Dr. Bootleg: »Mir geht es nicht darum, einfach nur möglichst bekannte Lieder zu vereinen.«

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DrBootleg by JanGrubeVidsAndPics-1 Interview

Dr.Bootleg ist ein erfrischendes Phänomen im deutschen Rap. Wenn der Herr zusammen­flickt, was bis dato nicht zusammengehörte, erwachen Deutschrap-Hymnen als neue Monster zum Leben. Dabei ist Dr.Bootleg mehr Schönheitschirurg als Frankenstein und weiß genau, wie man das Soundsilikon unterbringt, ohne dass es gemacht aussieht. ­Seine Soundwesen sind Remixe und Mashups der besonderen Art. Da rappt Azad plötzlich ­»Immer wenn es regnet« auf den »Anna«-Beat vom Freundeskreis, und man fragt sich, ob ein fast zwanzig Jahre alter Remix läuft, den man damals verpasst hat? Auch wenn Haftbefehl und Marteria mit ihrem besten Kumpel Masta Ace auf dessen Klassiker »Born To Roll« rollen, dann meint man, die drei zusammen in einem Studio zu hören. Neben der Schönheit und Perfektion dieser Soundwesen bleibt aber auch die Frage: Woher holt dieser Dr.Bootleg die Acapellas für seine Remixe? Die sind nämlich auf dem freien Markt leider nicht erhältlich. Und das hat nicht zuletzt die Remix-Kultur in Deutschland bislang stark behindert. Falk Schacht hat beim Doktor nachgefragt.

Auf Soundcloud veröffentlichst du Bootleg-Songs, bei denen du die Acapellas deutscher Rapper auf Beats anderer Rapper packst. Was macht dieses Verfahren für dich so spannend?
Man kann auf diese Weise mit wenig Aufwand aus zwei oder mehreren Liedern ­etwas Neues kreieren. Im ­besten Fall ergibt 1+1= 3. Dazu kommt eine gewisse Freiheit. Man ist im Grunde komplett uneingeschränkt und kann einfach das machen, worauf man gerade Bock hat. Und so entstehen Sachen, die es in dieser Form noch nicht gab, wie beispielsweise ein Duett von Helene Fischer und Ssio. Für den Track sollte eigentlich ne Nominierung für den Integrations-Bambi drin sein.

Vor zwanzig Jahren etwa hat man bestehende Accapellas für einen Remix mit völlig neuen Beats ausgestattet. Mittlerweile hat sich die HipHop-Remix-Kultur aber vor allem dahin entwickelt, dass man auf einen bestehenden Song einfach noch ein paar ­andere Rapper einlädt. Beziehst du dich mit deinen ­Mixen auf diese Entwicklung? Oder ist deine Inspiration eher die Mashup-Kultur der letzten 15 Jahre?
Ich denke, die beiden Remix-Kulturen vermischen sich mit dem, was ich mache. Im Endeffekt mache ich einfach das, was ich selbst im deutschen Rap-Game vermisse. Mein persönlicher Ursprung ist aber die Hip-Hop-Remix-Kultur. Bevor ich mit dem Auflegen angefangen habe, hab ich viel Musik gehört, zum Beispiel Kassetten vom legendären New Yorker Mixtape-Label Tape Kingz. Und meine ersten Vinyls waren von AV8 Records [Vinyl-Label, auf dem Mashups bekannter Rap-Hits erschienen sind; Anm. d. Verf.]. Die Mashup-Kultur an sich ist mir oft zu Pop-lastig. Mir geht es nicht darum, einfach nur möglichst bekannte Lieder zu vereinen. wobei natürlich so etwas wie »The Grey Album« von Danger Mouse [Remix-Album von Jay Zs »The Black Album«; Anm. d. Verf.] auch eine große Inspiration ist, was das Gesamtkonzept angeht.



Du arbeitest immer wieder sehr konzeptionell. Ein Beispiel: Du hast Schwesta Ewas Rap von ihrem Song »Für Elise« auf das Instrumental von Nas’ »I Can« gepackt, das auf einem Klavier-Loop des klassischen Themas »Für Elise« basiert. Außerdem hast du das Acapella von Eins Zwos »Welt­retten 4-« auf Tim Bendzkos »Nur noch kurz die Welt retten« gelegt und Azads »Immer wenn es regnet« auf »Anna« von Freundeskreis. Gehst du da mit einer bestimmten Strategie vor?
Vieles entsteht aus einer spontanen Idee heraus. Mein Gehirn funktioniert ähnlich wie eine Datenbank – immer, wenn ich Musik höre, suche ich unterbewusst schon nach solchen Verbindungen. Ich verbinde also Stücke, die für mich einfach zusammengehören. Wenn die Verbindung der Tracks offensichtlich ist, wie bei den Bootlegs, die du gerade aufgezählt hast, geht das ganz schnell. Es gibt auch andere Tracks, die mal länger liegen bleiben, bis man das passende Puzzlestück dazu findet, aber das ist eher die Ausnahme. Ich finde jedenfalls, dass die Mixe durch solche inhaltlichen Zusammenhänge mehr Substanz bekommen, als wenn man einfach wahllos irgendein Instrumental verwendet.

