Eminem – Kamikaze // Review

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(Interscope)

Wertung: Dreieinhalb Kronen

Weniger als ein Jahr kostete es Eminem, um sich aus dem Pop-Rap-Altenteil zu erheben und ein rätselhaftes, neues Kapitel seiner Karriere aufzuschlagen. Nachdem alle Fehden beigelegt schienen, Nostalgie der bestimmende Vibe und der Status als »Rap God« gesichert war, reichte ein Album, um vergangenen Dezember alles auf null zu setzen. »Revival« hat auch Monate später nichts an schockierender Orientierungslosigkeit eingebüßt, und doch kann »Kamikaze« dessen Widersprüche toppen – was, paradoxerweise, besser funktioniert. Unbestreitbar eine direkte Reaktion wie einst »Recovery« auf »Relapse«, korrigiert Eminem dieses Mal nicht einfach den Kurs, sondern springt für sich in die Bresche, auf Beats, die seinen Worten widersprechen. So sehr er an der Seite des Weggefährten Royce da 5‘9‘‘ gegen die gegenwärtige Gene­ration schießt, sich auf dem eröffnenden Trio gegen Presse, Trap und die eigene Leistung in Rage rappt, merkt man doch, dass der anstrengende Geschwindigkeitswettbewerb mit sich selbst ebenso beendet ist wie die Zeit ungelenker, politischer Statements oder die Zusammenarbeit mit Pink, Ed Sheeran und Skylar Grey. Entsprechend befreit wirkt Eminem auf dem maßgeblich von Mike Will Made It gebauten »Greatest«, einem Vertreter eben jenes Sounds, der hier immer wieder mit – als Parodie gedachten – Flows imitiert und attackiert wird. Eben diese Passagen zeigen, wie nötig es für Eminem ist, über seinen Schatten zu springen und mit Leuten zu arbeiten, die näher an ihrem kreativen Peak sind als Dr. Dre. Leider muss »Kamikaze« trotz besseren Wissens auch noch die D-12-Entschuldigungsschmonzette »Steppin Stone« unterbringen, ebenso wie »Venom«, dessen Hook einer Sabotage gleichkommt. Das ganze Dilemma dieser gespaltenen Platte fasst jedoch »Fall« ein, bei dem vom Beat über Eminems Charisma bis zur Hook von Bon Ivers Justin Vernon eigentlich alles stimmen könnte, hingen die Vocals nicht irgendwie schief in der Luft. Vernon hat mittlerweile klargestellt: Er hat die Zeilen irgendwann zwar eingesungen, für die Platzierung ist aber Mike Will Made It verantwortlich. Der homophobe Diss gegen Tyler, The Creator auf selbigem Track macht das Maß voll, Vernons Anwälte kümmern sich gerade um dessen Entfernung. Wie so ein juristisches und lyrisches Debakel zustande kommt? Nur eines der vielen Rätsel des mysteriösen Marshall Mathers.

Text: Sebastian Berlich

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