sich aber falsch an. Für mich war das verrückt, ich hatte so viel zu erzählen, aber wusste nicht, wie ich das im Rahmen von Dilated Peoples machen sollte. Noch dazu war unser Vertrag mit Capitol Records erfüllt. Ich konnte also endlich independent sein: Der Zeitpunkt für ein Solo-Release war perfekt. Mal nicht mit Rakaa und Babu in einem Raum zu sein und sich auf Konzepte und Ideen einigen zu müssen, hat mir gutgetan. Ich konnte mich ausleben, noch viel ehrlicher sein, als ich es davor war. Es ging mir überhaupt nicht mehr um die ­Delivery, sondern nur noch darum, was ich zu erzählen habe.

 »Ich kann gar nichts anderes, als gleich nach dem Aufwachen Musik zu machen. Ich lebe das Leben eines Kindes. « (Evidence)

Bisher gab es kaum Rapper, die mit dem Alter besser wurden. Jetzt gibt es Leute wie Roc Marciano, 2 Chainz, Freddie Gibbs oder dich selbst, die mit ihren Alben als Künstler wachsen.
Manche Leute sind einfach großartig in ihrem Handwerk. Das Alter ändert nichts daran, wenn die Leidenschaft noch da ist. Die Leute vergessen ja nicht, wie man reimt. Wenn man älter wird und Kinder kriegt, hat man einfach nicht mehr die Zeit, sich zehn Stunden am Tag mit der Musik zu beschäftigen. Ich glaub gar nicht, dass so viele Rapper nachlassen, sondern eher, dass das alltägliche Leben ihnen dazwischenkommt und sie Wichtigeres zu tun haben. Nimm mich als Beispiel: Ich kann gar nichts anderes, als gleich nach dem Aufwachen Musik zu machen. Ich lebe das Leben eines Kindes. Klar muss ich auch Steuern zahlen, ich habe ein Haus, einen Sohn und muss Erwachsenendinge tun. Ich kann jeden Tag an meinem Handwerk arbeiten. Nicht jeder in meinem Alter hat dieses Glück.

Aber heutzutage gibt es doch erstmals Rapper über 40, die das auch ansprechen und erwachsenere Themen verhandeln. Hast du das neue Jay-Z-Album gehört?
Ja, und ich fand es großartig. Er hat einfach ein ehrliches Album gemacht. Zwischen ihm und den Hörern gibt es kaum noch Distanz, er steht unmittelbar vor einem. Seine letzten Alben hatten mir nicht mehr so zugesagt. Vielleicht kann ich mich auch jetzt wieder mehr damit identifizieren, weil ich an einem ähnlichen Punkt in meinem Leben bin. Ich verstehe schon, dass es einigen jüngeren Hörern weniger taugt, es gibt keine Turn-up-Tracks. Er haut halt ganz viele Weisheiten raus – klar, dass die Jugend dafür noch nicht bereit ist. Doch irgendwann werden sie es verstehen. Aber diese ganze Altersgeschichte sollte keine Rolle spielen. Ich lasse mich genauso von Roc Marciano wie von Earl Sweatshirt inspirieren – und die sind zwanzig Jahre auseinander.

Lass uns über dein Album sprechen: Hast du den Großteil wieder selbst produziert?
Nein, ich habe nicht so viele Beats wie sonst gemacht. Wenn ich Beats habe, die mit denen von Alchemist mithalten können – cool. Sie müssen aber, wie alle anderen auch, erst den Vorsprechtermin überstehen. (lacht) Letztlich sind noch zwei Beats von mir auf dem Album gelandet. Ich hab diesmal mit Nottz gearbeitet, mit Alchemist natürlich, DJ Premier, Samiyam, Babu und Twizz The Beat Pro. Jonwayne, Slug und Rapsody sind als Features drauf. Es gibt einen Dilated- und einen Step-Brothers-Track sowie einen mit Defari.

»Das Gewitter zieht jetzt richtig auf.«

Womit beschäftigst du dich thematisch auf dem Album? Du bist gerade Vater geworden. Spielte das eine Rolle im Entstehungsprozess?
Erst gegen Ende des Albums. Das Album entstand über einen Zeitraum von zwei Jahren. Ja, ich bin Papa geworden, es ist aber auch viel Scheiße passiert. Darüber spreche ich auf dem letzten Track des Albums. Darin erkläre ich meine längere Abwesenheit und lass die Leute wissen, was ich durchgemacht habe. Auf »Weather Or Not« versuche ich nicht, irgendjemanden zufriedenzustellen – weder Fans noch Label. Ich hab genau das gemacht, was ich tun wollte. Ich weiß gar nicht, ob es mein harmonischstes oder tiefgründigstes Werk geworden ist, aber ich rappe mir den Arsch ab. Wenn man das Album in die Wettersaga einordnen will, dann zieht das Gewitter jetzt richtig auf. Auf »Cats & Dogs« herrschte schon starker Niederschlag. Jetzt lege ich noch den Regenschirm ab. Im »Throw It All Away«-Video setze ich meine Cap ab und gebe dem Typen am Ende mein letztes Hemd. So sah ich in letzter Zeit aus: Ich saß im Studio, war gestresst, hab kaum gegessen. Die Leute sagten mir, ich sähe mager aus, und ich entgegnete: »Ja, ihr habt recht. Ich hatte ein verdammt hartes Jahr.«

Du hast auf Twitter die Theorie verbreitet, dass man, wenn man mit der linken Hand rappt, besseres Timing habe – und mit der rechten mehr Emotionen ausstrahlt. Wie kamst du darauf?
(lacht) Ja, die These wurde aber schon widerlegt. Das gilt ja nur, wenn du Rechtshänder bist wie ich. Wahrscheinlich ist es bei Linkshändern dann andersrum. Bei mir ist das wirklich so: Wenn ich mit der rechten Hand das Mikro halte, muss ich nicht mal die Drums hören, um im Takt zu bleiben. Umgekehrt fällt es mir leichter, mit der linken Hand Gefühle auszudrücken. Die einzige Lösung, beides zu verbinden, ist, das Mikro aufzuhängen. Das ist der Segen eines Studios. ◘

Dieses Interview erschien in JUICE #183 (hier versandkostenfrei nachbestellen).

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