Bei vielen deiner Mixe denkt man, der ­Rapper hätte genau auf diesen Beat ­gerappt. Wie kriegst du das auf diese Art und Weise hin?
Nicht jedes Accapella passt auf jeden Track. Und Remixe sollte man nie erzwingen. Insofern läuft das Ganze viel im Trial-and-Error-Verfahren. Aber mein Gehör hat sich über die Jahre so entwickelt, dass ich im Voraus gut abschätzen kann, was passt und was nicht. Ein Freund von mir ist bei einigen Bootlegs auch der festen Überzeugung, dass der Rapper ursprünglich auf das von mir verwendete Instrumental geschrieben hat.

Wie kommst du an ­Acapellas? Von den meisten Tracks, die du nutzt, gibt es keine zu kaufen.
Dadurch, dass in Rap-Deutschland die meisten Künstler Premium- und Fan-Boxen veröffentlichen, denen die Instrumentals beiliegen, kann ich durch Phasenauslöschung die Acapellas filtern.

Die Liste von Rappern, die meine Bootlegs liken und auf Facebook oder Twitter verbreiten, wird immer länger.

Und das funktioniert?
Ja, oft. Aber 140-bpm-Trap-Beats mit vielen Hi-Hats sind schwierig.

Wie reagieren die Künstler auf deine Mixe?
Die Liste von Rappern, die meine Bootlegs liken und auf Facebook oder Twitter verbreiten, wird immer länger. Für jeden Support bin ich dankbar. Besonders freut es mich, wenn Produzenten wie M3 oder Jambeatz meine Tracks cool finden, obwohl ich deren Arbeit durch andere Instrumentals ersetze. Vor allem sollen meine Mixe aber den jeweiligen Künstlern gefallen.

Soweit ich weiß, haben sich Künstler und Manager bei dir gemeldet, um mit dir zu arbeiten. Was ist da in Planung?
Es sind bereits Remixe entstanden, die Künstler für ihre Tour nutzen, aber viel mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Ich habe für die nahe Zukunft auch einige Remix EPs in der Pipeline. Der Plan ist, das Ganze audiovisuell auf die nächste Stufe zu bringen. Von Level zu Level zu Level.

Gab es mal rechtliche Probleme?
Bis jetzt wurde ein Lance-Butters-Remix wegen Urheberrechtsverletzung gelöscht. Ich habe gelernt, mit der Ungewissheit zu leben, dass von heute auf morgen alles weg sein kann. Zumindest was mein Soundcloud-Profil betrifft.



Phasenauslöschung

Stellen wir uns vor, wir haben ein Soundsystem, das einen Song laut über eine Anlage spielt. Ein zweites Soundsystem, direkt gegenüber, spielt genau denselben Song synchron ab. Was passiert, ist logisch: Wir hören den Song lauter als zuvor. Wenn man nun aber die Wellenphase des Songs bei einem Soundsystem umdreht, dann hören wir plötzlich Stille. Warum? Jeder Ton besteht aus Schallwellen, die Berg und Tal bilden. Diese Wellen bewegen unser Trommelfell, so hören wir Töne. Wenn man zweimal dieselbe Welle übereinander legt, dann verstärkt sie sich natürlich und der Ton wird lauter.

Wenn man aber die Phase des einen Songs umdreht, also bei der Schallwelle aus dem Berg ein Tal und aus dem Tal einen Berg macht, dann klingt dieser Song alleine immer noch genauso wie vorher. Wir können bei dem einzelnen Song keinen Unterschied hören. Doch jetzt wird es spannend! Wenn man diesen phasengedrehten Song auf das Original treffen lässt, dann neutralisieren sich die gegensätzlichen Schallwellen zu 100 Prozent. Die Minus-Energie des Tals der einen Schallwelle neutralisiert das Plus des Berges der anderen Schallwelle und umgekehrt. Es kommt zur Phasenauslöschung – und damit zur Stille. Dr.Bootleg nutzt diese Technik folgendermaßen: Er nimmt einen Rap-Song und das Instrumental des Songs, beide Lieder sind identisch, bis auf den Rap.

Wenn man die Phase der Schallwellen des Instrumentals umdreht und mit dem Originalsong vermischt, dann löschen sich die Schallwellen des Beats gegenseitig aus. Da es im Instrumental keine Gegenwelle zum Rap gibt, bleibt diese Schallwelle aber übrig. Et voilà, ein durch die Gesetze der Physik handgemachtes Acapella ist entstanden.

Text: Falk Schacht

Dieses Interview erschien in JUICE #169 (hier versandkostenfrei nachbestellen).JUICE_Cover_169

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